Berlin (epd). Opfern von Gewalttaten soll in Zukunft schneller und besser geholfen werden. Das Bundeskabinett billigte am 26. Juni eine Modernisierung des Entschädigungsrechts. Der Gesetzentwurf von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) sieht höhere Geldleistungen für Hinterbliebene und Geschädigte vor. Der Zugang zu beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen oder Hilfen im Alltag wird erleichtert. Trauma-Ambulanzen, die sich schnell und gezielt um die Opfer kümmern, sollen künftig flächendeckend zur Verfügung stehen.
Heil erklärte nach dem Kabinettsbeschluss, es sei der Koalition ein wichtiges Anliegen, die soziale Entschädigung so zu verbessern, dass sich die Betroffenen mit ihrem Schicksal nicht mehr alleingelassen fühlten. Mit dem Gesetzentwurf reagiert die Bundesregierung auch auf Kritik am Umgang mit den Opfern und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 in Berlin.
Ansprüche auch für Opfer psychischer Gewalt
Eine grundlegende Reform des sozialen Entschädigungsrechts steht aber schon seit Jahren auf der politischen Agenda. Das künftige Sozialgesetzbuch XIV löst das bisherige Opferentschädigungsgesetz und das Bundesversorgungsgesetz ab, das für die Versorgung der Kriegsopfer geschaffen worden war. Künftig liegt der Fokus neben der Versorgung dauerhaft geschädigter Menschen auf schnellen Hilfen und Unterstützung bei der Überwindung der Tatfolgen.
In den zuständigen Ämtern soll es Fallmanager geben, die Terror- oder Gewaltopfern helfen, Anträge zu stellen. Auch erlittene psychische Gewalt wie Stalking oder passive Gewalt wie die Vernachlässigung eines Kindes können künftig zu Entschädigungsansprüchen führen. Die Zahlbeträge, die sich nach dem Grad der Schädigung richten, werden deutlich erhöht, zum Teil mehr als verdoppelt. Auch die Entschädigungszahlungen für Witwen, Witwer und Waisen steigen. Ob ein Opfer Deutscher ist oder nicht, spielt künftig keine Rolle mehr.
Hohe Hürden für Betroffene sexueller Gewalt
Auch sogenannte Schockschadens-Opfer, also Menschen, die beispielsweise einen Terroranschlag miterleben, können Anträge auf Entschädigungsleistungen stellen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie eine persönliche Beziehung zu einem Opfer haben. Die meisten Regelungen werden erst 2024 wirksam. Einige Verbesserungen sollen rückwirkend zum 1. Juli 2018 in Kraft treten, darunter die Gleichbehandlung der Opfer unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und die Erhöhung der Zahlungen an Waisen.
Opfern sexueller Gewalt soll das modernisierte Entschädigungsrecht ebenfalls zugutekommen. In der Praxis werde es sich aber insbesondere bei Missbrauchsopfern kaum auswirken, bemängelte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Er sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Hürden seien für Betroffene sexueller Gewalt in vielen Fällen zu hoch. Dann bleibe die Tür zur Entschädigung verschlossen. Für diese Gruppe sei "keine gute Lösung" gefunden worden, bilanzierte Rörig.
Die Grünen begrüßten, dass die Reform schnelle Hilfen, ein Fallmanagement und Hilfen für die Opfer psychischer Gewalt vorsehe. Neues dürfe aber nicht auf Kosten der klassischen Versorgung von Gewaltopfern gehen, mahnten die Sprecher für Sozial- und Rechtspolitik, Sven Lehmann und Katja Keul. Der Bundestag muss das Gesetz noch beraten. Auch der Bundesrat muss zustimmen.