Kirchentag

Kirchentag als Bühne der Politik




Bundeskanzler Scholz auf dem "Markt der Möglichkeiten" beim Kirchentag.
epd-bild/Thomas Lohnes
Klimaschutz, Gerechtigkeit, Umgang mit Flüchtlingen: Der evangelische Kirchentag sucht Lösungen für die globalen Herausforderungen. Das Protestantentreffen wird daher auch von vielen Politikern zum Austausch genutzt.

Nürnberg (epd). Der Krieg in der Ukraine und die Asylpolitik haben am Samstag weiter für Kontroversen auf dem evangelischen Kirchentag gesorgt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte in Nürnberg die Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie dienten dazu, dass sich die Ukraine gegen den russischen Angriff wehren könne. „Das kann und das soll sie ja“, sagte er unter großem Applaus des Publikums. Der Kirchentag geht an diesem Sonntag zu Ende.

Einzelne riefen „Verhandlungen jetzt“ von den Rängen. Scholz entgegnete den Protestrufern, Verhandlungen seien „okay“. Die Frage sei nur, mit wem und worüber. Über „Außenpolitisches Handeln in der Zeitenwende“ wollten am Samstagabend bei dem Protestantentreffen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Altbundespräsident Joachim Gauck diskutieren.

Resolution gegen Verschärfung des Asylrechts

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, sprach sich für einen Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukraine-Krieg aus. Der Friedensnobelpreis für die EU verpflichte die Menschen in Europa, gegen Gewalt und Krieg einzustehen, sagte der mitteldeutsche Landesbischof am Samstag auf einer Friedenskundgebung in Nürnberg.

Auch der Umgang mit Flüchtlingen in Europa bestimmte am Samstag die politischen Diskussionen auf dem Kirchentag. Scholz rechtfertigte vor rund 5.000 Menschen in Nürnberg den Kompromiss der EU-Innenminister zur Reform des europäischen Asylsystems. „Es geht um Solidarität“, sagte Scholz. Der Kanzler erhielt auch hier Applaus, aber auch Protestrufe aus dem Publikum.

Gegen die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts protestierten Kirchentags-Teilnehmende mit einer Resolution. Darin wenden sie sich gegen einen „Ausverkauf der Menschenrechte“ und einen „Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht“. Ein zentraler Punkt der EU-Asylreform ist die Einführung von Verfahren an der europäischen Außengrenze.

Merz hadert mit Missbrauchs-Aufarbeitung

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte in Nürnberg eine „vorbeugende, aktivierende Sozialpolitik und mehr Angebote zur Armutsprävention“. Dazu gehört aus seiner Sicht auch, einen „Bildungsaufbruch“ zu organisieren und die Zahl der Schüler ohne Abschluss zu reduzieren, „statt später mit viel Geld soziale Missstände zu reparieren“.

Zum Thema Missbrauch sagte der CDU-Chef und Katholik Friedrich Merz, ihn beschwere und belaste der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen sehr. Gerade eine solche Institution müsse „in der Lage sein, anders damit umzugehen“ und solche Vorgänge aufzuarbeiten. Andernfalls verliere sie Vertrauen, sagte Merz auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse.

De Maizière: „Zu schwierigen Themen einen Rahmen schaffen“

In einer Bilanz zum Abschluss zeigten sich die Veranstalter zufrieden über die Streitkultur und die Atmosphäre während der Großveranstaltung. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière nannte es am Samstag in Nürnberg „bewegend und beeindruckend“, immer wieder volle Kirchen und Plätze in der fränkischen Stadt zu erleben. Der Kirchentag sei imstande, „für Menschen und zu schwierigen Themen einen Rahmen zu schaffen“.

Neue Besucherzahlen legten die Veranstalter am Samstag nicht vor und verwiesen auf das Ende des fünftägigen Kirchentages unter der Losung „Jetzt ist die Zeit“ an diesem Sonntag. Bis zur Eröffnung des Protestantentreffens am Mittwoch waren 60.000 Tickets verkauft worden. Der Kirchentag ist in der Regel alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast.



Lob für Debattenkultur des Kirchentages



Nürnberg (epd). Die Veranstalter des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages haben sich zufrieden über die Streitkultur und die Atmosphäre während der Großveranstaltung gezeigt. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière nannte es am Samstag in Nürnberg „bewegend und beeindruckend“, immer wieder volle Kirchen und Plätze in der fränkischen Stadt zu erleben. Er lobte auch die hohe Debattenkultur bei der christlichen Großveranstaltung in Nürnberg.

Der Kirchentag fühle sich geehrt, dass neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter anderem auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu den Gästen gehörte. Der Umgang miteinander sei dabei „sehr respektvoll und ruhig, zuhörend“ gewesen. Trotz einiger Zwischenrufe und Protestplakaten vor der Halle sei der Kirchentag imstande, „für Menschen und zu schwierigen Themen einen Rahmen zu schaffen“. Kirchentagspräsident de Maizière fügte hinzu: „Man geht hier anders miteinander um als sonst im harten politischen Geschäft.“

„Etliche überfüllte Hallen“

Neue Besucherzahlen legten die Veranstalter am Samstag nicht vor und verwiesen auf das Ende des fünftägigen evangelischen Kirchentages am Sonntag. Bis zur Eröffnung des Protestantentreffens am Mittwoch waren 60.000 Tickets verkauft worden. Zu beobachten sind nach den Worten des früheren Bundesministers de Maizière neben einigen nicht so gut besuchten Veranstaltungen aber etliche „überfüllte Hallen“. Er zeigte sich zudem beeindruckt von der Gastfreundlichkeit der Gastgeberstadt und der Nürnbergerinnen und Nürnberger.



EKD-Synodenpräses Heinrich: "Politisch sein gehört zum Christ sein"



Berlin (epd). Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, hat die kontroversen Diskussionen beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg begrüßt. Es gebe unterschiedliche Positionen, sagte sie am Samstag im RBB-Inforadio zu Debatten über den Ukraine-Krieg: „Aber was uns eint, ist ein ernsthaftes Ringen um den richtigen Weg.“ Einigkeit bestehe im Bewusstsein, „dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss und dass wir geschlossen an der Seite der Angegriffenen stehen“.

Der Kirchentag zeige, was gesellschaftlichen Zusammenhalt ausmache. Er sei ein „Diskursraum“ für gemeinsame Diskussionen, in dem man nicht immer einer Meinung sei, aber wisse, was einen im Kern zusammenhalte. „Politisch sein gehört zum Christ sein“, sagte sie angesichts der Teilnahme unter anderem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Kirchentag.



Kirchentag: Teilnehmende beschließen Resolution gegen EU-Asylreform



Nürnberg (epd). Mit einer Resolution haben Teilnehmende des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg gegen die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts protestiert. Darin wenden sie sich gegen einen „Ausverkauf der Menschenrechte“ und einen „Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht“. Geflüchtete erwarte an den EU-Außengrenzen nach den Plänen künftig nur ein Schnellverfahren ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe: „Mit einem fairen rechtsstaatlichen Vorgang hat das nichts zu tun.“ Die Pläne führten „nur zu noch mehr Entrechtung von Schutzsuchenden“. Ihnen drohe ein „Horrorszenario“ mit Inhaftierung in Lagern.

Die Resolution wurde bei einer Veranstaltung im „Zentrum Menschenrechte“ des Kirchentages gefasst. Eine große Mehrheit der rund 500 Anwesenden stimmte dafür. Allerdings gab es auch zweistellige Zahlen von Gegenstimmen und Enthaltungen. Eine Gegenrednerin wandte ein, Verfahren an den Grenzen seien nur für Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive geplant.

Bis zu drei Monate in Lagern

Hinter der Resolution stehen die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche sowie die Organisationen „Sea-Watch“ und „Pro Asyl“.

Die EU-Innenminister hatten sich am Donnerstag darauf verständigt, das Asylrecht zu verschärfen. Ein zentraler Punkt ist dabei die Einführung von Verfahren an der EU-Außengrenze. Menschen, die aus Ländern kommen, aus denen nur wenige Flüchtlinge in Europa anerkannt werden, müssen demnach künftig bis zu drei Monate in Lagern oder Einrichtungen an den Außengrenzen ausharren, bis ihr Verfahren abgeschlossen ist. Sie sollen von dort aus zurückgeschickt werden, wenn sie kein Bleiberecht erhalten.



