Man könnte eine Stecknadel fallen hören in der Werkstatt von Wagenbaukünstler Jacques Tilly in Düsseldorf. In höchster Konzentration legen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seines Workshops das in Knochenleim getränkte weiße Blumenpapier auf die Drahtskelette, die schon am nächsten Tag als bunt bemalte Skulpturen fertiggestellt werden sollen. Die acht Teilnehmer sind ganz in ihre Arbeit versunken. Der erste Figurenbau-Workshop für Wohnungslose bei Deutschlands prominentesten Karnevalswagenbauer dauert vier Tage, sechs Stunden täglich.

Es ist ein langer Weg von der Idee zur Skizze, über die Drahtfigur und das Kaschieren, bei dem der Maschendraht der Skulptur mit Papier oder Stoff verkleidet wird, bis hin zum Bemalen mit Acrylfarben und Fertigstellen. Auch Frustration und Misserfolge, Anstrengung und Erschöpfung gehören dazu. "Für unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist das eine große Herausforderung, eine so lange Zeit konstant an einem Thema zu arbeiten", erklärt Georg Schmidt, Projektleiter der Diakonie Düsseldorf.

Aber an Tag drei des Workshops ist von Frustration oder Erschöpfung nichts zu spüren: In gespannter Aufmerksamkeit lauschen die wohnungslosen Teilnehmer Tilly, als er die Technik erklärt, und gehen dann an die Arbeit, die Hände voll weißem Leim. Magda macht ein Selbstporträt - sie sagt, sie sei ein nachdenklicher Mensch. Auch die kleine, kaum wahrnehmbare Warze an ihrem linken Kinn soll auf der Skulptur mit dem riesigen Frauen-Torso verewigt werden.

Nebenan müht sich Helga an ihrer lebensgroßen Blüte ab. "Ich habe ein paar Probleme, aber es geht", sagt sie stolz. Gestern hätte sie die Arbeit richtig in den Knochen gespürt. Konzentriert legt sie Streifen für Streifen des glitschigen Papiers auf die Blütenblätter. Eine Blüte aus Maschendraht zu formen, war für Helga schon ein Gemeinschaftswerk - ihre Mitstreiter haben dabei geholfen. Zum Dank hat sie ihr vorher gefertigtes Herz aus Draht weiterverschenkt.

Auch Peter hat sich viel vorgenommen mit der Skulptur eines lachenden Mädchens mit riesigen Schleifen im Haar. Geschickt kaschiert er die Figur. Die gesunde rechte und die irgendwann schwer verletzte linke Hand arbeiten harmonisch zusammen.

"Wir arbeiten zusammen und wir essen zusammen", erzählt Jacques Tilly, der sonst etwa die Figuren für den Düsseldorfer Rosenmontagszug gestaltet. Dass er bei dem Projekt für Wohnungslose mitmacht, war für ihn keine Frage. "Das ist einfach sinnhaft und eine gute Sache", sagt er schlicht.

Der Workshop begann mit einem Herz, das jeder als erste Figur gedrahtet hat. Ums Herz geht es überhaupt in dem Projekt: zusammen sein, etwas Produktives schaffen, auf das man stolz sein kann. "Die Idee ist, dass die Skulpturen bei der Auktion in der Fiftyfifty-Galerie in Düsseldorf im September ausgestellt und versteigert werden können", sagt Projektleiter Schmidt. Jeder Teilnehmer entscheidet aber selbst, was er damit machen möchte.

Möglich wurde das Projekt durch eine Spende der Düsseldorfer Vendus Gruppe, einem Beratungsunternehmen im Gesundheitsmarkt. "Jeder kann in die Situation hineinrutschen, wohnungslos oder obdachlos zu werden", begründet Geschäftsführer Guido Mecklenbeck das Engagement. "Nach dem Motto, lieber soziale Zwecke unterstützen, als Geld für Weihnachtsgeschenke auszugeben, möchten wir für Menschen auf der Straße Chancen schaffen, um durch solche Projekte aus dem Tal herauszukommen und das Leben anders gestalten zu können." Der Kreativ-Workshop schenkt den betroffenen Menschen vor allem neues Selbstvertrauen, etwas schaffen und durchhalten zu können.

Wenn an Tag vier des Workshops die Skulpturen fertig sind, gibt es nur noch ein Problem: Wo können die teilweise lebensgroßen Figuren bis zur Versteigerung im September untergebracht werden? Wer Lagermöglichkeiten hat, kann sich bei der Diakonie Düsseldorf melden.