Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lässt nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ein Verbot rechtsextremistischer Gruppierungen prüfen. Der "politische Mord" an Lübcke sei eine Zäsur, ein Alarmsignal, weil er sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richte, sagte Seehofer am 27. Juni bei der Vorstellung des Jahresberichtes des Bundesamts für Verfassungsschutz in Berlin. Er werde daher alle Optionen prüfen lassen, um dem Rechtsstaat "mehr Biss" zu verleihen. Dazu gehöre auch eine Stärkung des Verfassungsschutzes. Im Herbst werde er eine Debatte in der großen Koalition über ein solches Gesetz anstoßen.

Feinde des Rechtsstaats müssten aus dem Verkehr gezogen werden, "gerade wenn sie so brandgefährlich sind", sagte der Innenminister. Welche Gruppierungen er für ein Verbot im Auge hat, sagte Seehofer nicht. Der Verfassungsschutz stuft derzeit 24.100 Personen in Deutschland als rechtsextremistisch ein, davon seien 12.700 gewaltbereit. "Ein neuer Höchststand" bei einer seit 2014 steigenden Zahl. Der Minister sprach von einer "hohen Gefährdungslage". Die Zahlen "in Verbindung mit der hohen Waffenaffinität" dieser Szene seien besorgniserregend.

Mehr rechte Gewalt

Die rechtsextremistisch motivierte Gewalt hat dem Verfassungsschutz zufolge im vergangenen Jahr leicht zugenommen. Demnach gab es 1.088 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. 2017 waren es noch 1.054. Dabei stieg die Zahl der versuchten Tötungsdelikte von vier auf sechs.

Als "geistige Brandstifter" bezeichnete Seehofer derweil die Mitglieder der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD). Diese seien nicht minder gefährlich als gewaltbereite Rechtsextremisten: "Sie sind jung, modern und geben sich als die Hüter der Verfassung aus," sagte er. Große Teile ihrer Ideologie seien aber nichts als Rassismus.

Im Fall Lübcke wird dem Innenminister zufolge der Frage nachgegangen, ob der Tatverdächtige ein Unterstützerumfeld hatte. Die Bundesanwaltschaft beantragte am Donnerstag Haftbefehl wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord gegen zwei deutsche Staatsangehörige: Einem 64-Jährigen wird vorgeworfen, dem mutmaßlichen Mörder Stephan E. die Tatwaffe verkauft zu haben. Ein 43-jähriger Mann soll den Kontakt zwischen den beiden hergestellt haben. Beide sind am Mittwoch festgenommen worden.

Lübcke war Anfang Juni vor seinem Wohnhaus mit einem Kopfschuss getötet worden. Der CDU-Politiker war in rechten Kreisen verhasst, weil er eine humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen befürwortete. Der Tatverdächtige ist laut Verfassungsschutz seit Jahrzehnten in der rechten Szene aktiv.

"Jahrzehntelange Verharmlosung"

Der Bundestag beriet bei einer Aktuellen Stunde über den Fall. Politiker von SPD, Grünen, FDP und Linken wiesen auf mögliche Verbindungen zu den Morden des rechtsradikalen NSU hin. Der frühere SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, forderte, die Akten aus dem NSU-Verfahren müssten ausgewertet werden, statt sie für 40 Jahre unter Verschluss zu stellen. Denn darin seien Hinweise auf Verbindungen in den rechten Netzwerken zu finden.

Der Bundesverband Mobile Beratung, zu dem mehr als 40 Beratungsteams gegen Rechtsextremismus gehören, forderte mehr Unterstützung für diejenigen, die vor Ort gegen rechte Bedrohungen ankämpften. Existierende Beratungsstrukturen müssten besser ausgestattet werden, um zu gewährleisten, dass Menschen weiterhin angstfrei Position beziehen könnten, erklärte Sprecherin Bianca Klose.

Die gemeinnützige Amadeu Antonio Stiftung kritisierte, die rechtsextremen Strukturen und Netzwerke seien Ergebnis jahrzehntelanger Verharmlosung. Der Verfassungsschutz habe seine Glaubwürdigkeit verspielt. Die Vorsitzende Anetta Kahane forderte, statt mehr Mittel zum Rechtsextremismus bei dieser Behörde einzusetzen, brauche es dringend mehr Gelder für Demokratieprojekte und Opferberatungen.