EKD-Friedensbeauftragter plädiert für Waffenstillstand in Ukraine




Bischof Kramer auf der Friedensdemonstration
epd-bild/Friedrich Stark

Nürnberg (epd). Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, hat sich für einen Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukraine-Krieg ausgesprochen. Der Friedensnobelpreis für die EU verpflichte die Menschen in Europa, gegen Gewalt und Krieg einzustehen, sagte der mitteldeutsche Landesbischof am Samstag auf einer Friedenskundgebung während des evangelischen Kirchentags in Nürnberg.

Kramer sprach vor rund 150 Teilnehmern von einem „brutalen, einem völkerrechtswidrigen Krieg“ Russlands. Die Ukraine habe das Recht, sich zivil und militärisch zu wehren. „Den Angegriffenen, denen Unfreiheit droht, können wir nicht vorschreiben, sich gewaltfrei zur Wehr zu setzen. Aber die vielen erfolgreichen Mittel zivilen Widerstands, die sich gerade auch in der Ukraine finden, werden zu gering geschätzt“, sagte der Landesbischof. In der friedlichen Revolution in der DDR 1989 habe er selbst erlebt, dass Gebete und Demonstrationen friedliche Veränderungen bewirkt hätten.

„Krieg ist eine Bestie“

Der Friedensbeauftragte des EKD-Rats betonte, die Forderung nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen richte sich zuallererst an die Aggressoren in der Ukraine, dem Sudan, im Jemen und in Syrien: „Wir bitten sie inständig, die Waffen niederzulegen.“ Auch sie könnten den Irrsinn des Krieges letztlich nicht kontrollieren, mahnte Kramer: „Krieg ist eine Bestie, die keiner kontrollieren kann. Der Krieg ist das Böse.“



Bischof wirbt für offenen Umgang mit Transpersonen



Nürnberg (epd). Berlins evangelischer Bischof Christian Stäblein wirbt für einen offenen Umgang mit Transpersonen. Beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg äußerte er sich am Freitag zugleich selbstkritisch über die lange Unterdrückung dieser Menschen in der Kirche. „Wir sind Teil des repressiven Systems gewesen“, sagte Stäblein. In ihrer Geschichte habe die Kirche bestimmte Rollenbilder und Ordnungsvorstellungen über Mann und Frau verabsolutiert und weitergegeben.

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hatte vor zwei Jahren ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ausgesprochen und darin um Vergebung für das ihnen zugefügte Leid gebeten. Er hoffe, dass andere Kirchen diesen Beispiel folgten, sagte Stäblein. Das Christentum habe eine Botschaft der Befreiung zu verkünden. Sorge mache ihm dabei allerdings die internationale Situation: „Man kann nicht sagen, dass das, was ich unter einem liberalen Christentum verstehe, auf dem Vormarsch wäre.“

Ganserer: Ängste ernst nehmen

Die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) zeigte Verständnis dafür, dass manche Menschen durch die Diskussion über Transpersonen verunsichert seien. „Uns wird diese vermeintlich zweigeteilte Geschlechterwelt von klein auf eingeimpft“, sagte sie: „Deswegen müssen wir die Ängste ernst nehmen. Aber man darf nicht mit ihnen spielen.“ Leider schürten einige wenige Menschen in Deutschland diese Angst und stellten Transmenschen als böse und negativ dar.

Ganserer gehört zu den ersten beiden Transfrauen im Bundestag. Als Transmenschen werden Personen bezeichnet, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.



Architekt: Offenheit der Nachbarn für Obdachlose fehlt



Nürnberg (epd). Aus der Sicht des Wiener Architekten Alexander Hagner scheitert der Bau von Wohneinrichtungen für obdachlose Menschen vor allem an der fehlenden Akzeptanz der Bürger in der Nachbarschaft. „Es gibt hier keine Offenheit“, sagte der Mitgründer von Wohn- und Beschäftigungseinrichtungen für Obdachlose und Alkoholkranke in Wien am Freitag beim Kirchentag in Nürnberg. Er verwies auf das rein spendenfinanzierte Projekt „VinziDorf Wien“, das in 16 Jahren der Realisierung „oft am Rande des Abbruchs stand“.

Hier könnten die Bewohner leben, wie es ihnen möglich ist, ohne sich verändern zu müssen. Getragen von der Vinzenzgemeinschaft gebe es hier 32 Schlafplätze, auch in Wohngemeinschaften, Werkstätten, Tagungsräume sowie ein Restaurant. Ausgrenzung von Menschen am Rande der Gesellschaft lasse sich nur überwinden, „wenn sich die Nachbarschaft des Themas Obdachlosigkeit annimmt“. Nur so könne es Anknüpfungspunkte für Menschen geben, denen es schlecht gehe.

Leerstehende Gebäude nutzen

Hagner warb dafür, statt großer und anonymer Heime für Menschen mit psychosozialen Problemen kleine und individuelle Lösungen zu finden. „Es gibt so viele leerstehende Gebäude“, sagte Hagner. Die könne man sinnvoll nutzen. Zudem müsse man versuchen, die Belange der künftigen Bewohner auch in der Architektur zu berücksichtigen. „Gemeinschaft, auch mit anderen sozialen Gruppen wie Flüchtlingen oder Studenten, kann helfen, beschädigte Menschen wieder aufzubauen.“

Heutige Einrichtungen würden oft am Bedarf vorbei gebaut. In Wien gibt es Hagner zufolge genügend Notschlafstellen und andere Hilfen für Obdachlose. „Aber warum leben dann immer noch 2.000 bis 3.000 Menschen auf der Straße?“



Schauspieler Wnuk: Heimatgefühl basiert auf Selbstwert



Nürnberg (epd). Der Schauspieler Oliver Wnuk verknüpft mit seiner eigenen Wohnung kein Heimatgefühl. „Ich kann mir nur selbst eine Heimat sein“, sagte der 47-Jährige am Freitagabend bei einem Kirchentagsempfang des evangelischen Monatsmagazins „chrismon“ in Nürnberg. Für ihn sei der Begriff Heimat eng mit einem Selbstwertgefühl verbunden.

Wnuk berichtete, dass er nach einem Einbruch in seine Wohnung vor vier Wochen stets mit einem mulmigen Gefühl nach Hause komme. „Das ist schon ziemlich ekelhaft“, sagte der Schauspieler, der unter anderem bei „Nord Nord Mord“ im ZDF zu sehen ist. Stets habe er das Gefühl: „Hier war doch jemand.“



Verletzliche Offenheit bei "FuckUp-Night"




Annegret Kramp-Karrenbauer bei der FuckUp-Night
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Eine gescheiterte Ehe, die Angst vor Abstieg und Selbstverlust: Bei der "FuckUp-Night" des Kirchentags berichten Menschen von ihren Misserfolgen und was sie daraus gelernt haben. Mit dabei: Ex-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Fürth (epd). Als Martin Benz nach einer Predigt nach Hause kam, waren seine Frau und seine Kinder plötzlich nicht mehr da. Nur ein Brief blieb von rund 20 Jahren Ehe. Seine Frau war zu einem anderen Mann gezogen. „Jetzt stand ich da vor den Trümmern meiner Ehe“, berichtet der Theologe. „Ich war also vollkommen am Boden zerstört.“ Er zog sich zurück, predigte erst einmal nicht mehr. „Ich dachte, ich werde nie mehr glücklich.“

Sieben Minuten Zeit hat Benz für seine Geschichte übers Scheitern - und wie er wieder aufgestanden ist. Zusammen mit der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), dem Künstler Gofi Müller und dem Geschäftsführer der Spielvereinigung Greuther Fürth, Holger Schwiewagner, nimmt er am Freitagabend an der „FuckUp-Night“ des evangelischen Kirchentags teil. Die über 400 Plätze in der Fürther Kirche St. Paul sind fast alle besetzt.

Mittlerweile sieht die Welt von Benz wieder anders aus. Er sei wieder glücklich, habe eine neue Frau in seinem Leben gefunden. Er habe lernen müssen, mit seiner neuen Identität ohne „weißer Weste“ zu leben.

„Tiefe, Echtheit, Unterhaltung“

Bei einer „FuckUp-Night“ geht es laut Moderator Daniel Schneider nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. „Es geht um Tiefe, Echtheit, auch um Unterhaltung“, betont er. Vor allem gehe es ums Lernen. Das Publikum lauscht aufmerksam.

