Rom (epd). Eine Gruppe Gläubiger aus Brasilien steht um den steinernen Sarg. Ein Mann legt seine Hand darauf und schaut minutenlang durch die Glaswand ins beleuchtete Innere auf den Jungen, der darin gebettet ist. Gekleidet ist der Leichnam in einer dunkelblauen Jeans und einer blauen Joggingjacke, das dunkle volle Haar steht lockig von seinem Kopf. Er sieht aus wie ein normaler 15-Jähriger.

Doch normal ist hier nichts: Carlo Acutis ist am 7. September von Papst Leo XIV. heiliggesprochen worden. 2006 war Acutis im Alter von 15 Jahren an Leukämie gestorben. Erst seit April 2019 ist er im Sarg in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi bestattet. Seine Familie ließ den Leichnam nach Assisi bringen, was nach Auskunft der Familie seinem Wunsch entsprochen haben soll. In Assisi wurde Acutis im Jahr 2020 selig gesprochen. Acutis ist der erste aus der Generation der „Millennials“, der heiliggesprochen wurde.

Dieser habe als Kind und Jugendlicher „ganz natürlich Gebet, Sport, Lernen und Nächstenliebe miteinander verbunden“, sagte Papst Leo am 7. September in seiner Predigt während der Heiligen Messe, die vor rund 70.000 Gläubigen auf dem Petersplatz gefeiert wurde.

„Internet-Heiliger“

Der Mann, der so lange am Sarg des Jungen betete, hat Tränen in den Augen, als er den steinernen Sarg küsst und sich dann mit gebeugtem Kopf zum Ausgang begibt. Er kommt an einem Acutis-Pappaufsteller vorbei und an Acutis-Postern und -Broschüren, die in mehreren Sprachen ausliegen. Vor der Kirche steht eine Reisegruppe aus Kanada und lauscht ihrem Reiseführer, der die Geschichte des „Influencers Gottes“, wie ihn die italienischen Medien gerne nennen, erläutert.

Acutis galt als Computergenie und war am Aufbau religiöser Internetseiten beteiligt. Zu seinen Lebzeiten hat der „Internet-Heilige“, auch das einer seiner Titel, eine Auflistung eucharistischer Wunder angelegt, die heute auf einer Internetseite zusammengefasst aufrufbar ist.

Geboren wurde Acutis 1991 in London, wo seine Eltern damals lebten. Kurz darauf zog die Familie nach Mailand. Der Junge erhielt auf eigenen Wunsch im Alter von sieben Jahren die Erstkommunion. Als Jugendlicher engagierte er sich für arme Menschen und Obdachlose.

Um in der katholischen Kirche selig gesprochen zu werden, muss der Vatikan nach dem Tod ein Wunder anerkennen: Ein brasilianischer Junge, der an einer Bauchspeicheldrüsenkrankheit litt, soll nach einer Gebetsbitte im Jahr 2010 geheilt worden sein. Der Vatikan erkannte das im November 2019 als Wunder von Carlo Acutis an.

Wundersame Heilung

Im Mai 2024 erkannte Papst Franziskus das zweite Wunder an, das für eine Heiligsprechung notwendig ist. 2022 soll eine Schwerverletzte geheilt worden sein, nachdem ihre Mutter am Grab von Acutis für sie gebetet hatte. Die Heiligung der Frau sei medizinisch nicht erklärbar gewesen, heißt es.

Franziskus' Nachfolger, Papst Leo XIV., nahm am 7. September auch den Italiener Pier Giorgio Frassati in den Kreis der katholischen Heiligen auf. Er wurde 1901 in Turin geboren. Der Sohn von Alfredo Frassati, der die italienische Tageszeitung „La Stampa“ gründete und als Diplomat unter anderem als Botschafter in Berlin tätig war, engagierte sich früh und ohne das Wissen seiner bürgerlichen Familie für Arme und Kranke.

1925 starb Frassati an Kinderlähmung, woran er nach einem Besuch in einem Elendsviertel erkrankt war. Frassati wurde 1990 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen worden. Auch er soll als Heiliger vor allem für junge Gläubige eine Inspiration sein. Doch der Star des Tages wird wohl Carlo Acutis sein.

Die Marketing-Maschine läuft seit Jahren - auch in Rom sieht man im aktuell laufenden Heiligen Jahr Menschen aus aller Welt in Acutis-T-Shirts. Eine Heiligsprechung ist stets mit Kosten verbunden, die von jenen getragen werden, die den Kandidaten vorschlagen. Der Vatikan selbst prüft lediglich den Antrag. Kirchenrechtliche Anwälte, Theologen, medizinische Gutachter oder Übersetzer müssen bezahlt werden. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, Schätzungen gehen von 50.000 bis 250.000 Euro aus, die ein Prozess der Heiligsprechung kostet.

Nur wenige Meter von der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi entfernt findet sich die Via San Francesco. Hier reiht sich ein Souvenirladen an den nächsten. In den Auslagen allgegenwärtig: das Porträt des Internetapostels in einem roten Poloshirt. Von Magneten über T-Shirts bis zu Baumwoll-Beuteln wird dort alles Mögliche zum Verkauf angeboten: Ein Baumwoll-Beutel kostet 6,50 Euro.