Nairobi/Arusha (epd). Simon Maginga sitzt an seinem Spinnrad, gebaut aus einer Fahrradfelge. Geschmeidig fließt die Baumwolle durch die Hände des 43-Jährigen und wird zum Faden. 2016 verlor Maginga bei einem Unfall beide Beine, bis dahin hatte er als Bauarbeiter gearbeitet. „Ohne Beine findet man keine Arbeit“, war lange die bittere Erfahrung des Tansaniers. Doch dann stieß er auf Shanga: In den Werkstätten am Stadtrand von Arusha arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung, die sich für Kunst begeistern. Aus allen möglichen, zum Teil recycelten Materialien entstehen Glaskunst, wunderschöne gemusterte Decken, Taschen oder Schmuck.

Shanga ist für Maginga mehr als nur ein Arbeitsplatz. Das Team hat ihm seine ersten Prothesen vermittelt - und einen Spender für ein dreirädriges Motorrad gefunden, mit dem er jetzt die acht Kilometer von zuhause zur Arbeit kommt. Die Kollegin, die ihm gegenübersitzt, ist gehörlos. Maginga hat über die Jahre ein paar grundlegende Gebärden gelernt. Wöchentlich gibt es Gebärdensprachenunterricht für alle interessierten Angestellten - und für die Stärkung des Miteinanders. „Hier ist ein Ort der Freundlichkeit“, sagt Maginga.

Mehr als vier der rund 65 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Tansanias leben mit einer Behinderung. Sie kämpfen oft gegen Stigma und Ausgrenzung. Eigentlich gibt es ein Gesetz, das Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten vorschreibt, mindestens zwei Prozent Mitarbeitende mit Behinderung einzustellen. Doch in der Praxis wird das selten umgesetzt. Viele Menschen mit Behinderung sind deswegen auf Unterstützung angewiesen oder finden Beschäftigung bei Projekten, die sich vielfach durch Spenden finanzieren. Bei Shanga ist das anders, weil das Unternehmen aktiv auf den Tourismusmarkt zielt.

Glaskunst aus alten Weinflaschen

Am späten Vormittag herrscht geschäftiges Treiben in den Shanga-Werkstätten. Die großen Holztüren der Gebäude stehen zum Hof hin offen, in den Bäumen klimpert Glaskunst im sanften Wind. Besuchergruppen sehen sich um. Es ist Spätsommer und Reisezeit in Europa, der Parkplatz ist voll mit Safari-Jeeps.

Der Tourismus ist für Tansania, und besonders für die Region rund um Arusha, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Zahlen der Reisenden sind nach der Pandemie angestiegen, knapp zwei Millionen Touristen besuchten das ostafrikanische Land 2023. Viele machen auf dem Weg in die Nationalparks Serengeti und Ngorongoro in Arusha Station, andere, bevor sie den Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas, erklimmen. Prognosen sagen voraus, dass der Tourismus 2025 rund knapp 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen wird. Davon hofft auch Shanga zu profitieren.

Hinter der Werkstatt liegen Tausende Flaschen - braune Bierflaschen der „Twiga“-Brauerei und südafrikanische Weinflaschen, die Hotels aus der Umgebung hier abgeben, damit sie zu Gläsern, Mobiles und Vasen verarbeitet werden können.

„Leben selbst in die Hand nehmen“

2007 wurde Shanga gegründet, nachdem eine Schmuckmacherin aus Arusha Ketten aus Glasperlen bei einem Weihnachtsmarkt verkaufte und plötzlich viele Bestellungen für mehr Ketten eintrudelten. „Shanga“ ist Suaheli und bedeutet „Perle“.

Bei den Perlen sitzt Simon Saruni, 47 Jahre alt. In aller Ruhe und Geduld fädelt er mit einer Besucherin aus Äthiopien Armbänder aus winzig kleinen Perlen auf. Eine Gelegenheit in Kontakt zu kommen, zu interagieren, auch über die Sprachbarriere hinweg. Alle könnten hier lernen, „dass es für Menschen mit Behinderungen möglich ist, ein normales Leben zu führen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Shanga-Managerin Dina Wilson. „Und wie Recycling zum Umweltschutz beiträgt.“

Mittlerweile ist Shanga ein erfolgreiches Sozialunternehmen. 52 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten hier, 32 davon haben eine Behinderung. Die Produkte werden im Laden vor Ort verkauft. Auch in Geschäften in Kenia, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und den USA sind sie erhältlich. Und der Online-Shop verschickt Ware in die ganze Welt.

Dynes Ngowo arbeitet in der Qualitätskontrolle und verpackt die Glasvasen so in den DHL-Karton, dass sie sicher am Ziel angelangen. Seit 2010 arbeitet sie bei Shanga und will gerne bleiben. „Anderswo findet man auch ohne Behinderung keinen Job im Kunstbereich“, meint sie