Fußball-Geschäftsführer Schwiewagner berichtet wiederum von der Verantwortung für einen Verein - die vielen Jobs die daran hängen - und von der Angst, diese durch einen Abstieg zu gefährden. Künstler Gofi Müller erzählt wie der Autismus seiner beiden Kinder den Alltag veränderte. Die Familie habe nicht mehr ins Schema gepasst. Seine früheren, größeren beruflichen Ziele habe er nicht mehr weiterverfolgen können und wollen.

Die frühere saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer berichtet vom Scheitern in der Politik. Zunächst war ihre Direktwahl für den Bundestag 1998 „grandios schiefgegangen“, nachdem sie das Mandat von Klaus Töpfer übernommen hatte. Es habe sich nach persönlicher Zurückweisung angefühlt. Ein Kollege habe ihr erklärt, dass es Schlimmeres gebe. Ihre erste Reaktion: „Stimmt, aber mir fällt gerade nichts ein.“ Sie habe lange überlegt, ob sie weiter Politik machen wolle.

AKK: „Scheitern mit Stigma verbunden“

Ihr zweites Scheitern sei dann als CDU-Vorsitzende gefolgt. Erst noch als nächste Kanzlerin gehandelt, seien ihr dann eigene Fehler und die Umstände in den Weg gekommen, erläutert Kramp-Karrenbauer. Zuletzt habe sie in der Öffentlichkeit nur noch ein Zerrbild von sich dargestellt erlebt. Sie sei misstrauisch geworden. Durch ihren Rückzug vom Parteivorsitz habe sie gelernt, dass ihr Engagement nicht abhängig von öffentlicher Zustimmung sein muss.

„Bei uns in Deutschland ist mit Scheitern immer noch so ein Stigma verbunden“, betont die frühere CDU-Vorsitzende. Dabei gehöre Scheitern zum Leben. „Aus Scheitern lernt man am allermeisten“, sagt sie. „Ich würde mir gerade in Deutschland wünschen, dass wir uns das ein bisschen mehr zu Herzen nehmen.“

Gleichzeitig warnt sie aber vor einer romantischen Vorstellung vom Scheitern. An der Veranstaltung hätten privilegierte Menschen teilgenommen. Wenn Menschen in einer Dauerschleife des Scheiterns seien, müsse man sie begleiten.

Von Marc Patzwald (epd)



Podien

Scholz verteidigt Asylpläne - Zwischenrufe beim Kirchentag




Olaf Scholz
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Kanzler Scholz hat sich am Samstag beim Kirchentag in Nürnberg Fragen zum Ukraine-Krieg, zum Klimawandel und zum Asylrecht gestellt. Die Antworten stellen nicht alle zufrieden. Der Kanzler muss gegen laute Zwischenrufe anreden.

Nürnberg (epd). Applaus und Protestrufe: Olaf Scholz' erster Besuch als Kanzler beim evangelischen Kirchentag ist vom Publikum mit gemischten Reaktionen aufgenommen worden. Der Kanzler verteidigte vor rund 5.000 Menschen in Nürnberg den Kompromiss der EU-Innenminister zur Reform des europäischen Asylsystems. „Es geht um Solidarität“, sagte Scholz am Samstag. Die Verabredung sei, dass ein Solidaritäsmechanismus etabliert werde, in dem Staaten wie Deutschland Flüchtlinge aus den Grenzstaaten übernehmen, dort dafür aber alle registriert werden.

Dieser vereinbarte Mechanismus sei ein faireres Asylsystem als das heutige, ergänzte Scholz. Das jetzige System sei weder gut für die Schutzsuchenden, die sich auf gefährliche Routen begeben, noch für die beteiligten Länder. Gleichzeitig verteidigte Scholz die Pläne für Grenzverfahren, die dazu führen sollen, dass Menschen ohne Schutzberechtigung in der EU schnell wieder zurückgeschickt werden. Es brauche Regeln. Man müsse dies auch machen, um das Asylrecht zu schützen, sagte der Kanzler.

Protestrufe gegen Klimapolitik der Bundesregierung

Scholz erhielt dafür Applaus, aber auch Protestrufe aus dem Publikum. Ebenso war es bei anderen Themen, zu denen der Kanzler von der „Zeit“-Journalistin Tina Hildebrandt befragt wurde. Scholz verteidigte die Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie dienten dazu, dass sich die Ukraine gegen den russischen Angriff verteidigen könne. „Das kann und das soll sie ja“, sagte er unter großem Applaus der Kirchentagspublikums. Einzelne riefen allerdings auch „Verhandlungen jetzt“ von den Rängen.

Scholz entgegnete den Protestrufern, Verhandlungen seien „okay“. Die Frage sei nur, mit wem und worüber. Nicht akzeptabel sei, dass die Ukraine darüber verhandeln solle, dass ein Teil ihres Territoriums einfach Russland werde, sagte Scholz.

Auch beim Thema Klimawandel gab es laute Protestrufe, die der Regierung Versagen vorwarfen. Scholz musste seine Stimme deutlich anheben, um einen Störer zu übertönen. Schmunzelnd sagte der für sein leises Sprechen bekannte Regierungschef, er habe vor seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, Senator und Minister lange frei vor großen Versammlungen geredet. „Das haben nur einige vergessen, dass das auch zu meinem Leben gehört.“

„Altes und Neues Testament gelesen“

Scholz selbst ist getauft und konfirmiert, später aber aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Er habe großen Respekt vor religiösen Bekenntnissen, sagte Scholz und betonte vor dem Kirchentag die Rolle der Religionsfreiheit. „Ich habe eine öffentliche Verantwortung auch zum Schutz des Glaubens“, sagte er. Er habe für sich eine Entscheidung getroffen, sagte er über seinen Kirchenaustrit. Gleichzeitig bekannte der Regierungschef: „Ich zähle zu den wenigen Deutschen, die das Alte und das Neue Testament gelesen haben.“



Castellucci: Staat soll Regeln für Missbrauchsaufarbeitung vorgeben




Lars Castellucci
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Auf dem Kirchentag wurde am Samstag auch über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen gesprochen. Beim Thementag forderte der SPD-Politiker Castellucci staatliche Regeln für die Aufarbeitung - und rannte damit offene Türen ein.

Nürnberg (epd). Der kirchenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, hat einen genauen Blick auf Missbrauchsfälle und deren Aufarbeitung gefordert. „Wir brauchen keine Kultur des Hindeutens, sondern eine Kultur des Hinsehens“, sagte er am Samstag auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Castellucci sagte, Missbrauch sei nicht nur im Raum der Kirche geschehen. Man müsse klar sagen, dass die meisten Taten im familiären Umfeld stattgefunden hätten. Der SPD-Politiker forderte, die Selbstorganisation von Betroffenen sexualisierter Gewalt müsse unterstützt werden. Er schlug eine Stiftung für Opfer sexualisierter Gewalt auf Bundesebene vor, die sich für die Interessen der Betroffenen einsetzt. Der Staat müsse den Rahmen für die Kriterien der Aufarbeitung in Institutionen setzen.

Wüst: Wäre Erleichterung für Arbeit des Beteiligungsforums

Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst begrüßte staatliche Vorgaben für die Aufarbeitung in den Kirchen. Wüst, Sprecherin der Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sagte, mit der Forderung renne Castellucci bei ihr „offene Türen“ ein. Für die Arbeit des Beteiligungsforums, das in der evangelischen Kirche die Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch organisiert, wäre dies eine Erleichterung.

Der Professor für Soziale Arbeit, Martin Wazlawik, wies Worte des Kirchentagspräsidenten Thomas de Maizière zurück, der der Wochenzeitung „Zeit“ gesagt hatte, vermutlich habe der sexuelle Missbrauch in der evangelischen Kirche nicht das Ausmaß wie in der katholischen Kirche.

Wazlawik, der an der Hochschule Hannover lehrt, leitet die Missbrauchsstudie der EKD, deren Ergebnisse für Herbst erwartet werden. „Wir wissen das schlicht nicht“, sagte Wazlawik. Es gebe keine repräsentativen Studien. Die Zahlen seien nicht abstrakt, sondern hinter jeder Zahl verberge sich eine Biografie. Es sei daher wichtig, auf die spezifischen Risikofaktoren für Missbrauch in der evangelischen Kirche zu schauen.

750 Anträge

Nach Zahlen von vergangenem November lagen der EKD rund 750 Anträge auf Anerkennungsleistungen vor. Das spiegelt den Angaben zufolge aber nicht die tatsächliche Zahl von Fällen sexualisierter Gewalt wider. Castellucci, Wüst und Wazlawik nahmen am Thementag Macht-Missbrauch-Verantwortung auf dem Kirchentag teil.



