Einem Fünftel der Kinder und einem Drittel der Jugendlichen in Deutschland fehlt es einer Umfrage zufolge an Gemeinschaftssinn. Dazu gehörten Kompetenzen wie Empathie, Solidarität, Respekt, Hilfsbereitschaft und soziale Integration, hieß es in der am 25. Juni in Leverkusen veröffentlichten Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanten-Kinderförderung. Zwar verfüge ein großer Teil der Heranwachsenden über einem positiven Sinn für das menschliche Miteinander, aber 22 Prozent der Sechs- bis Elfjährigen und 33 Prozent der Zwölf- bis 16-Jährigen zeigten hier Defizite, erklärte die Einrichtung des Leverkusener Pharmakonzerns Bayer.

Die Forscher befragten Kinder und Jugendliche den Angaben zufolge zu verschiedenen Aspekten von Gemeinschaftssinn wie Empathie und Solidarität, aber auch zur Abwertung von Schwächeren. Gemessen an ihrer Selbsteinschätzung zu Aussagen wie "Es macht mich traurig, wenn es anderen Kindern schlecht geht" zeigten der Studie zufolge 21 Prozent der Kinder nur ein geringes Empathievermögen. 49 Prozent der Sechs- bis Elfjährigen sind dagegen sehr mitfühlend. Dabei hätten 61 Prozent der Mädchen, aber nur 37 Prozent der Jungen überdurchschnittliches Mitgefühl, hieß es.

Unterschied zwischen den Geschlechtern

Unter den Jugendlichen sei sogar bei mehr als der Hälfte der Befragten (54 Prozent) die Empathie unterdurchschnittlich ausgeprägt. Dabei sei der Unterschied zwischen den Geschlechtern noch deutlicher, hieß es: 76 Prozent der männlichen, aber nur 31 Prozent der weiblichen Zwölf- bis 16-Jährigen seien unterdurchschnittlich empathisch.

Fast drei Viertel aller befragten Kinder (70 Prozent) seien zumindest teilweise gleichgültig gegenüber Leidtragenden, erklärten die Studienautoren weiter. Bei mehr als einem Viertel der Jungen und 16 Prozent der Mädchen fänden Aussagen wie: "Wenn ein anderes Kind Probleme in der Schule hat, ist es meistens selber schuld" sogar starke Zustimmung.

Von den Jugendlichen stimmen den Angaben zufolge 29 Prozent Aussagen zu wie: "Es gibt Gruppen in der Bevölkerung, die weniger wert sind als andere" und "Es ist ekelhaft, wenn Schwule sich in der Öffentlichkeit küssen". Allerdings lehnt eine Mehrheit von 78 Prozent der Mädchen und 64 Prozent der Jungen eine solche Haltung ab. Dabei neigten Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischen Status mit 50 Prozent eher dazu, Randgruppen abzuwerten, als ihre Altersgenossen aus ökonomisch besser gestellten Haushalten (16 Prozent), hieß es. Zudem habe auch die Einstellung der Eltern einen signifikanten Einfluss auf die Haltung ihrer Kinder gegenüber Minderheiten.

Studienleiter Holger Ziegler von der Universität Bielefeld warnte vor den Folgen eines geringen Gemeinschaftssinns. "Wenn Jugendliche hier Defizite entwickeln und diese weitertragen, kann sich das verheerend auf das gesellschaftliche Klima auswirken", sagte der Professor für Erziehungswissenschaften. Die Daten deuteten darauf hin, dass es um kein Randphänomen, sondern einen potenziellen Flächenbrand gehe. "Das Prinzip der Solidargemeinschaft als Grundlage für eine gelingende Gesellschaft läuft Gefahr zu kippen", mahnte Ziegler.