Nürnberg (epd). Das erste, worüber Sabal Phyu Nu sich nach ihrer Ankunft in Deutschland gefreut hat: endlich wieder ohne Alpträume schlafen können. „Als wir in Deutschland ankamen, fühlte ich sofort: Das ist ein sicherer Ort für uns“, sagt die neue Stipendiatin der Schriftstellervereinigung PEN. Die 44 Jahre alte Autorin hat nach der Flucht aus ihrem Heimatland Myanmar belastende Jahre hinter sich.
Wenn Sabal Phyu Nu davon erzählt, wie sie 2022 mit ihrer damals vier Jahre alten Tochter außer Landes floh, bündelt sie die Angst und Schrecken dieser Zeit in ihren Worten. Anzumerken sind ihr die tiefen Wunden kaum. Die kleine zierliche Frau mit den glatten dunklen Haaren lacht viel, während sie spricht.
Ihre Wohnung in Süddeutschland, in der sie zum Interview empfängt, ist gemütlich eingerichtet. Auf dem Tisch steht Tee für den Besuch. Als die Frage nach der Toilette aufkommt, verweist die Autorin lachend auf Zimmer „Nummer 4“. Ihre Tochter spiele aktuell in der Wohnung „Hotel“, weswegen an jeder Türklinke ein bemaltes Schild mit einer Nummer befestigt sei.
Tochter musste Folter der Mutter mit ansehen
Die Tochter war es, die Sabal Phyu Nu letztlich zur Flucht bewog. Die Kleine habe miterlebt, wie Soldaten sie verfolgten und folterten, sagt die Autorin. Eines Nachts, im September 2021, habe die Tochter das sogar mit ansehen müssen. Sie habe danach zwei Wochen am Stück nicht aufgehört zu zittern. Das sei der Punkt gewesen, berichtet Phyu Nu, an dem sie sich entschieden habe zu gehen.
Das Militär in Myanmar putschte sich im Februar 2021 an die Macht und schlug Proteste mit aller Gewalt nieder. Bis heute gehen die Streitkräfte brutal gegen Oppositionelle vor. Phyu Nu setzte sich damals für kleinere Spendensammelaktionen für Binnengeflüchtete ein, weswegen sie mutmaßlich die Aufmerksamkeit des Militärs auf sich zog. Zudem war Phyu Nu in ihrer Heimat damals kein unbekanntes Gesicht: Für ihren Debütroman „Northerly Lapse of Nostalgia“, in dem sie eindrucksvoll von den Nöten Vertriebener durch den Bürgerkrieg im burmesischen Kachin-Staat erzählt, hatte sie 2014 den Nationalen Literaturpreis Myanmars erhalten.
Angst vor Verrat in Thailand
Die erste Station nach ihrer Flucht war für Phyu Nu und ihre Tochter Thailand. Doch dort blieb die Angst, verraten zu werden. Der Druck war groß, nicht aufzufallen. Sie habe versucht, sich durch viel Arbeit abzulenken, sagt die Schriftstellerin. Das Schreiben habe jedoch nicht funktioniert - und das sei schließlich für sie „alles und wie Luft zum Atmen“. Trotz der Missbilligung ihrer Eltern, als sie jünger war, habe sie nie damit aufhören können und schon während ihres Anglistik-Studiums angefangen, Gedichte zu schreiben.
„Ich erinnere mich, wie ich zu meinem Vater sagte: Jetzt ist es gerade, als ob ich tot wäre, weil ich nicht mehr schreiben kann“, sagt Phyu Nu über die Zeit in Thailand. Ein Freund habe sie dann auf die Arbeit des PEN-Zentrums aufmerksam gemacht. Dessen „Writers-in-Exile-Programm“ bietet Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus aller Welt, die in ihren Herkunftsländern verfolgt werden, einen maximal dreijährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik.
„Vielleicht fängt sie an, hier glücklich zu sein“
Seit dem Sommer ist Phyu Nu in Deutschland. Sie beginnt aufzuatmen und langsam die traumatisierenden Erlebnisse mit der Tochter aufzuarbeiten. „Als sie mich gefoltert haben vor ihren Augen, wurde sie zu einer Art Zeugin der Szene, aber sie erinnerte sich an nichts davon“, sagt die Mutter. Das Mädchen habe wohl aufgrund einer schweren Traumatisierung vieles verdrängt. Inzwischen könne sie mit ihr über die Vergangenheit reden und gemeinsam nach vorne schauen.
Anfangs sei die Tochter gegenüber ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in Deutschland sehr schüchtern gewesen. „Doch nach zwei Wochen hat sie sich morgens nicht mal mehr nach mir umgesehen“, erzählt Phyu Nu. „Zuerst war ich schockiert, doch dann habe ich realisiert: Vielleicht fängt sie langsam wirklich an, hier glücklich zu sein.“
Auch Sabal Phyu Nu möchte in Deutschland die vergangenen Jahre verarbeiten und an ihren Memoiren schreiben. Diese sollten ursprünglich mit ihren Foltererfahrungen anfangen, das sei jedoch noch zu schwer für sie. Dann kommt der Blick in die Zukunft. „Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich unsere Zukunft gestalten werde“, sagt die Autorin. „Ich möchte zurückkehren, aber erst, wenn der Krieg vorbei ist und alle Burmesinnen und Burmesen wieder in Frieden leben können.“