Ukraine: Bischof Kramer vermisst präzisen Umgang mit "Opferfrage"



Nürnberg (epd). Aus Sicht des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, greift es oft zu kurz, wenn Waffenlieferungen an die Ukraine mit Verweis auf das Leid der Angegriffenen begründet werden. Wenn die Ukraine um Waffen bitte, sei zunächst der Staat Opfer, sagte Kramer am Samstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg: „Der Staat braucht Waffen, um seine Integrität zu verteidigen.“ Das machten beide Kriegsparteien mit zwangsrekrutierten Soldaten, „die sich auf beiden Seiten dem Kriegsdienst nicht entziehen können“.

Der Krieg sei „logischerweise der größte Moralproduzent“, sagte der mitteldeutsche Bischof Kramer weiter, der als einer der wenigen Leitungspersonen in der EKD Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. In kurzer Zeit werde zwischen Freund und Feind unterschieden. Der Verweis auf die Opfer sei nicht selten Kriegsrhetorik, die auf Zustimmung zum Krieg ziele. Der Theologe forderte: „Mit dieser Opferfrage müssen wir sehr differenziert und sehr präzise umgehen.“ Um den Krieg zu beenden und die Opfer wirklich zu schützen, müssten „ein sofortiger Waffenstillstand und eine Beendigung der Waffenlieferungen der Weg sein“.

Enns beklagt Nationalismus in Ukraine und Russland

Der mennonitische Theologe Fernando Enns von der Universität Hamburg beklagte die „starken nationalistischen Tendenzen“ in der Ukraine und in Russland: „Die Wahrheit wird bereits vor jedem Krieg getötet. Sonst kriegt man die Menschen einfach nicht dazu, sich gegenseitig umzubringen.“ Auch viele deutsche Kirchenleitende hielten die militärische Selbstverteidigung der Ukraine für alternativlos, kritisierte Enns. Er rief Christen dazu auf, diesem „Ruf der Schlange“, die sagt „Jetzt geht es nur noch so“, nicht zu folgen.



Bundestagsvizepräsidentin nimmt "Letzte Generation" in Schutz



Nürnberg (epd). Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hat die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ gegen Vorwürfe und Kritik in Schutz genommen. Wer die Proteste der Aktivisten als Terrorismus bezeichne, „verharmlost die Gefahren des Klimawandels“, sagte Pau am Samstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Sie verurteilte auch die bundesweite Razzia gegen die Klimabewegung im Mai.

Die Mitbegründerin des Bündnisses „Letzte Generation“, Carla Hinrichs, verteidigte die Aktionen der Klimaaktivisten, die sich unter anderem auf Straße festkleben oder Kunstwerke attackieren. „Ich halte das, was ich tue, nicht für einen Bruch von Recht“, sagte die 26-jährige Juristin. Es gebe nicht mehr viel Zeit, um die Klimakatastrophe abzuwenden: „Wir haben eine Bedrohungslage.“ In dieser Situation könnten nur effektive Protestformen helfen, und das seien Störungen. „Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, ignoriert zu werden.“

„Rechtfertigender Notstand“

Dafür nehme sie es auch in Kauf, dass ihre Wohnung gestürmt und die Waffe auf sie gerichtet werde wie bei der Razzia. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Waffe nicht abgeschossen wird.“ Hinrichs bezeichnete die Aktionen als „rechtfertigenden Notstand“ und verglich sie mit einem Notfall: „Wenn ich sehe, dass da hinten mein Kind entführt wird, dann darf ich da durch und alle wegschubsen.“ Denn das Ziel sei nicht verwerflich. Hinrichs war von zwei Gerichten bereits zu einer Geldstrafe und zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden.



90-jährige Aktivistin: Jede Reise schadet nächster Generation



Nürnberg (epd). Die 90-jährige Friedens- und Umweltaktivistin Dagmar Reemtsma hat beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg dazu aufgerufen, gemeinsam für Veränderungen zu kämpfen. „Der Wohlstand ist eine Droge geworden, von der wieder herunterzukommen schwer ist“, sagte sie am Freitag bei einem Podium zum Thema Generationengerechtigkeit. Die Großmutter der Klimaaktivistinnen Carla Reemtsma, Hannah Reemtsma und Luisa Neubauer fügte hinzu: „Jeder Kauf, jede Reise schadet der nächsten Generation, wenn wir nicht richtig handeln.“

Hannah Reemtsma, die mit auf dem Podium saß, appellierte an die Boomer-Generation, sich an ihren Wirkungsstätten gegen die Erderwärmung einzusetzen und sich bewusst zu machen, wo sie Macht hätten, etwas zu erreichen. „Seid da und seid laut“, forderte sie.

Die Boomer-Generation habe schon 1979 gewusst, dass es Grenzen des Wachstums gebe, räumte der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ein: „Wir wären alle in der Position gewesen, daraus Konsequenzen zu ziehen.“ Er bedauerte, dass etwa die Beschlüsse der Ökumenischen Weltversammlung in Seoul 1990 zur Bewahrung der Schöpfung wenig Gehör gefunden hätten: „Erst 'Fridays for Future' hat es geschafft, das Thema ins Zentrum zu stellen.“

„Reicht nicht, vegan zu werden“

Der Jesuitenpater Jörg Alt aus Nürnberg rief die Menschen ebenfalls auf, sich gemeinsam gegen den Klimawandel zu engagieren. „Es reicht nicht, vegan zu werden und Fahrrad zu fahren“, sagte Alt. Es brauche die „nervigen Gruppen“, um Wandel herbeizuführen, spielte er auf Aktionen der „Letzten Generation“ an. Hätte es solche „nervigen Gruppen“ nicht früher schon gegeben, wären der Sklavenhandel nicht abgeschafft und das Frauenrecht niemals eingeführt worden.

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, appellierte an ihre eigene Kirche, voranzugehen und Allianzen zu schmieden. „Schaffen wir es als evangelische Kirche, bis 2030 klimaneutral zu werden“, forderte Heinrich.



Diakoniepräsident wünscht sich engeren Austausch über Zukunftsfragen



Nürnberg (epd). Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, hat daran erinnert, dass die Vorstellungen von einem guten Leben sich in einer diversen Gesellschaft erheblich voneinander unterscheiden. Er wünsche sich, dass alle gesellschaftlich relevanten Akteure in einen engeren Austausch kommen, sagte er am Samstag auf dem Podium „Teures Leben, leere Kassen“ beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg

Das gehe nur, wenn Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft zusammenarbeiten, sagte Lilie. Die Ministerien müssten ihre Burgenpolitik aufgeben, um gemeinsam auf eine sozial-ökologische Transformation hinzuwirken. Die Rolle der Kirche sieht er darin, sich in den Dienst der Menschen zu stellen und zusammen mit anderen Gruppen auszuhandeln, „wie Menschen füreinander Verantwortung übernehmen können“.

Zügellosigkeit aufgeben

Statt über Verbotspolitik und Verzicht zu reden, sollte sich die Gesellschaft in den Augen von Rebecca Freitag, Beraterin für nachhaltige Lebensstile und Geschäftsmodelle, eingestehen, dass die bisherige Zügellosigkeit aufgegeben werden müsse. „Was ist das gute Leben wirklich, und worauf verzichten wir im Moment wirklich? Auf saubere Luft und saubere Straßen“, sagte sie.

Menschen, die in der Politik oder in Unternehmen arbeiten, könnten sich dort konkret für einen Wandel einsetzen, sagte Freitag. So könnten positive soziale Kipp-Punkte erreicht werden und sich Normen und Werte in der Gesellschaft ändern.



