Heppenheim (epd). Auf dem Gelände der ehemaligen Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim erinnert seit dieser Woche ein Mahnmal an die Kinder und Jugendlichen, die dort Opfer sexualisierter Gewalt wurden. „Wir dürfen niemals vergessen, was hier passiert ist“, sagte der hessische Landtagsabgeordnete und Mitinitiator des Mahnmals, Marcus Bocklet (Grüne), am 18. November im Heppenheimer Stadtteil Ober-Hambach. An der Odenwaldschule, die als Vorzeigeinternat der Reformpädagogik galt, waren über Jahrzehnte hinweg Hunderte Schüler und Schülerinnen systematisch sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung zu Fragen des sexuellen Missbrauchs, Kerstin Claus, betonte bei der Einweihung des Mahnmals, dass die Übernahme von Verantwortung nie enden dürfe. Sie finde es „verstörend, dass keiner der Täter strafrechtlich belangt wurde“. Das Mahnmal symbolisiere „die Allmacht der Täter und das Ausgeliefertsein der Opfer“.

Künstler selbst Missbrauchsbetroffener

Der Entwurf für das Mahnmal stammt vom Künstler Adrian Koerfer, der selbst Missbrauchsbetroffener und ehemaliger Vorsitzender des Vereins Glasbrechen ist. Frühere Schüler der Odenwaldschule hatten den Verein 2010 gegründet. „Kindesmissbrauch ist Seelenmord“, sagte Koerfer. Das Land Hessen und der Landkreis Bergstraße haben das Mahnmal auf dem einstigen Internatsgelände mit mehr als 50.000 Euro unterstützt. Die Stadt Heppenheim soll künftig bei der Pflege helfen.

Das Mahnmal besteht aus drei aneinandergelehnten Stahlplatten in der Form übergroßer Türblätter, jeweils mehr als drei Meter hoch. „An den oberen Enden der Platten sind insgesamt neun Türgriffe zu sehen - unerreichbar für Kinder oder Heranwachsende“, erklärte Koerfer seine Idee hinter dem Werk. Die Platten bilden außerdem einen geschlossenen Raum. Das solle deutlich machen, dass es sich bei allen Missbrauchssystemen um geschlossene Systeme handele. Damit stehe sein Entwurf auch für „die Opfer in Familien, Kirchen oder Sportvereinen, weil das alles geschlossene Systeme sind“, sagte Koerfer dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Sorge vor dem Vergessen

„Meine Befürchtung war, dass das Ganze dem Vergessen anheimfällt“, sagte Koerfer. Er erinnerte an die unzähligen Täter und Täterinnen sowie Tausende Gewalttaten an Schutzbefohlenen über Jahrzehnte hinweg und betonte: „Es ist das erste öffentliche Mahnmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das vom Land, vom Kreis und von der Stadt Heppenheim bezahlt wird in Anerkennung der eigenen Schuld, des Versagens der eigenen Behörden und Aufsichtsämter.“

Über den jahrelangen Missbrauch an der Odenwaldschule setzte erst 2010 eine öffentliche Diskussion und Aufarbeitung ein. Bei den Tätern handelte es sich zumeist um frühere Lehrer, zentrale Figur war der langjährige Schulleiter und renommierte Pädagoge Gerold Becker (1936-2010). Bereits seit 2010 gibt es auf dem Gelände einen Gedenkort, den Betroffene gestaltet hatten, bevor die Schule 2015 wegen Zahlungsunfähigkeit den Betrieb einstellte.

Kritik vom Verein Glasbrechen

Der Verein Glasbrechen äußerte Kritik an der Errichtung des Mahnmals. „Aber es gab eine Mehrheit dafür, und der haben wir uns gebeugt“, sagte Johannes von Dohnanyi, Zweiter Vorsitzender des Vereins, dem epd im Oktober. Auf Anfrage teilte der Verein nun weiter mit, sich eine andere Stelle für das Mahnmal, beispielsweise Wiesbaden, gewünscht zu haben. Weder den bereits Verstorbenen noch den Überlebenden nutze ein weiterer Hinweis auf die Taten und auf das Versagen der Aufsichtsbehörden im Odenwald. Zur Einweihung des Mahnmals machte der Verein mit Schildern auf diese Position aufmerksam.

Das Gelände der Odenwaldschule wird heute als Wohnpark genutzt. Der alte Gedenkort liegt im Wald, das neue Mahnmal steht nahe der Einfahrt zum Wohnpark