

Berlin (epd). Ein Vorstoß von Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) für einen Lohnersatz für pflegende Angehörige stößt bei den großen Sozialverbänden auf Zustimmung. Zur Begründung für die Einführung eines Familienpflegegelds sagte Prien den Zeitungen der Funke Mediengruppe am 20. Mai: „Es wird mit unserer demografischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird.“ Deshalb müsse man „einen Einstieg in ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige schaffen“. Als Vorbehalt für die neue Sozialleistung nannte sie aber die wirtschaftliche Entwicklung.
Genau das sieht der Sozialverband VdK kritisch. Es sei schwierig, „dass diese Lohnersatzleistung von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig gemacht werden soll“, sagte Präsidentin Verena Bentele in Berlin. Doch es sei gut, „pflegende Angehörige finanziell zu unterstützen, damit sie sich mit voller Kraft der Pflege widmen können und nicht finanzielle Sorgen haben müssen“. Sie forderte einen einkommensunabhängigen Pflegelohn, der nach Pflegegrad gestaffelt ist. Als Zwischenschritt sei das Familienpflegegeld denkbar, weil es eine finanzielle Verbesserung für pflegende Angehörige darstelle.
Diakonie-Bundesvorständin Elke Ronneberger sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), das Familienpflegegeld sei eine große Erleichterung für pflegende Angehörige: „Es ist ein wichtiger Schritt, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.“ Die Pflege durch Angehörige sei das Rückgrat der Langzeitpflege in Deutschland und werde aktuell immer wichtiger. „Die Pflege zu Hause entspricht dem Wunsch der allermeisten pflegebedürftigen Menschen. Manchmal gibt es keine Alternative, weil es vor Ort keine passenden professionellen Angebote gibt.“ Vor diesem Hintergrund unterstütze die Diakonie Deutschland Priens Vorschlag nachdrücklich.
ASB-Hauptgeschäftsführer Uwe Martin Fichtmüller sagte dem epd, Pflegegeld als Lohnersatz sei gut, dürfe aber „nicht erneut zu einer Leistungsausweitung führen, die nicht durch Beiträge oder Steuermittel abgesichert ist“. Die nicht finanziell abgesicherten Leistungsausweitungen der vergangenen Jahre hätten neben dem demografischen Effekt zu dem jetzt viel diskutierten Finanzdesaster in der Pflegeversicherung geführt.
Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, nannte eine Lohnersatzleistung einen wichtigen Baustein. Die jetzigen Regelungen im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz seien kompliziert und nicht wirklich alltagstauglich. Die Freistellungsansprüche müssten flexibler gestaltet und der Kreis der Angehörigen dringend erweitert werden. „Die demografische Entwicklung duldet keinen Aufschub“, mahnte Welskop-Deffaa. Sie schätzte die jährlichen Kosten der Reformen samt der Zahlung des Familienpflegegelds auf jährlich rund zwei Milliarden Euro.
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.“ Ministerin Prien sagte, zum Einstieg seien „viele Varianten denkbar“: „Man kann über die Bezugsdauer reden, über die Höhe, über eine soziale Staffelung.“
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nahm ebenfalls die Kosten in den Blick: „Erst wenn die Plünderung der Pflegeversicherung durch versicherungsfremde Leistungen gestoppt wird, sind Lohnersatzleistungen wie das Familienpflegegeld möglich.“ Das sei die Voraussetzung, um die Pflegeversicherung und das Langzeitpflege-System zukunftssicher und generationsgerecht zu machen.
„Ein Lohnersatz für pflegende Erwerbstätige würde Frauen finanziell besser absichern und Männer ermutigen, sich ebenfalls um ihre Angehörigen zu kümmern“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Anja Weusthoff. Man brauche auch in der Pflege Anreize für mehr Partnerschaftlichkeit.
Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, sagte, eine Lohnersatzleistung für Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um Angehörige zu pflegen, sei längst überfällig. Und weiter: „Wir brauchen dabei nicht nur eine finanzielle Leistung analog zum Elterngeld, sondern auch verbesserte Ansprüche auf Kündigungsschutz und Freistellung gegenüber dem Arbeitgeber - wie es der Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf vorgeschlagen hatte.“ Ebenso komme es darauf an, Betreuungsangebote für Pflegebedürftige auszubauen, damit pflegende Erwerbstätige durch ambulante Dienste und Angebote der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege unterstützt werden.
Dagegen ging der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) auf Distanz zum Vorhaben der Ministerin: Der Vorstoß setze falsche Anreize, sagte Präsident Thomas Greiner: „Ein Lohnersatz für pflegende Angehörige ist gut gemeint, führt aber ökonomisch und gesellschaftlich in die falsche Richtung.“ Eine solche Reform habe negative Folgen für die Wirtschaft und für die Gleichstellung von Frauen. So werde der Ausstieg aus dem Erwerbsleben gefördert und der Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte entzogen.
Greiner: „Betroffen wären vor allem Frauen, denn meistens sind sie es, die sich zu Hause um die Pflegebedürftigen kümmern. Schon jetzt sind zwei Drittel der pflegenden Angehörigen Frauen.“ Die Bundesregierung müsse eine stabile und professionelle Pflegeinfrastruktur ermöglichen, nicht Angehörige aus dem Arbeitsmarkt drängen.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht Priens Ansatz zwar grundsätzlich positiv, aus dessen Sicht geht er aber nicht weit genug. DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper sagte, pflegende Angehörige bräuchten mehr Geld, erklärte aber zugleich: „Ein Pflegegeld ersetzt keine Fachkraft, keine Anleitung im Notfall und keine kontinuierliche Versorgungssicherheit.“
Es braucht nach Klappers Worten den flächendeckenden Einsatz von sogenannten Community Health Nurses. Diese Pflegefachkräfte mit akademischer Weiterbildung berieten, steuerten und stabilisierten in komplexen Pflegesituationen vor Ort und seien die Lösung für die strukturelle Überlastung von Angehörigen. Ein Lohnersatz hingegen sei nicht mehr als „ein wichtiges Signal“.