Künast fordert EU-weite Regeln gegen Hate-Speech im Internet



Nürnberg (epd). Die Grünen-Politikerin Renate Künast fordert EU-weite Regeln gegen Hass-Kommentare und Desinformation im Internet und den sozialen Medien. „Was analog bestraft wird, muss auch digital bestraft werden“, sagte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin am Samstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Wenn etwa Facebook sich als neutraler Marktplatz der Kommunikation darstelle, dann müssten dort auch Regeln wie auf anderen Marktplätzen gelten: „Wenn da einer einen Stand hat und alle anderen anpöbelt, dann wird er vom Platz geschmissen.“

Künast ist selbst Opfer massiver Beleidigungen und von Falschzitaten auf Facebook geworden. Dagegen klagte sie erfolgreich bis zum Bundesverfassungsgericht. Beleidigungen bekämen durch das Netz eine neue Qualität, sagte die Juristin. „Es ist etwas anderes, als wenn mir jemand direkt eine Beleidigung sagt, und die ist dann hinterher wieder weg. Im Netz geht das nicht wieder weg.“ Künast betonte: „Die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschieden, weil es dort so viel Macht gibt.“

Jung: Hate-Speech Form der Gewalt

Der evangelische Medienbischof Volker Jung aus Darmstadt sagte, es könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei Hate-Speech um eine Form von Gewalt handele: „Der muss man Einhalt gebieten, das muss bestraft werden.“ Der hessen-nassauische Kirchenpräsident mahnte zudem eine Kennzeichnungspflicht für Inhalte an, die mit Künstlicher Intelligenz erzeugt wurden. „Es muss Transparenz hergestellt werden, sonst verlieren wir völlig den Überblick.“

Die Frage sei, wie das Netz reguliert werden könne, ohne es überzuregulieren. Denn das Netz ermögliche auch Freiheit.



Netzaktivistin Nocun: Verschwörungsideologien gefährden Zusammenleben



Nürnberg (epd). Katharina Nocun, Netzaktivistin und Publizistin aus Berlin, betrachtet Verschwörungsideologien als extrem gefährlich. „Die Leute glauben irgendwann, auch die Wissenschaft und Faktenchecker sind Teil der Verschwörung“, sagte sie am Samstag beim Podium „Mit mir oder gegen mich. Von QAnon bis zum Aluhut: Warum boomt Schwarzweiß?“ beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. „Das gefährdet das Zusammenleben auf ganz vielen Ebenen in einer Demokratie“, sagte sie weiter. Gleichzeitig könne das Schwarzweißdenken auch im sozialen Nahbereich viel Schaden anrichten.

Svenja Hardecker von der Fach- und Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart plädierte dafür, den Kontakt zu Angehörigen oder Freunden, die solchen Ideologien anhängen, nach Möglichkeit zu halten. „Der persönliche Nahbereich ist die größte Chance, da wieder rauszukommen“, sagte sie.

Verfassungsschützer: Mehr Populismus für die Demokratie

Dabei solle man aber auf „Klarheit in der Sache und möglichst große Offenheit für die Person“ achten, also eine inhaltliche Grenze zum Verschwörungsdenken ziehen und gleichzeitig versuchen, diese Personen als Menschen zu betrachten, die auch andere Facetten haben. Ähnlich solle auch die Kirche handeln und sich aus den Beziehungen nicht herausziehen.

Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer wünschte sich „mehr Populismus für die Demokratie“ in dem Sinne, dass Bürgerinnen und Bürger von der Politik nicht nur mit Fakten versorgt, sondern auch emotional abgeholt werden sollen. „Man muss nicht immer auf alles eine Antwort haben, aber man muss einen Dialog auf Augenhöhe führen“, forderte er.



Präses Latzel: Verschiedenheit und Behinderung selbstverständlich



Nürnberg (epd). Der rheinische Präses Thorsten Latzel wirbt in der Debatte um Inklusion für einen Kulturwechsel. Es sei selbstverständlich, verschieden zu sein, sagte der leitende Geistliche der Evangelischen Kirche im Rheinland am Samstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. „Du bist im größten Teil deines Lebens sowieso behindert.“ Ein Säugling könne beispielsweise weder laufen noch sprechen.

„Für mich selber ist es auch ein wichtiger Teil meines Lebens“, sagte der Theologe. Er habe beispielsweise ein Handzittern, welches zwar beim Segen „magisch“ wirke, aber beim Abendmahl eine Herausforderung sei. Als Jugendlicher habe er wiederum stark gestottert. Er habe aber gelernt, dass man trotzdem alles machen könne.

„Nicht ich muss mich anpassen“

„Das Thema Inklusion ist uns unbedingt wichtig, weil es zum Wesen von Kirche gehört“, betonte Latzel. Dabei müssten Menschen mit Behinderungen mit ihren Erfahrungen einbezogen werden. „Den eigenen blinden Fleck nimmt man selber nicht wahr, dazu braucht man Menschen mit Expertise“, sagte er.

Die Theologiestudentin Julia Schöneck erklärte, dass Menschen mit Behinderung Teil der Kirche seien. Wer sie ausgrenze, grenze einen Teil der Kirche aus. „Nicht ich muss mich anpassen, sondern der Raum muss so gestaltet werden, dass es möglich ist“, erklärte die Bloggerin. Zudem müsse Kirche Kritik an Barrieren dankbar annehmen.



Subotic: Sport kennt in der Regel keine Hautfarbe



Nürnberg (epd). Für den Ex-Profifußballer Neven Subotic spielt die Hautfarbe im Sport keine Rolle. Es gehe ums Gewinnen, und dafür würden die besten Leute ausgewählt, sagte er am Samstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Allerdings stelle sich die Frage, wer diese Qualität entwickeln könne, denn Sport koste Mitgliedsbeiträge, Materialien und etwa Zeit der Eltern.

Wenn der finanzielle Hintergrund da sei, könntee ein Junge oder ein Mädchen nicht nur das Training im Verein absolvieren, sondern zusätzlich eine private Förderung bekommen. „Das kennen wir aus dem Schulsystem“, betonte Subotic: „Es kann dann zu der Situation kommen, dass man die Besten auspickt, aber die Besten sind die, die am besten gefördert wurden.“

Fehler bei sich selbst suchen

Sport bietet laut Subotic grundsätzlich die Möglichkeit auch für das Leben zu lernen. „Man sucht die Fehler nicht bei anderen, man sucht die Fehler bei sich selbst“, betonte er: „Ich arbeite danach an mir.“ Das lasse sich auch auf die politische Ebene übertragen. Bürgerinnen und Bürger müssten in einer Gesellschaft Ziele definieren. Um diese zu erreichen, solle jeder Einzelne, sich auch „an die eigene Nase packen“, anstatt ausschließlich die Verantwortung bei anderen zu suchen.

Die zweifache Counterstrike-Vizeweltmeisterin Melanie Gutsche unterstrich, dass auch Videospiele dazu beitrügen, an sich und dem Team zu arbeiten. „Man ist in dem Spiel erfolgreich, indem man in dem Team zusammen agiert“, sagte sie. Die Spielerinnen und Spieler führen wie im regulären Sport auf Turniere, trainierten und lernten hinzufallen und wieder aufzustehen.



Heil: Praxismonat an allen Schulformen einführen



Nürnberg (epd). Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat sich zur besseren Orientierung bei der Berufswahl für einen jährlichen Praxismonat für Schülerinnen und Schüler ausgesprochen. Er griff am Samstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg die jüngste Debatte über ein soziales Pflichtjahr auf und sagte, die Idee zu dem Praxismonat sei der bessere Ansatz.

Eine verpflichtende Berufsorientierung an allen Schulen könne Jugendlichen helfen, verschiedene Berufe in der Praxis kennenzulernen. Damit könne auch die Zahl der Auszubildenden erhöht werden. „Eltern sind oft keine guten Berufsberater“, sagte der Minister.

Heil nahm teil an einem Podium zum Thema „Wege aus der Armut - Stärken nutzen, Potentiale heben“. Der Minister verwies dabei auf den in den vergangenen Jahren von den Bundesregierungen ausgebauten Sozialstaat und nannte das Bürgergeld, höhere Mindestlöhne und den erweiterten sozialen Arbeitsmarkt. Alle diese Schritte bräuchten jedoch Zeit, um zu wirken, räumt er ein. Er warb bei Kritikern um mehr Geduld, statt ständig nach mehr Geld für Bedürftige zu rufen.

Bildungsaufbruch gefordert

„Wir brauchen künftig eine vorbeugende, aktivierende Sozialpolitik und mehr Angebote zur Armutsprävention“, betonte der Minister. Dazu gehört aus seiner Sicht auch, einen „Bildungsaufbruch“ zu organisieren und die Zahl der Schüler ohne Abschluss zu reduzieren, „statt später mit viel Geld soziale Missstände zu reparieren“.

Heil bekräftigte erneut, dass die Kindergrundsicherung noch in dieser Legislatur kommen werde: „Das ist unser wichtigstes Projekt gegen Kinderarmut.“ Da passe „kein Blatt“ zwischen ihn und Familienministerin Lisa Paus (Grüne).



