Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und andere hochrangige Politiker setzen sich für eine stärkere Bekämpfung des Rechtsextremismus ein. "Wir müssen den Verfolgungsdruck auf Rechtsextremisten massiv erhöhen", sagte Lambrecht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ, 27. Juli) vor dem Hintergrund des Mordes an dem CDU-Politiker Walter Lübcke und des Mordversuchs an einem Eritreer in Wächtersbach. Polizei und Staatsanwaltschaften müssten alles tun, um Hasskriminalität im Internet effektiv zu verfolgen. Auch andere Politiker, darunter Grünen-Chef Robert Habeck, der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), forderten ein konsequenteres Vorgehen gegen Hassbotschaften.

Strafrechtsreformen hält das Bundesjustizministerium zur Bekämpfung von Hasskriminalität aber nicht für erforderlich. Die zahlreichen Straftatbestände müssten konsequent angewandt werden, sagte ein Sprecher.

Leutheusser-Schnarrenberger verweist auf Erfolg aktiver Gefährderansprache

Die Antisemitismus-Beauftragte in NRW Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, Polizei und Verfassungsschutzämter müssten "endlich zeigen, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und den Terror von rechts auch als solchen wahrnehmen". Sie forderte grundsätzliche Neuerungen im Kampf gegen Rechtsextremismus. So sollte der Präventionsarbeit eine bedeutend größere Rolle zukommen. "Eine aktive Gefährderansprache in der rechten Szene ist nicht nur denkbar, sondern notwendig", schrieb sie in einem Gastbeitrag für "Spiegel Online": "In der Hooligan- und Islamistenszene wird diese Methode bereits seit Jahren erfolgreich angewandt - warum nicht auch bei Rechtsextremisten?"

Ex-Bundestagspräsident Lammert forderte von der deutschen Justiz, konsequenter gegen sprachliche Verrohung insbesondere im Internet vorzugehen. Es gebe nicht nur schlimmste verbale Beleidigungen, Verleumdungen, sondern auch unmissverständliche Bedrohungen von Politikern und Journalisten. "Aber Gerichte schlagen Anzeigen fast immer nieder mit der Begründung, es handele sich um eine virtuelle Bedrohung", sagte Lammert der "Rheinischen Post" in Düsseldorf (27. Juli). Klagen der Gerichte über Personalmangel ließ er nicht gelten: Dies dürfe "kein ernsthafter Einwand sein, die deutsche Rechtsordnung nicht ernst zu nehmen".

Lammert: Ignoranz gefährdet Demokratie

Der Vorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung warnte in diesem Zusammenhang davor, sich der Demokratie in Deutschland zu sicher zu sein. "Die Demokratie ist gefährdet, wenn wir sie für selbstverständlich halten", sagte er und erinnerte an den Zerfall des demokratischen Systems in der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nazis.

Wie das Justizministerium sehen auch SPD und Grüne laut FAZ keinen gesetzgeberischen Reformbedarf. Die für die Strafverfolgung zuständigen Länder müssten aber über die Justizressorts und die Generalstaatsanwaltschaften "für ein einheitliches Vorgehen und einheitliche Maßstäbe" sorgen, sagte die Netzpolitikerin Renate Künast (Grüne). Der Grünen-Vorsitzende Habeck forderte die Bundesregierung auf, den Kampf gegen Rechtsextremismus höchste Priorität einzuräumen. Die Sicherheitsbehörden müssten auch rechtsextreme Netzwerke im Internet besser im Blick haben. Sie müssten in die Lage versetzt werden, dort intensiv zu ermitteln, sagte er "Spiegel Online".

Internationales Auschwitz Komitee äußert "brennend Sorge"

Das Internationale Auschwitz Komitee äußerte seine "brennender Sorge" über "die neue Dimension und Dynamik rechtsextremer Gewalt in Deutschland". Man frage sich, ob die Mehrheit in Politik und Gesellschaft die Bedrohungssituation angesichts von "Feindeslisten", Mord und Waffengewalt realisiert habe oder immer noch in "abwiegelnden und verdrängenden Stereotypen befangen" sei.

Bei zwei Gewaltverbrechen in diesem Monat gehen Polizei und Staatsanwaltschaft von einem rechtsextremen beziehungsweise rassistischen Hintergrund aus: Im Falle des Mordes an dem CDU-Politiker Lübcke Anfang Juli ist ein Rechtsextremist aus Kassel dringend tatverdächtig. Von fremdenfeindlichen Motiven geht die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft im Falle der lebensgefährlichen Schüsse auf einen Eritreer in Wächtersbach in Hessen aus. Im Internet haben Rechtsextreme zudem sogenannte Feindeslisten veröffentlicht, auf denen laut ARD-Recherchen die Namen von rund 200 Politikern, Journalisten und Aktivisten stehen sollen.