Barsinghausen (epd). René Gerhard hat Gummihandschuhe übergezogen. Mit sanftem Griff drapiert er die Hände des Verstorbenen, der im Holzsarg vor ihm liegt. Dann kämmt er dem Mann vorsichtig das Haar. Der Umgang mit Toten ist dem Bestatter aus Barsinghausen bei Hannover vertraut. Doch in der Corona-Pandemie ist die Belastung gestiegen, und die Bestattungskultur hat sich gewandelt, sagt der 31-Jährige.

Gerhard hat die leeren Wohnbereiche in einigen Altenheimen noch vor Augen, wenn er an die bislang heftigste Phase der Pandemie zurückdenkt. Zur Jahreswende traf das Virus mehrere Heime in Barsinghausen und Umgebung, wo er mit seiner Ehefrau Denise das Bestattungsunternehmen Bierbrauer führt. „Das war wirklich krass“, sagt er. Die aktuell steigenden Infektionszahlen machen ihm Sorgen.

Die Angehörigen habe es seelisch schwer belastet, wenn sie Menschen beim Sterben in den isolierten Pflegeheimen nicht begleiten konnten, sagt Gerhard: „Viele Leute mussten einsam sterben. Das lässt dich als Kind oder Ehegatte nicht los.“ Bei verstorbenen Corona-Infizierten konnten sich Angehörige wegen der Infektionsgefahr nicht mehr am offenen Sarg verabschieden. „Das wünscht man keinem.“

Todesfälle nicht zu sehr an sich ranlassen

Auch als Bestatter musste Gerhard mit der neuen Situation einen Umgang finden, ebenso für die richtige Balance aus Nähe und Distanz: Einerseits habe er sich und seine Mitarbeitenden schützen wollen, andererseits lasse sich ein Trauergespräch eben nicht einfach am Telefon führen, sagt er: „Du musst die Leute sehen, du musst mit den Leuten sprechen, die wollen aufgefangen werden.“

Dennoch hat Gerhard auch unter den erschwerten Corona-Bedingungen versucht, die Todesfälle nicht zu sehr an sich ranzulassen. „Sonst geht man daran kaputt.“ Für sich sucht er einen nüchternen Umgang: „Am Tod eines Menschen kann ich als Bestatter ja nichts mehr ändern, nur ihm so gut wie möglich etwas Gutes tun.“ Darüber hinaus ist es ihm wichtig, von dem Beruf auch abzuschalten, vor allem von der ständigen Erreichbarkeit: Dafür geht er laufen, arbeitet handwerklich und trainiert Thaiboxen.

René und Denise Gerhard müssen dank der Impfungen inzwischen deutlich weniger Corona-Tote beisetzen - auch in der aktuell rasant wachsenden vierten Welle. Unabhängig vom Infektionsgeschehen ist der Bestatter sicher, dass einige Trends in der Bestattungskultur fortbestehen werden, die ursprünglich aus der Not heraus entstanden sind. „Die Art des Abschieds hat sich doch geändert.“

Videos oder Livestreams von Beerdigungen gehören inzwischen zu seinem Angebot. Das sei vor allem für Angehörige interessant, die nicht an einer Trauerfeier teilnehmen können. Eine Beerdigung hat sein Unternehmen sogar auf die Philippinen übertragen.

An einigen Neuerungen findet Gerhard auch selbst Gefallen. Trauerfeiern einfach draußen stattfinden zu lassen, ist ein Beispiel dafür. „Das war so schön“, sagt er, während er Kunstblumen auf den Särgen in seiner Ausstellungshalle dekoriert. „Du warst in der Natur, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten. Das ist so eine Sache, die wir, glaube ich, auch in den nächsten Jahren so beibehalten werden.“

Dass die Gästezahl bei Trauerfeiern lange Zeit begrenzt war, habe viele Familien durchaus belastet, sagt er. Mehr und mehr Angehörige entschieden sich aber mittlerweile für intimere Feiern im kleinen Kreis, auch um in ihrer Trauer unbeobachtet zu bleiben: „Wenn die Leute unter sich sind, können sie so sein, wie sie sind.“

René Gerhard schließt daraus nicht, dass die Pandemie eine „Privatisierung der Trauer“ fördere. Davor hatte im vergangenen Jahr etwa Hannovers evangelische Regionalbischöfin und Ethikratsmitglied Petra Bahr gewarnt. „Ich erlebe das komplett umgekehrt“, sagt Gerhard. Schon vor Corona hätten sich Menschen zunehmend offener mit Trauer und Sterben auseinandergesetzt. Immer mehr von ihnen ließen sich von ihm beraten, weil sie frühzeitig ihr Testament, ihre Vorsorgevollmacht und ihre Patientenverfügung schreiben wollten.

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