Kretschmer kritisiert Debatte über Rundfunkbeitrag




Michael Kretschmer
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Nürnberg (epd). In der Debatte über den künftigen Beitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf Distanz zu einigen seiner Länderkollegen gegangen. Er finde es nicht gut, dass derzeit ein Ministerpräsident nach dem anderen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages für die nächste Beitragsperiode ausschließe. Es gebe in Deutschland ein über Jahrzehnte bewährtes Verfahren zur Festlegung der Höhe des Rundfunkbeitrags, sagte Kretschmer am Samstag auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Der sächsische Ministerpräsident äußerte sich bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wahrheit. Macht. Politik -Verschwörung, Fake News, Lobbyismus: Demokratie in Gefahr?“ Dabei unterstrich Kretschmer, dass er den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk für überaus wichtig hält. Wenn immer weniger Menschen Zeitungen läsen und öffentlich-rechtlichen Rundfunk schauten, erodiere die Faktenbasis für politische und gesellschaftliche Diskussionen.

Haseloff und Woidke wollen Nullrunde

Der Rundfunkbeitrag beträgt derzeit 18,36 Euro pro Monat. Er kommt den Programmen und Angeboten von ARD, ZDF und Deutschlandradio zugute. Die aktuelle Beitragsperiode läuft noch bis 2024. Die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Reiner Haseloff (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), hatten eine Nullrunde verlangt und Beitragserhöhungen abgelehnt. Hintergrund sind unter anderem die Vorwürfe um Geldverschwendung unter der früheren Senderspitze beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB).



Influencerin Teske: Wir brauchen mehr Zeit



Fürth (epd). In der geistlichen Leitung kirchlicher Arbeit wünscht sich die evangelische Pastorin und christliche Influencerin Josephine Teske mehr Zeit. „Um zur Ruhe zu kommen und um sich selbst zu stärken, brauchen wir mehr Zeit“, sagte die Hamburger Pastorin, die auch Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, am Freitag bei einem Podium des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Fürth bei Nürnberg. Doch oft stehe dem und damit verbunden auch der besseren Vereinbarung von Familie und Beruf „Verwaltungszeug“ im Wege, kritisierte die Theologin.

In Zeiten abnehmender Ressourcen nehme der Druck beispielsweise auf die ehrenamtlichen Kirchengemeinderäte zu, beschrieb Teske die Situation. Während des Podiums unter dem Titel „Verdurstet an der Quelle? - Geistlich Leiten in der Kirche“ sagte sie, ihr helfe Gemeinschaft, um damit umgehen zu können. „Mit anderen glauben, reden, beten, ich brauche das so sehr, diese Schwingungen“, verdeutlichte die Influencerin, die auf ihrem Instagram-Account „seligkeitsdinge_“ mehr als 40.000 Followerinnen und Follower hat.

Kopp: Eine Minute Stille ohne Handy

Der Münchner Regionalbischof Christian Kopp, designierter Landesbischof für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, unterstützte Teske und schlug beispielsweise eine regelmäßige Unterbrechung von Sitzungen vor, um sich zu besinnen und Kraft zu tanken: „In jeder Stunde eine Minute Stille - niemand beschäftigt sich mit seinem Handy.“ Darüber hinaus sind für ihn in der geistlichen Führung drei Dinge zentral: „Gelassen, humorvoll und zugewandt leiten.“ Um das zu erreichen, brauche es eine spirituelle Praxis und regelmäßige Übungen.



Soziologe dringt auf neuen "Wir-Sinn"




Hartmut Rosa
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Nürnberg (epd). Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa hat vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Spaltungen für eine neue politische Kultur geworben. Im Streit etwa um die Corona-Impfung, Waffenlieferungen oder Gender-Themen beobachte er eine demokratieschädliche Polarisierung, sagte Rosa am Freitag bei einem Kirchentagspodium in Nürnberg.

Andersdenkende würden zunehmend als Idioten, Verräter oder nicht zurechnungsfähig wahrgenommen. „Wir müssen die politische Kultur ändern. Wir brauchen einen neuen Wir-Sinn“, forderte der Wissenschaftler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Beckedahl kritisiert „Beteiligungssimulation“

Der netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl beklagte bei dem Gespräch zum Thema „Wir müssen die Demokratie umbauen“, dass viele öffentliche Beteiligungsformate etwa von der Bundesregierung eher einer „Beteiligungssimulation“ gleichkämen. Oft werde dabei nicht eigentlich zugehört. „Das ist gefährlich, weil es dazu führt, dass Menschen schneller frustriert sind, als wenn sie sich gar nicht beteiligen“, warnte Beckedahl.

Die Jugendbildungsexpertin Annika Gramoll von der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung in Berlin betonte, dass auch junge Menschen Räume bräuchten, um solchen Austausch zu lernen. Dem stehe entgegen, dass in der Öffentlichkeit politische Ränder schnell als extrem dargestellt würden.



Grünen-Chefin Lang: Wachstum muss Gerechtigkeit dienen



Nürnberg (epd). Grünen-Chefin Ricarda Lang hält Forderungen nach einer grundsätzlichen Verringerung von Konsum und Produktion für einen falschen Ansatz. Vielmehr gehe es darum, Wachstum sogar aktiv zu fördern. Dies gelte etwa in der Solar-, Wind- und Wasserkraftindustrie, sagte Lang am Freitag bei einer Podiumsdiskussion auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Die Grünen-Chefin unterstrich: „Ich bin so gesehen ein echter Wachstumsfan. Es darf allerdings nicht mehr darum gehen, was bringt kurzfristig am meisten Profit, was ist am Billigsten. Sondern wir müssen in den Bereichen wachsen, die uns bei der langfristigen Zielerreichung, auch im Sinne von Gerechtigkeit, Demokratie und Nachhaltigkeit unterstützen.“ Das Podium befasste sich mit der Frage, ob Wohlstand und Klimaschutz miteinander vereinbar sind.

„Dürfen nicht sagen, es bleibt alles wie es ist“

Lang forderte dabei auch mehr Ehrlichkeit in der Politik. Die Probleme und die Frage nach einer gerechteren Lastenverteilung könnten nicht mehr länger auf andere Länder oder nachfolgende Generationen geschoben werden. „Wir dürfen den Menschen nicht länger sagen, es bleibt alles wie es ist. Das ist unehrlich“, betonte Lang. Sie fügte hinzu: „Wir haben in diesem Land Menschen, die einen Beitrag leisten können und wer einen Beitrag leisten kann, soll in Verantwortung genommen werden, und wer das nicht kann, wer Unterstützung braucht, bekommt Unterstützung.“



Bundesanwalt: Verfolgung von Kriegsverbrechen ist Spiel auf Zeit



Nürnberg (epd). Der Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Lars Otte, hat Schwierigkeiten bei der Vollstreckung von Haftbefehlen gegen internationale Kriegsverbrecher eingeräumt. In diesen Fällen würden alle Mechanismen der internationalen Strafverfolgung genutzt, da es in Deutschland genauso wie vor dem Internationalen Strafgerichtshof keine Verfahren in Abwesenheit gebe. „Sobald diese Menschen ihr Land verlassen, werden sie am ersten internationalen Flughafen festgenommen“, sagte Otte.

Er äußerte sich bei einem Podium „Was kommt nach dem Krieg? Dem Recht zum Recht verhelfen“ auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Da Kriegsverbrechen nicht verjährten, bestehe auch nach langer Zeit noch die Möglichkeit, Haftbefehle durchzusetzen. Aus Erfahrung wisse er, dass sich Angeklagte nach zehn oder 15 Jahren oft sicher fühlten und leichtsinnig wieder zu reisen begännen, sagte der Bundesanwalt.

„Verantwortliche benennen“

„Meine feste Überzeugung ist, dass man diese Verfahren führen muss, diese Beweise sammeln muss, die Verantwortlichen benennen muss, damit uns nicht vorgeworfen wird: Diese Menschen laufen frei herum und ihr tut nichts“, betonte Otte.

Die Bundesanwaltschaft in Deutschland hat durch das sogenannte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs die Möglichkeit, Verstöße gegen das Völkerrecht zu verfolgen, auch wenn diese nicht auf deutschem Boden stattgefunden haben und keine Deutschen involviert sind. Derzeit finden Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine statt.




Bibelarbeiten

Merz: Politik kann nur "vorletzte Dinge" lösen




Bibelarbeit mit Friedrich Merz
epd-bild/Thomas Lohnes
"Politik kann das Heil Gottes nicht bringen und auch nicht ersetzen", sagt der CDU-Vorsitzende in seiner Bibelarbeit auf dem Kirchentag.

