Berlin (epd). Gewalt unter der Geburt. Das scheint wie ein Widerspruch in sich, ist doch die Geburt eine absolut intime und herausfordernde Situation im Leben einer Frau. Da sollte sie die beste Unterstützung und den Zuspruch bekommen, den sie braucht. Dennoch: Viele Frauen berichten davon, dass sie unter der Geburt gewaltsame Erfahrungen gemacht haben.

Anke ist eine von ihnen. Bei der Geburt ihres ersten Kindes in einer Klinik in Brandenburg vor acht Monaten war sie 31 Jahre alt. Die Geburt wurde eingeleitet, sie dauerte 30 Stunden. Ihren Partner ließ die Klinik wegen der coronabedingten Einschränkungen erst zum Ende der Geburt zu ihr.

Sie konnte aufgrund einer Periduralanästhesie (PDA) zur Schmerzlinderung nicht mehr aufstehen, was ihr vorher aber nicht erklärt worden sei. „Ich lag die ganze Nacht allein mit Wehen im Kreißsaal mit einem dünnen Laken übergeworfen“, beschreibt sie den Alptraum, der die Geburt ihres ersten Kindes für sie war. Als ihr Freund zu ihr durfte, sei sie psychisch am Ende gewesen. „Ich konnte nicht mal mehr reden.“

Druck auf den Bauch

Am Ende wendeten Hebamme und Krankenschwester den umstrittenen Kristeller-Handgriff an, bei dem Druck von außen auf den Bauch der Gebärenden ausgeübt wird. „Hebamme und Krankenschwester haben zusammen fast auf meinem Bauch gesessen.“ Es kam die Saugglocke zum Einsatz. Ihr sei das Kind „aus dem Körper gerissen“ worden, so hat Anke es empfunden. Für sie war die Geburt schwer traumatisierend: „Über mich wurde einfach verfügt. Es gab keine Aufklärung.“

Einen Moment wird sie nie vergessen, wie sie sagt: Während ihrer 30-stündigen Geburt hätten sie fünf verschiedene Hebammen betreut. Die fünfte habe zu ihr gesagt: „Wenn du dich dabei sicherer fühlst, kann ich meine Unterlagen holen und hier bei dir bleiben. Dann stehen wir das zusammen durch.“ Das sei das erste Mal gewesen, sagte Anke, dass sie sich geborgen gefühlt habe. Diese Hebamme sei dann aber nicht wiedergekommen, es kam eine andere Kollegin zur Geburt.

Tanja Sahib ist Psychologin und Traumatherapeutin. Seit 20 Jahren begleitet sie Frauen wie Anke nach einer traumatischen Geburt. In ihrem Buch „Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht“, beschreibt Sahib, wie Frauen traumatische Geburtserfahrungen bewältigen können. „Was die Frauen verbindet, ist ein grenzenloses Entsetzen über das, was ihnen passiert ist“, sagt sie. Die Folgen für viele Frauen seien klassische posttraumatische Symptome, wie Taubheit, nichts mehr richtig fühlen zu können, Alpträume, Panikattacken und Flashbacks.

„Wie vom Lkw überrollt“

Auch Frida, die eigentlich anders heißt, kennt das. Die heute 48-Jährige hat vor fast 25 Jahren ihren ersten Sohn zur Welt gebracht. Über die Geburt sagt sie heute noch: „Wenn ich über die Zangengeburt rede, fühlt es sich an, als würde ich vom Lkw überrollt.“ 20 Jahre lang hätten Alpträume sie begleitet. Bei ihrer ersten Geburt war sie 23 Jahre alt. Das Baby wurde mit einer Geburtszange geholt, hatte die Nabelschnur um Hals und Körper gewickelt. Für sie ist klar: „Es ging nicht anders.“ Der Arzt habe ihr und ihrem Kind das Leben gerettet. Trotzdem sei die Geburt traumatisch gewesen.

„Was alle Frauen zuerst brauchen, ist, dass man ihnen zu hört und glaubt“, sagt Psychologin Sahib: „Sie müssen die ganze Geschichte erzählen können.“ Für viele Frauen sei es sehr hilfreich, den Geburtsbericht zu lesen und ein Gespräch in der Klinik zu führen.

Auch der Deutsche Hebammenverband (DHV) kennt das Thema. „Keine Frau darf während der Geburt Gewalt erfahren. Das dürfen wir nicht akzeptieren“, sagt Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer. Die ethischen Richtlinien des Verbands verpflichteten alle im DHV organisierten Hebammen, jegliche Form von Gewalt zu vermeiden. In einem Positionspapier kritisiert der Verband „berufsübergreifenden Personalmangel“, der zu einer „permanenten Überforderung und Stresssituation der in der Geburtshilfe tätigen Personen“ führe.

Lea Beck-Hiestermann forscht zur Gewalt unter der Geburt. Die Doktorandin an der Psychologischen Hochschule Berlin hat für eine Teilstudie, die noch nicht publiziert ist, über 1.000 Mütter im ersten Jahr nach der Geburt online befragt. Das Ergebnis: 53,2 Prozent der Frauen gab an, mindesten eine Form von Gewalt erlebt zu haben. Dazu zählten beispielsweise Dammschnitte und der Kristeller-Handgriff, die als physische Gewalt empfunden werden, aber auch psychische Gewalt, etwa, wenn die Frau nicht ernst genommen werde, sowie Vernachlässigung und eine Störung der Mutter-Kind-Beziehung. „Diese Zahlen sind alarmierend. Das Thema sollte nicht klein geredet werden“, sagt Beck-Hiestermann.

Erst nach Stunden den Sohn gesehen

Auch Johanna, die Ärztin ist und eigentlich einen anderen Namen trägt, gibt an, dass die Geburt ihres ersten Kindes sehr belastend war. Ihr Sohn musste nach einer ungeplanten Kaiserschnittgeburt in eine Kinderklinik verlegt werden. Die junge Frau lag allein in einem Raum, konnte sich durch die Narkose des Kaiserschnitts nicht bewegen, das Baby war weg, wie sie erzählt. Eine Klingel habe es nicht gegeben. Ihr Eindruck: „Man hat mich einfach vergessen.“

Sechs Stunden später sei sie in die Klinik verlegt worden, in der auch ihr Sohn behandelt wurde. „In meiner Wahrnehmung waren das acht Jahre.“ Für sie ist das Erlebte keine Gewalt. Aber sie sagt: „Das System ist krank. Es gibt einfach keine Zeit.“ Für Traumatherapeutin Sahib ist klar: „Eine Frau hat das Recht, darauf zu vertrauen, dass sie gut begleitet wird.“