Essen (epd). Der Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck warnt vor zu engen Vorgaben, was einen "echten Christen" ausmacht. "Wir sollten mit Pflicht- und Leistungskatalogen sehr, sehr vorsichtig sein und sie schon gar nicht primär moralisch füllen", sagte Overbeck dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag). Mit Blick auf die jüngst veröffentlichte Kirchenaustrittsstudie des Bistums Essen forderte der Bischof mehr Wertschätzung für den großen Anteil der selten oder gar nicht praktizierenden Katholiken. "Wir sollten es sehr zu schätzen wissen, dass sich mehr als 90 Prozent der Essener Katholiken zur Kirche gehörig fühlen oder sie zumindest finanziell unterstützen und fördern, obwohl sie sonntags in der Regel nicht zum Gottesdienst kommen und unsere Dienstleistungen höchstens punktuell in Anspruch nehmen."
Overbeck sprach sich für mehr Vielfalt in der katholischen Kirche aus, um die Mitglieder dauerhaft zu binden. "Die Formen der Verbundenheit oder des Zugehörigkeitsgefühls zur Kirche sind unendlich viel pluraler geworden, als wir in der Kirchenleitung uns das je gedacht hätten. Darauf müssen wir uns einstellen", sagte der Essener Bischof. Als Beispiel nannte er Segnungsgottesdienste für Neugeborene, deren Eltern keine Taufe wünschen. Nur die Taufe begründe die Mitgliedschaft in der Kirche, betonte Overbeck. "Aber unser Angebot nimmt jene ernst, die unsere Nähe suchen und den Segen Gottes für ihr Kind erbitten."
Laut der im Februar erschienenen Kirchenaustrittsstudie des Bistums Essen führen vor allem Entfremdung von der Kirche oder eine fehlende Bindung zum Austritt, aber auch die Ablehnung der kirchlichen Lehre etwa zu Homosexualität oder wiederverheirateten Geschiedenen. Die Studienautoren empfehlen der katholischen Kirche, sich insbesondere den Menschen zuzuwenden, die noch Kirchenmitglieder sind, aber keine Gottesdienste besuchen. Für die Studie "Kirchenaustritt - oder nicht? Wie die Kirche sich verändern muss" hatten Wissenschaftler im Auftrag des Bistums Essen Untersuchungen über Kirchenaustritte ausgewertet und ehemalige Katholiken befragt.