Nürnberg (epd). Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat beim evangelischen Kirchentag die Grenzen politischer Handlungsmöglichkeiten betont. „Wir müssen uns als Politikerinnen und Politiker bewusst sein, dass wir immer nur die vorletzten Dinge auf dieser Welt lösen können“, sagte Merz am Samstag in einer Bibelarbeit beim Kirchentag in Nürnberg. „Politik kann das Heil Gottes nicht bringen und auch nicht ersetzen“, fügte er hinzu.

Bestenfalls könne Politik, „die nahe vor uns liegende Zukunft gestalten, aber nicht die endgültige gewinnen“, sagte Merz. Er verwies auf das Ringen in der Politik um das bestmögliche Handeln, etwa in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Es beschäftigt uns, es quält uns, es belastet uns“, sagte Merz. Er würdigte die kritischen Stimmen gegenüber Waffenlieferungen innerhalb der Kirchen, verteidigte die Lieferungen aber selbst. Um Frieden in Europa zu erlangen, seien Beschwichtigung, Appeasement und Annäherung mit den falschen Mitteln derzeit der falsche Weg.

„Keine Partei im Besitz der vollständigen Erkenntnis“

Als zweite große Herausforderung der Zeit nannte Merz den Kampf gegen den Klimawandel. Dabei übte er Kritik an der AfD. Zur Aufgabe, den Klimawandel zu bekämpfen, „gehört zuallererst dazu, dass wir ihn nicht leugnen“, sagte Merz. Jenseits des unstreitigen Ziels müsse in der parlamentarischen Demokratie um den richtigen Weg gestritten werden. Keine der demokratischen Parteien sei dabei „im Besitz der vollständigen Erkenntnis und Wahrheit“, sagte Merz, der auch Vorsitzender der Unionsbundestagsfraktion ist.



Kretschmann zu Klimaprotesten: Wandel lässt sich nicht erzwingen



Nürnberg (epd). Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält die Protestformen der „Letzten Generation“ im Kampf gegen den Klimawandel für nutzlos. „Man kann den Wandel nicht erzwingen“, sagte Kretschmann bei einer Bibelarbeit auf dem evangelischen Kirchentag am Samstag in Nürnberg. „Es nützt nichts, sich an der Straße festzukleben“, betonte er in Bezug auf die Lukas-Bibelstelle „Die Zeit wird kommen“. Man könne zwar die Angst der jungen Leute verstehen, es sei aber wenig hilfreich, die Sache dystopisch anzugehen und depressiv zu werden.

Vielmehr gehe es darum, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, betonte Kretschmann. „Jeder Mensch kann einen Gedanken denken, den noch nie jemand vorher hatte. Jeder kann innovativ werden. Die Geburt eines jeden Menschen ist ein Neubeginn, ein Start-up“, sagte Kretschmann weiter. Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zum Beispiel mache Hoffnung, sie sei „sozusagen das ökologische Reich Gottes“.



Minister Heil: Den Krisen der Welt aktiv begegnen




Hubertus Heil am 9.6. auf dem Kirchentag
epd-bild/Tim Wegner

Nürnberg (epd). Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat dazu aufgerufen, vor den Krisen der Welt nicht zu resignieren. „Krieg, Klimawandel, Armut und soziale Ungleichheit können in gemeinsamer Verantwortung bewältigt werden“, sagte er am Samstag bei einer Bibelarbeit beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Jeder, im Großen und im Kleinen, trage Verantwortung vor Gott, sich selbst einzubringen und an einer besseren Zukunft mitzuarbeiten. Heil sprach über die Bibelstelle „Die Zeit wird kommen“ aus dem Lukas-Evangelium (17, 20-25).

Zur Zeit Jesu hätten viele Menschen Zweifel gehabt, ob und wann sich die Weissagung des Reiches Gottes erfüllen werde. Und Jesus habe dazu gesagt, „das Reich Gottes komme nicht so, dass man es an äußeren Anzeichen erkennen kann. Man wird auch nicht sagen können: 'Seht, hier ist es!' oder: 'Es ist dort!' Nein, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

Mit Mut Veränderung ermöglichen

Heil sagte, Gerechtigkeit auf Erden entstehe nicht als Selbstläufer: „Auch wenn Gott ruft, wollen das nicht alle hören.“ Aber er sei unter den Menschen und stets gegenwärtig. Man könne das spüren im Zusammensein mit Anderen, in der Gemeinschaft, wenn im aktiven Handeln Solidarität entstehe.

Der Minister rief seine Zuhörerinnen und Zuhörer auf, „die Botschaft der eigenen Verantwortung“ zu hören. Zwar gebe es im Leben immer Widerstände zu überwinden, „doch wenn Menschen aufstehen, Mut haben, etwas zu verändern, wie 1989 in der DDR, dann ist Veränderung möglich“. Verantwortung lasse sich nicht delegieren, schon gar nicht an die Politik.



Bedford-Strohm ruft zu hoffnungsvollerer Haltung auf




Heinrich Bedford-Strohm und Jerry Pillay
epd-bild/Friedrich Stark

Nürnberg (epd). Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beklagt eine weit verbreitete Zukunftsangst in der Gesellschaft. Viele Menschen meinten, dass „immer alles schlechter und nicht besser wird“, sagte er am Samstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg bei einer Bibelarbeit. Die Frage nach dem Kommen des Reiches Gottes werde nicht mehr gestellt, sondern vielmehr die Apokalypse erwartet. Er rief die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, wieder eine hoffnungsvolle Haltung zu finden und „Reich-Gottes-Menschen“ zu werden.

Hoffnungsvolle Zeichen gebe es viele, sagte Bedford-Strohm, der auch Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) ist. Er erinnerte an die ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe im September 2022, bei der eine Resolution zum Ukrainekrieg sogar mit den Stimmen der russisch-orthodoxen Delegation einstimmig verabschiedet worden sei.

Pillay: Kirchentag selbst ein Hoffnungszeichen

Der Kirchentag selbst sei ein Hoffnungszeichen, erklärte ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay, der mit Bedford-Strohm die Bibelarbeit hielt. Er sei sprachlos, wie vielen Menschen er hier begegnet sei, die „viele gute Werke“ tun. Er rief dazu auf, gegen Ungerechtigkeit und für die Wahrheit einzutreten und sich selbst zu einem „Zeichen der Hoffnung“ zu machen.



Bischof Bilz: Immer mehr Wohlstand nicht möglich



Nürnberg (epd). Die Kirchen müssen nach Ansicht des sächsischen evangelischen Landesbischofs Tobias Bilz auch Unangenehmes aussprechen. „Wir leben in einem Land, in dem man regelmäßig Wahlen gewinnt, indem man mehr Wohlstand verspricht“, sagte Bilz am Samstag bei einer Bibelarbeit auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Wenn man darauf hinweise, dass ein „Immer mehr“ nicht möglich sei, „kann man sich anschließend ja kaum mehr auf die Straße trauen“, stellte er fest. Christinnen und Christen sollten den Mut haben, trotzdem darauf hinzuweisen.

Bilz plädierte für weniger Selbstbezogenheit von Kirchengemeinden: „Es gilt, ein Land zu gestalten und bei den Menschen zu sein.“ Geschlossene Kirchen während Corona beispielsweise seien vielfach als negativ wahrgenommen worden. Die Chance „raus aus der Kirche, hin zu den Menschen, rein in die Wohnungen“ zu gehen, sei nicht immer gesehen worden, sagte Bilz.



Bischof Bätzing wirbt für Religion als Medizin gegen Zeitknappheit



Nürnberg (epd). Religion kann nach Ansicht des Limburger Bischofs Georg Bätzing eine Antwort auf die Zeitknappheit und Entfremdung in modernen westlichen Gesellschaften sein. Religion biete eine Alternative zur rein wirtschaftlichen Sichtweise auf das Leben, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz am Samstag in einer Bibelarbeit auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg in der Kirche St. Sebald. Das christliche Kirchenjahr etwa habe eine andere „Konzeption von Zeit als unser Konzept von Zeit als ökonomischer Ressource“.

Religion könne daran erinnern, „dass eine andere Weltbeziehung als die steigerungsorientierte, auf Verfügbarmachung zielende möglich ist“, sagte Bätzing unter Bezug auf den Soziologen Hartmut Rosa. Dieser habe in den vergangenen Jahren mit seinen Theorien zur Beschleunigung, Entfremdung und Resonanz eine „treffende Zeitanalyse“ geliefert, erklärte Bischof Bätzing.

