Nürnberg (epd). Posaunenchöre und spontane Chor-Performances in vollen U-Bahnen, Menschen mit grün-gelben Kirchentagsschals und Papphocker in Messehallen - all das gehört zu jedem Kirchentag. Das war beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg nicht anders, dem ersten nach Ende der Corona-Pandemie. Auch die „großen Themen“ sind da, sagt Kirchentagspräsident Thomas de Maizière. Außerhalb wie innerhalb des am Sonntag beendeten Protestantentreffens sind das: Ukraine-Krieg, Klimakrise, Kirche im Umbruch durch sinkende Mitgliederzahlen.

Dass deutlich weniger Tickets als zu vorigen Kirchentagen verkauft wurden, ist in Nürnberg kaum zu spüren. Die Plätze, Kirchenbänke und Messehallen sind trotzdem voll und die Stimmung sei sehr gut, ist allerorten zu hören. Der Kirchentag wird trotz geringerer Teilnehmerzahlen als Debattenforum gebraucht.

„Führen Diskussionen, die sonst nicht stattfinden“

„Wir führen Diskussionen, die sonst nicht stattfinden“, sagt Kirchentagspräsident de Maizière. Und das mit großem Respekt, wenngleich auch mal gepfiffen werde, fügt er hinzu. Wo sonst kommen im Zeitalter der Digitalisierung Zehntausende Menschen über fünf Tage in einer Stadt zusammen, aus ganz Deutschland, aus allen Altersgruppen, politischen Richtungen und sozialen Milieus, um über die drängenden Themen zu sprechen?

Erstmals sitzt etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit einer Vertreterin der „Letzten Generation“ auf einer öffentlichen Bühne, daneben Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser. Habeck ist das erste Regierungsmitglied, das öffentlich mit einer Vertreterin der umstrittenen Organisation diskutiert. Auch die Klimaaktivsten sind nach Nürnberg gekommen, um den Bahnhofsvorplatz lahmzulegen - unter ihnen sind Kirchenmitglieder und Kirchentagsteilnehmer. Damit ist Nürnberg mittendrin.

Nicht nur kommen der Manager eines Riesen-Konzerns, Spitzenpolitiker und außerparlamentarische Opposition untereinander ins Gespräch, sondern sie treffen dank Publikumsbeteiligung auch auf Lieschen Müller und Otto Schmidt aus Castrop-Rauxel. „Wir wollen den zivilisierten Dialog mit allen, die an einem Ziel interessiert sind und nicht an Ausgrenzung“, sagt die Kirchentagsgeneralsekretärin Kristin Jahn.

Zustimmung für Waffenlieferungen

Das funktioniert auch beim Thema Krieg und Frieden, bei dem die evangelische Kirche selbst gespalten ist. Beim Kirchentag diskutiert der oberste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Carsten Breuer, mit zwei evangelischen Bischöfen, darunter dem Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer. Breuer sagt - getreu dem Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“ - die Zeit sei jetzt, um Verantwortung zu übernehmen, denen zu helfen, die „unsere Hilfe jetzt brauchen“. Damit meint er auch Waffenlieferungen zur Verteidigung der von Russland überfallenen Ukraine. Kramer hingegen fordert, die Waffen sofort schweigen zu lassen, damit das Töten ein Ende habe.

In den 80er Jahren, in denen sich die Friedensbewegten auf dem Kirchentag sammelten, hätte es vermutlich Proteste gegen einen Bundeswehr-Generalinspekteur auf dem Podium gegeben. Heutzutage ist unter den Kirchentagsbesuchern die Zustimmung für Hilfe für die Ukraine auch durch Waffen zu spüren. Die alten Gewissheiten sind verschwunden und schaffen Raum für neue Argumente.

Kirchentag in „tiefem Reformprozess“

Der Kirchentag wandelt sich. Die Teilnehmer werden weniger und älter. Der Kirchentag sei derzeit in einem „tiefen Reformprozess“, sagt de Maizière. Im Herbst will das Kirchentagspräsidium daher eine neue Kirchentagsordnung beschließen. Die Änderungen werde man nicht in einem „Big Bang“ umsetzen, sie werden aber schon Folgen für die kommenden Kirchentage in Hannover 2025 und Düsseldorf 2027 haben.