Karlsruhe, Berlin (epd). Die AfD hat keinen rechtlichen Anspruch auf die Besetzung von Ausschussvorsitzen im Bundestag. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 18. September, dass kein Verstoß gegen das Recht auf Gleichbehandlung einer Fraktion vorliegt, wenn von ihr bestimmte Kandidatinnen oder Kandidaten nicht in den Vorsitz gewählt werden. Die Karlsruher Richter wiesen auch die Klage gegen die Abwahl des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner vom Posten des Rechtsausschussvorsitzenden ab. (AZ: 2 BvE 10/21 und 2 BvE 1/20)
Brandner hatte 2019 im Kurznachrichtendienst Twitter (heute X) einen Post geteilt, in dem nach dem rechtsextremistischen Anschlag mit zwei Toten auf die Synagoge in Halle zwischen „deutschen“ Opfern und denen in Moscheen und Synagogen unterschieden wurde. Das Bundesverdienstkreuz an den Rocksänger Udo Lindenberg bezeichnete der Politiker als „Judaslohn“ für dessen Kritik an der AfD.
AfD sah Recht auf „gleichberechtigte Teilhabe“ verletzt
Brandner, der damals den Vorsitz des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags innehatte, wurde daraufhin im November 2019 abgewählt - ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch in der aktuellen Legislaturperiode wurde kein AfD-Kandidat zum Vorsitzenden in den Ausschüssen für Recht, Inneres, Gesundheit und Entwicklung gewählt.
Dagegen klagte die AfD. Sie hatte auf die Tradition verwiesen, wonach jede Fraktion entsprechend ihres Kräfteverhältnisses eine bestimmte Anzahl an Ausschussvorsitzenden „bestimmen“ könne. Würden ihre Kandidatinnen und Kandidaten nicht gewählt, werde ihr Recht auf „gleichberechtigte Teilhabe“, auf effektive Opposition und auf faire und loyale Anwendung der Bundestagsgeschäftsordnung verletzt.
Organklagen abgewiesen
Das Bundesverfassungsgericht wies beide Organklagen ab. Ein Recht auf Besetzung eines Ausschussvorsitzenden bestehe nicht, entschied es. Können sich die Fraktionen nicht auf einen Ausschussvorsitzenden einigen, muss er von den Ausschussmitgliedern gewählt werden. Dies könne nur eine freie Wahl sein, betonte das Gericht in Karlsruhe.
Eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer Kandidatin und ein Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis sei nicht zulässig. Die Abwahl von Brandner sei angesichts einer Reihe umstrittener Äußerungen von ihm nicht willkürlich gewesen, hieß es zur zweiten Klage.
Politiker der anderen Fraktionen begrüßten das Urteil. Der stellvertretende Vorsitzende im Innenausschuss, Lars Castellucci (SPD), sagte der „Rheinischen Post“ (Donnerstag), das Verfassungsgericht stärke mit dem Urteil das Parlament und die Rechte der Abgeordneten, „selbst darüber zu entscheiden, wer zum Ausschussvorsitzenden gewählt wird und wer nicht“.
„Urteil stellt klar, dass die Abgeordneten die freie Wahl haben“
Der amtierende Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Christoph Hoffmann (FDP), erklärte: „Niemand kann gezwungen werden, Abgeordnete einer Partei in Ämter zu wählen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde.“ Der Justiziar der Unions-Bundestagsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), sagte „Welt“: „Das Urteil stellt klar, dass die Abgeordneten die freie Wahl haben, welcher Person sie den Vorsitz in einem Ausschuss anvertrauen wollen.“
Der AfD-Politiker Brandner sprach dagegen von einem „schwarzen Tag für den Parlamentarismus in Deutschland“. Das Bundesverfassungsgericht habe „dem Bruch jahrzehntelanger parlamentarischer Traditionen“ einen „Persilschein“ erteilt, erklärte er: „Mehrheiten können sich in Demokratien ändern und die jetzigen Mehrheiten werden sich an diesem Urteil messen lassen müssen, wenn sie einmal in der Minderheit sind.“