Leben entschleunigen

Religion könne das Leben verwandeln, entschleunigen sowie neue Räume und ein neues Zeitgefühl erschließen, fügte Bätzing hinzu. Sinnbild dafür sei das in der Bibel beschriebene Reich Gottes, sagte Bätzing in einer Auslegung einer Textstelle aus dem Lukasevangelium. Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag geht an diesem Sonntag zu Ende.



Stetter-Karp: Rassismus so früh wie möglich unterbinden



Nürnberg (epd). Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, hat dazu aufgerufen, jede Form von Rassismus so früh wie möglich zu unterbinden. Deutsche müssten aufgrund ihrer Geschichte hellhörig sein „für den Moment, in dem Diskriminierung beginnt“, sagte Stetter-Karp am Samstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg mit Blick auf die NS-Vergangenheit.

„Dieser Moment ist nicht innerhalb von KZ-Mauern“, betonte die Sozialwissenschaftlerin aus Göppingen bei Stuttgart. „Er beginnt weit früher. Zum Beispiel dort, wo jemand eine gesonderte Parkbank zugewiesen bekommt.“ Die Präsidentin erinnerte dabei an den US-amerikanischen Pastor Martin Luther King und Südafrikas früheren Präsidenten Nelson Mandela. Beide hätten konsequent den Kampf gegen jede Form von Rassismus geführt. Stetter-Karp steht seit 2021 an der Spitze der katholischen Laienorganisation.




Rotes Sofa

EKD-Synodenpräses: Zukunft gemeinsam gestalten




Anna-Nicole Heinrich auf dem "Roten Sofa"
epd-bild/Tim Wegner
"Die großen Themen kriegen wir nicht hin, wenn wir gegeneinander diskutieren", sagt Anna-Nicole Heinrich auf dem "Roten Sofa" der Kirchenpresse.

Nürnberg (epd). Die Generation der Babyboomer muss nach den Worten der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, Macht abgeben. Man solle die Zukunft aber nicht gegen sie, sondern mit ihr gestalten, sagte sie am Samstag auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg: „Die großen Themen kriegen wir nicht hin, wenn wir gegeneinander diskutieren.“

Die Präses äußerte sich auch zum Klimaschutz in der Kirche. Bei den Bemühungen zur Treibhausgas-Reduktion müssten Gemeinden Autonomie abgeben, sagte Heinrich. Sie verstehe zwar, dass man den Raum in seiner jeweiligen Gemeinde selbst gestalten wolle. „Aber wir können nicht für jede Solaranlage eigene Verträge aushandeln.“ Bündele man diese Aufgaben, bliebe auf der anderen Seite mehr Zeit für Gemeindearbeit.



"Rein ins Elend": Kirchentagspräsident fordert aktives Christentum



Nürnberg (epd). Zuversicht gepaart mit Handlungsbereitschaft macht nach Auffassung von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière das Christentum aus. „Wir sind nicht dazu da, die Welt zu bejammern“, sagte der frühere Bundesminister am Samstag auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Christsein zeige sich in der Bewährung mitten in der Gesellschaft, betonte de Maizière. „Das heißt: Wir müssen rein ins Elend der Welt, aber in einer Haltung, die sagt, Hoffnung wird den Tod überwinden.“ Das gelte aber nur „wenn wir etwas tun“.

„Man arbeitet in Zuversicht besser“

„Man arbeitet in Zuversicht besser als wenn man denkt, das hat sowieso keinen Zweck“, bekräftigte der ehemalige CDU-Bundesminister und ergänzte: „Wenn vom Nürnberger Kirchentag die Botschaft ausgeht, dass mit Hoffnung und Zuversicht gestritten und zugehört wird, dann bin ich ein glücklicher Mensch.“ Das fünftägige Protestantentreffen steht unter der biblischen Losung „Jetzt ist die Zeit“ und geht am Sonntag zu Ende.



CDU-Chef Merz hadert mit seiner Kirche




Friedrich Merz auf dem "Roten Sofa"
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Nürnberg (epd). Der CDU-Chef und Katholik Friedrich Merz leidet an seiner Kirche, zieht einen Austritt aber derzeit nicht in Erwägung. Auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg bekannte Merz am Samstag, ihn beschwere und belaste der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen sehr. Gerade eine Institution wie die katholische Kirche müsse „in der Lage sein, anders damit umzugehen“ und solche Vorgänge aufzuarbeiten. Andernfalls verliere sie Vertrauen.

Der Katholik aus dem Erzbistum Paderborn bezog sich unter anderem auf die schleppende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln. Der CDU-Vorsitzende zog auch Parallelen zwischen den politischen Parteien in Deutschland und den Kirchen. Beide verlören Mitglieder und damit Einfluss. Kirchen und Parteien stünden somit vor ähnlichen Herausforderungen.

Beabsichtigte Provokation

Auf die Frage nach dem „C“ im Namen seiner Partei sagte der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, er sei dankbar für die parteiinterne Debatte darüber im vergangenen Jahr. Diese habe er als „Möglichkeit zur Vergewisserung“ empfunden. „Selbstverständlich“ werde das „C“ im Parteinamen bleiben, weil der Programmatik das christliche Menschenbild zugrunde liege. Dies sei für viele eine Provokation, die aber beabsichtigt sei. Es handele sich um ein Angebot, bei dem auch Nicht-Christen mitarbeiten könnten. So gebe es inzwischen viele Muslime in der CDU, unterstrich Merz.



Bätzing fordert von Politik Engagement bei Missbrauchsaufarbeitung




Georg Bätzing auf dem "Roten Sofa"
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Nürnberg (epd). Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg die Politik aufgefordert, sich des Themas Missbrauch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzunehmen, „wie es notwendig ist“. Er wolle nicht ablenken von den Schwierigkeiten, die die Kirchen mit dem Thema hätten. Aber es geschehe schon viel in der katholischen Kirche in der Präventionsarbeit, sagte Bätzing am Samstag bei einem Interview auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse.

Er könne verstehen, dass bei vielen der Eindruck entstehe, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nicht schnell genug vorankomme. Aber nun sei jedes einzelne Bistum dran.

Kein Kulturwandel in Köln

Bätzing kritisierte das Erzbistum Köln unter Kardinal Rainer Maria Woelki. Dort habe man lediglich die juristische Aufarbeitung in den Blick genommen. Das sei zwar notwendig, um Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen. „Aber das hilft nicht in die Zukunft hinein“, sagte der Limburger Bischof. Es müsse ein Kulturwandel erreicht werden, „und davon war in Köln weit und breit nichts zu spüren“.

Bätzing räumte ein, dass die frühere katholische Dienstordnung Leid ausgelöst habe. Es habe Tabuisierung, Doppelmoral und verstecktes Leben gerade für homosexuelle Menschen in der Kirche gegeben. Eine neue Dienstordnung habe das nun verändert. Es gebe außerdem neuerdings die Möglichkeit einer liturgischen Feier mit dem Segen für gleichgeschlechtliche Paare. Eine Trauung solcher Paare schloss Bätzing aber aus: „Das Sakrament der Ehe ist ein Sakrament zwischen Mann und Frau, das ist die Grenze für die katholische Kirche, auch wenn die Ehe gesellschaftlich geöffnet worden ist.“



Theologin Vecera: Ohne Schuldzuweisung über Rassismus reden




Sarah Vecera
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Nürnberg (epd). Nach den Worten der Theologin Sarah Vecera ist eine Gesellschaft ohne Rassismus auf absehbare Zeit nicht erreichbar. Auch wenn niemand menschenfeindlich sein wolle, seien Menschen seit 500 Jahren vom Konstrukt Rassismus geprägt, sagte Vecera am Freitag auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Am ehesten verlerne man dieses Konstrukt, indem man ohne Schuldzuweisung über dessen strukturelle Ursachen rede, sagte Vecera. Eine der strukturellen Ursachen sei die allgegenwärtige Prägung von Kindesbeinen an. Menschen lernten über Beobachtung, zum Beispiel wer welche Rollen einnehme, erklärte sie: „Und wenn wir hier über den Kirchentag gehen und beobachten, dann sehen wir, wer auf Bühnen sitzt und etwas zu sagen hat, und wer uns den Kaffee serviert.“

Die Theologin und Religionspädagogin Vecera ist bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) Bildungsreferentin mit dem Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“. Sie ist auch Autorin mehrerer Bücher, etwa einer „Alle-Kinder-Bibel“ oder „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“.