Berlin (epd). Es ist der 20. Juli, der Jahrestag des gescheiterten Hitler-Attentats 1944: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt an diesem Tag vor ihrem Sommerurlaub vor die Hauptstadtpresse. Vor den versammelten Journalisten stellt sie eine grundsätzliche Frage: "Haben wir aus der Geschichte gelernt?" 74 Jahre nach dem Attentat, das den Zweiten Weltkrieg beenden sollte, wird um eine lange als sicher geglaubte Weltordnung gerungen. Das Verhältnis zwischen den USA und Europa verschlechtert sich, die EU steht zwischen Abschottung und Humanität gegenüber Flüchtlingen und auch in Deutschland scheint die Asylpolitik zu spalten.
Es sei eine Phase, sagte Merkel, in der viele Zeitzeugen nicht mehr lebten und die Nachfolgegeneration vor der Verantwortung stehe, wichtige Entscheidungen zu treffen: Beschließe man Alleingänge "aus Verzweiflung darüber", dass alles so langsam oder anders als gewünscht verlaufe, oder "fühlen wir uns, auch wenn es für uns schwierig ist, Europa verpflichtet"? Merkel gibt die Antwort dann teilweise selbst: "Wir können jetzt zeigen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben."
Ritt durch viele Themen
Die eineinhalbstündige Fragerunde ist ein Ritt durch viele Themen des Regierungshandelns: Pflege, Klima, die Konsequenzen aus dem rechten Terror des NSU. Am häufigsten wird Merkel zu ihrem Verhältnis zu den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump, zu ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik und zum erst kürzlich beigelegten Streit mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefragt. Merkels Antworten haben oft einen Kern: ein Plädoyer für die Zusammenarbeit Europas und der internationalen Gemeinschaft.
So plädiert sie auch für eine gesamteuropäische Lösung in der Frage der Seenotrettung im Mittelmeer. Am 20. Juli wurde bekannt, dass Italien nach der Blockade ziviler Rettungsorganisationen offenbar auch keine Flüchtlinge mehr aufnehmen will, die von Schiffen der EU-Marinemission "Sophia" gerettet werden.
Italien habe in den EU-Gremien eine Diskussion darüber angestoßen, wie Solidarität Europas auch bei diesem Thema durchgesetzt werden könne, sagte Merkel. Das Land wolle nicht allein zuständig für alle ankommenden Geretteten sein. Es gehe also um eine Gesamtlösung, die es europäisch geben müsse. Merkel betonte zugleich, sie schätze die Arbeit ziviler Seenotretter. Gleichzeitig sei es wichtig, "dass Nichtregierungsorganisationen, die sich an Rettungen beteiligen, die Territorialgewässer Libyens respektieren". Wegen dieser Frage sehen private Retter in Malta derzeit Gerichtsverfahren entgegen.
Wie schwierig europäische Antworten in der Migrations- und Asylpolitik sind, zeigte aber nicht zuletzt auch der in Deutschland ausgelöste Streit um den Umgang mit Flüchtlingen, die in ein anderes als für sie zuständiges EU-Land weiterziehen. Zurückweisung an der Grenze - so sollte die Antwort der CSU und ihres Innenministers Seehofer aussehen. Merkel widersprach und machte noch einmal deutlich, dass das für sie eine Frage ist, die ihre Richtlinienkompetenz als Kanzlerin tangiere. Minister könne nur jemand sein, "der diese Richtlinienkompetenz auch akzeptiert", sagt sie.
Merkel: Sprache kann zu Spaltung beitragen
Merkel betont, der Streit in der Union sei "grundsätzlich" gewesen. Die Tonlage der Debatte, bei der auch von "Asyltourismus" die Rede war, kritisiert sie: "Die Tonalität war oft sehr schroff." Sprache könne zur Spaltung beitragen: "Ich glaube, dass es zwischen Denken, Sprechen und Handeln einen ziemlich engen Zusammenhang gibt."
Die Kanzlerin hat jetzt erst einmal Urlaub. "Die Zeiten sind fordernd", sagt Merkel. Sie könne nicht verhehlen, sich darüber zu freuen, jetzt etwas länger schlafen zu können. Ein müdes Lächeln erhält von ihr die Frage, wen sie lieber in den Urlaub mitnehmen wolle - US-Präsident Donald Trump, Seehofer oder den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Frage stelle sich nicht, sagt sie: "Urlaub ist Urlaub."