Frankfurt a.M. (epd). Die Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss" im deutschen Fernsehen ab dem 22. Januar 1979 war ein Medienereignis - und auch ein Wendepunkt in der deutschen Erinnerungskultur. Danach wurden Naziverbrechen und Massenmord an den europäischen Juden anders wahrgenommen. Mit "Holocaust" geriet Auschwitz ins kollektive Gedächtnis und der Begriff "Holocaust" wurde Allgemeingut, bis heute.
Zuvor war die Serie im US-Fernsehen gelaufen, durchaus umstritten. Der jüdische Philosoph und Holocaust-Überlebende Eli Wiesel (1928-2016) fällte das Urteil, es handle sich um eine "Trivialisierung des Holocaust". Produziert wurde sie vom US-Sender NBC. Sie war eine Antwort auf den kommerziellen Erfolg der ABC-Serie "Roots" über die Sklaverei in den USA. Hier wie dort wählte Regisseur Marvin J. Chomsky das Format der Mini-Serie mit überschaubarem Personal und übersichtlicher Dramaturgie nach amerikanischen Erzählmustern.
"Holocaust" erzählt von der Judenverfolgung der Nationalsozialisten am Beispiel zweier fiktiver Familien, der jüdischen Familie Weiss und der Familie des SS-Sturmbannführers Erik Dorf. Die Protagonisten durchleben im Film wesentliche historische Stationen, von der Pogromnacht 1938 bis zum Warschauer Ghetto, vom Massaker in Babi Jar bis Auschwitz.
Nur Sohn Rudi Weiss überlebt, alle anderen kommen ums Leben. Erik Dorf begeht Suizid. Im Film wird er Adjutant von Reinhard Heydrich, berüchtigter Chef des Reichssicherheitshauptamtes und Organisator des Massenmords an den Juden.
Deutsche Schauspieler nur in Nebenrollen
Gedreht wurde in Wien, Berlin-Wedding und im KZ Mauthausen. Die Darsteller der wichtigen Rollen kamen aus den USA, die Nazis wurden von Briten gespielt, deutsche Schauspieler fanden sich nur in Nebenrollen. "Holocaust" wurde insgesamt in mehr als 30 Ländern ausgestrahlt und von weltweit 700 Millionen Zuschauern gesehen.
Die deutsche Ausstrahlung verlief kompliziert: Schon zuvor wurde in der Presse über Trivialisierung und Emotionalisierung des Massenmordes an den europäischen Juden diskutiert. Die ARD konnte sich über eine Platzierung im Ersten nicht einigen, der Bayerische Rundfunk drohte mit Ausstieg. Man verständigte sich auf eine gemeinsame Ausstrahlung in allen Dritten Programmen, ein mediengeschichtliches Novum.
Der Erfolg war überwältigend. Die Zuschauerzahl stieg mit jeder Folge an. Am Ende hatte jeder zweite erwachsene Deutsche wenigstens einen Teil der Serie gesehen. Auch bei den mitternächtlichen Fernseh-Debatten im Anschluss an die Ausstrahlungen blieb die Zuschauerbeteiligung hoch. Die Telefonnetze der Sender brachen unter dem Ansturm der Anrufe zusammen.
Was war geschehen, dass es sich anfühlte, als hörten die Deutschen mehr als 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum ersten Mal von den Verbrechen der Nazis? Immerhin war das Thema nicht vom Himmel gefallen. Es gab den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-65 und den Düsseldorfer Majdanek-Prozess 1975-1981.
Im Theater hatten 1963 Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" - über die Haltung des Vatikan zu den Judendeportationen - und 1965 Peter Weiss' "Die Ermittlung" über den Auschwitz-Prozess für Debatten gesorgt. Mitte der 50er Jahre war "Nacht und Nebel" entstanden, ein Dokumentarfilm über das KZ-System von dem Franzosen Alain Resnais. Im Fernsehen waren Eberhard Fechners Film über den Majdanek-Prozess gelaufen und Egon Monks "Ein Tag - Bericht aus einem Konzentrationslager 1939".
Aber die vielen Dokumente, Beweise, Appelle und Analysen erreichten nicht die Wirkung des TV-Vierteilers "Holocaust". Norbert Schneider, damals Fernsehbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, analysierte 1979, es sei den vielen ambitionierten Versuchen kaum mehr gelungen, "als die Aufgeklärten noch einmal aufzuklären": "Für wenige wird relativ viel angeboten, für die vielen dagegen relativ wenig". Fazit: "Die Aufklärung über Ursachen und Geschichte des deutschen Faschismus als eine massenhafte Veranstaltung ist noch zu leisten - jedenfalls in den Medien."
In "Holocaust" wurde nichts beschönigt
Dass die US-Serie "Holocaust" über die Ursachen des Faschismus aufgeklärt habe, kann man nicht sagen. Wohl aber, dass die Serie einen stillgelegten Bewusstseinsbereich bei "den vielen" aufgebrochen hat. Über die Familien Weiss und Dorf fanden viele Deutsche erstmals Zugang zu den Grausamkeiten ihrer eigenen Geschichte, begannen Familien, ihre Biografien zu befragen, wurden biografische Illusionen zerstört.
Wenn man die Filme heute wiedersieht, sieht man natürlich immer noch die zusammengeklöppelte Dramaturgie, die Fehler und Unwahrscheinlichkeiten, die gezielte Emotionalisierung, das klinisch saubere Ghetto. Aber: Es wurde in "Holocaust" nichts beschönigt, die Verbrechen wurden genannt und gezeigt, die Opfer bekamen Gesicht, Namen und eine individuelle Geschichte. Das hat die Menschen damals vor den Bildschirmen bewegt und aufgeregt.
Vom 7. Januar an zeigen NDR und WDR, vom 9. Januar an auch der SWR die vier Teile von «Holocaust» erneut im TV, ergänzt um die Dokumentation «Wie 'Holocaust' ins Fernsehen kam».