Zerbst (epd). An der Ruine der St. Nicolai-Kirche in Zerbst (Sachsen-Anhalt) ist am 1. Juni ein Gegendenkmal zur Schmähplastik der „Judensau“ enthüllt worden. „Der Antisemitismus ist eine Schuld, die wir als Christenmenschen seit Jahrhunderten mit uns tragen“, sagte der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, bei der Enthüllung der Stele, die von dem Künstler Hans-Joachim Prager gestaltet wurde.
Der Kirchenpräsident nutzte die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Kritik an der Haltung der Kirche im Verhältnis zu den Juden. „Der Antisemitismus ist seit dem vierten Jahrhundert Teil der christlichen DNA“, sagte der leitende Geistlicher der anhaltischen Landeskirche. „Als Kirchenpräsident, aber auch ganz persönlich bitte ich alle Opfer um Vergebung - wohlwissend, dass das Leid damit nicht geschmälert wird“, sagte Liebig.
Der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) betonte, die Diskussion sei vor allem durch eine ähnliche Schmähplastik an der Stadtkirche von Wittenberg angestoßen worden. „Wir können es nicht ungeschehen machen, wir müssen uns damit auseinandersetzen“, sagte der Bürgermeister. Die Stele stelle sich dem Betrachter buchstäblich bei der Betrachtung der Schmähplastik in den Weg und solle ein Ort werden, der zu Diskussionen anregt.
„Nicht tolerierbares Zeichen des Hasses“
Dazu rief auch der Künstler Prager auf. „Wir erhalten hier die Möglichkeit, in einen Diskurs einzutreten, der durch Worte in die Gesellschaft hineingetragen wird“, sagte er. Bei der Gestaltung des Denkmals sei ihm wichtig gewesen, „dass jeder Mensch an dieser Stelle spürt, dass er in seiner Individualität angenommen wird.“ Rund um die Stele könne ein Ort der Versöhnung, ein Friedensplatz entstehen.
Der Pfarrer der Kirchengemeinde St. Nicolai und St. Trinitatis in Zerbst, Lutz-Michael Sylvester, wünscht sich ebenfalls an der Stelle einen Ort der Begegnung und Verständigung. Die Schmähplastik bezeichnete er als nicht tolerierbares Zeichen des Hasses, das nicht länger unkommentiert bleiben dürfe.
Die 125 Zentimeter hohe Stele mit dem Titel „Reflexion“ wurde von einer Jury unter zehn Wettbewerbsbeiträgen ausgewählt. Das Preisgeld für den Siegerentwurf liegt nach Angaben der Landeskirche bei 1.000 Euro. Für die zweit- und dittplatzierten Entwürfe gab es je 500 Euro.
Das Kunstwerk ist als Lesepult gestaltet, wie es auch in einer Synagoge zu finden ist. An der Stirnseite ist der erste Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ angebracht. An allen vier Seiten sind die Namen der Zerbster Jüdinnen und Juden aufgeführt, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Darunter steht an der Stirnseite der Bibelspruch aus dem Alten Testament „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“.
Die Schmähplastik an der Kirche aus dem Jahr 1450, auf die sich das Gegendenkmal bezieht, zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Sie ist an einem Pfeiler auf vier Metern Höhe angebracht. Die Kirche aus dem 12. Jahrhundert wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Sie ist sie seitdem eine gesicherte Ruine mit offenem Kirchenschiff.