Hannover (epd). Das Setting wirkt wie ein ganz normaler Gottesdienst. Blaue Scheinwerfer beleuchten den Altarraum, die Sonne scheint durch orange-gelb-blaue Kirchenfenster. Über dem Altar hängt an Stahlseilen ein Metall-Kreuz mit einem aufrechten Jesus aus Bronze. Doch dann dröhnt basslastige Metal-Musik aus den Boxen: Gitarren, Keyboard, Schlagzeug, der Sänger 'shoutet' den englischen Text.
Die Kirche ist voll. Rund 250 Menschen sitzen in den Reihen der Auferstehungskirche, besuchen den Metal-Gottesdienst auf dem 39. Evangelischen Kirchentag in Hannover. Dieser Gottesdienst ist einer von mehreren experimentellen Gottesdienst-Formen. Dafür soll der Kirchentag eine Plattform bieten. So gibt es unter anderem Gottesdienste im Dunkeln, einen Fußball- und einen Taylor-Swift-Gottesdienst.
Musik röhrt düster und kraftvoll
In der Auferstehungskirche liest Pastor Christian Rebert im Wechsel seine Predigt und Bibelstellen vor, dann folgt der passende Song auf Englisch. Es geht um Schuld, Schmerz und Reue, Petrus‘ Verrat an Jesus „ehe der Hahn kräht“ und den Judaskuss. „Judas mag so gebetet haben, wie der Song von In Flames 'All the pain'“, sagt Rebert, der in der Gemeinde Wienhausen bei Celle arbeitet.
Die Musik röhrt düster und kraftvoll in den Kirchenraum. Sie verdeutlicht den Tiefgang und die Schwere der Geschichten von Petrus und Judas. Die Schuld, die sie auf sich geladen haben. Das Leid, das sie sich damit aufgebürdet haben.
Vogelgezwitscher und knackende Äste
Ganz anders ist die Stimmung beim Wald-Gottesdienst im hannoverschen Stadtwald Eilenriede: Umgeben vom Grün der Blätter zwischen Vogelgezwitscher und dem Knacken der Äste singen rund 40 Menschen 'Komm Herr, segne uns'.
Die Wald-Gottesdienste werden von rund sieben überkonfessionellen Ehrenamtlichen aus dem Raum Hannover abwechselnd geleitet - jeden ersten Freitag im Monat. Sie seien an keine Gemeinde gebunden, erzählt der Ehrenamtliche Detlev Matalla. Seine Frau Susanne Matalla erklärt in ihrer Ansprache, es gehe darum, im Wald „Unterstützung für die eigene und nicht nur für fremde Seelen“ zu bekommen.
„Wie eine Natur-Kathedrale“
Der Gottesdienst führt drei Kilometer durch den Stadtwald. Er bietet an verschiedenen Stationen Zeit zum Innehalten und ist interaktiv. In Anlehnung an das Kirchentagsmotto sollen die Teilnehmer sich in der Natur umschauen und die Frage beantworten, „was ist hier 'mutig - stark - beherzt'?“ Leonore Sell aus Bremen ist eine Buche aufgefallen. Trotz ihrer Versehrtheit treiben die Blätter weiter aus, beschreibt Sell den Baum.
Die 61-Jährige wollte den Gottesdienst im Wald unbedingt miterleben. Sie arbeitet im Friedwald in Schwanewede bei Bremen, begleitet dort Beisetzungen, bringt Namenstafeln an, sucht passende Bäume. Der Wald sei für sie ein Ort der Ruhe, er spiegele den „Kreislauf von Werden und Vergehen“ wider. „Die Bäume streben hoch, das ist wie eine Natur-Kathedrale“, sagt sie mit Blick auf das dichte Kronendach.
Diakonin plant Metal-Gottesdienste mit Live-Band
Einen Bezug zu ihrem Beruf hat auch Stefanie Tielke aus Minden, die am Metal-Gottesdienst teilnimmt. Während die meisten Besucher still auf den Bänken sitzen, nickt Tielke rhythmisch mit dem Kopf zur Musik. Die angehende Diakonin im Metal-Band-Shirt ist extra für den Gottesdienst zum Kirchentag gekommen. Sie möchte zukünftig auch selbst Metal-Gottesdienste planen und sich heute etwas abschauen. „Aber dann mit Live-Band“, sagt die 51-Jährige.
Ihr Partner, Steven Voßen, findet es toll, auf dem Kirchentag Leute kennenzulernen. „Dieses Gemeinschaftsbildende hat man nur noch bei Konzerten oder in kirchlichen Gemeinschaften.“
Für Pastor Rebert ist Religion ein Gefühl, „ein 'inneres Zumute-Sein'“. Er bezieht sich auf die Religionstheorie Friedrich Schleiermachers, wie er erzählt. Metal in seiner Gefühlsstärke könne dies abbilden, die Texte, die er im Gottesdienst verwende, seien inhaltlich anschlussfähig, sagt der 37-Jährige. „Es geht nicht darum, was Cooles zu machen, sondern in die Bibeltexte und Gebete hineinzuführen und dafür zu sensibilisieren.“