

Kassel, Berlin (epd). Josef Lüttig, Vorsitzender von Bahnhofsmission Deutschland, misst angesichts sinkender Kirchenmittel Spenden eine immer größere Bedeutung für ihre Arbeit bei, um das bundesweite Hilfenetz zu sichern. Wenn das nicht gelingt, sieht er die Gefahr von einem Abbau der Angebote bis hin zu Schließungen. Die Fragen stellte Helga Kristina Kothe.
epd sozial: Herr Lüttig, wie hat sich die finanzielle Situation der Bahnhofsmissionen in den vergangenen Jahren verändert?*
Josef Lüttig: Bahnhofsmissionen sind in der Regel mischfinanziert. Den überwiegenden Teil machen kirchliche Eigenmittel aus. In einer Abfrage, nicht repräsentativ, im Jahr 2023 betrug deren Anteil durchschnittlich etwa die Hälfte der Budgets, öffentliche Zuschüsse machten ein knappes Viertel aus, Spenden etwas mehr als ein Fünftel. Bei absehbar rückläufigen Kirchensteuereinnahmen wird das Einwerben von Spenden und weiteren Drittmitteln immer wichtiger. Wenn dies nicht gelingt, drohen Angebotsrückbau und Schließungen.
epd: Welche Auswirkungen hat dies auf die Versorgung bedürftiger Menschen?
Lüttig: Die Studie „Sichere Bahnhöfe für alle“ hat gerade eindrücklich herausgearbeitet, wie wichtig es ist, an Bahnhöfen Schutz- und Rückzugsräume für von Ausgrenzung betroffene Menschen zu schaffen und welchen Beitrag dies zur Sicherheit der Bahnhöfe leistet. Schließungen oder reduzierte Öffnungszeiten von Bahnhofsmissionen bedeuten für diese Menschen weniger Kontakt- und Hilfemöglichkeiten, den Verlust eines etablierten Schutzraums und eine Verdrängung in den potenziell unsicheren und angstauslösenden öffentlichen Raum.
epd: Wie gehen Bahnhofsmissionen mit der Herausforderung um, die steigende Nachfrage nach Unterstützung bei gleichzeitig sinkenden Budgets zu bewältigen?
Lüttig: Die Bahnhofsmissionen haben die Herausforderung angenommen und ihre Schwerpunkte zugunsten der wachsenden Nachfrage durch von Armut und Ausgrenzung betroffene Menschen verändert. Deren Anteil an den jährlich über zwei Millionen Gästen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und machte 2023 zwei Drittel der Gästekontakte aus, in Metropolen sogar 85 Prozent. Die Unterstützung dieser Menschen ist zur Hauptaufgabe vieler Bahnhofsmissionen geworden; rückläufig sind trotz steigender Fahrgastzahlen die Hilfen für Reisende, für die mancherorts die Kapazitäten nicht ausreichen.
epd: Die Bahnhofsmission in Gießen musste im vergangenen Jahr wegen Geldmangels schließen. Gibt es weitere Beispiele?
Lüttig: Ja, die gibt es. Ihre Tore geschlossen haben in den vergangenen Jahren die Bahnhofsmissionen in Darmstadt, Kehl, Gießen, Ravensburg, Elze, Kempten und Recklinghausen sowie vorübergehend in Friedrichshafen und Bitterfeld. Für letztere haben sich mittlerweile neue Perspektiven ergeben. Bei weiteren Standorten konnten Schließungen abgewendet werden.
epd: Die Kirchen haben weniger Geld zur Verfügung und damit auch die Träger der Bahnhofsmissionen, Diakonie und Caritas. Wie kann ihre Finanzierung für die Zukunft sichergestellt werden?
Lüttig: Trotz mancher Sorgen freuen wir uns über ein weiter starkes Bekenntnis von Diakonie und Caritas zur Bahnhofsmission an fast 100 Standorten und werten dies als Zeichen der Solidarität mit benachteiligten Menschen im Sozialraum Bahnhof. Unser gemeinsames Anliegen muss es, sein, dieses weltweit einzigartige Hilfenetz für diese Menschen zu sichern und zukunftsfähig zu machen. Dafür müssen auch weiter kirchliche Mittel aufgewendet werden.
epd: Wie kann die Politik dazu beitragen, die finanziellen Ressourcen für die Arbeit von Bahnhofsmissionen zu sichern?
Lüttig: Politisch Verantwortliche bringen den Bahnhofsmissionen große Wertschätzung entgegen und bringen das in vielen Besuchen vor Ort zum Ausdruck. Damit Bahnhofsmissionen als bundesweites Hilfenetz eine Zukunft haben, muss daraus mehr werden als nur eine ideelle Unterstützung. In einigen Kommunen und auch auf Länderebene gibt es bereits Beispiele guter Förderpraxis, denen sich andere anschließen können.
epd: Können mit Spenden auch besondere Projekte realisiert werden?
Lüttig: Einerseits kommt ein beträchtlicher Teil direkt bedürftigen Gästen zugute, andererseits helfen sie, die Arbeit abzusichern und besondere Angebote zu ermöglichen, wie etwa die Schaffung von Schutz- und Begegnungsräumen für weibliche Gäste. Frauen meiden den Aufenthalt in unseren Räumen manchmal, weil vorwiegend von Männern genutzte Räume besonders für Frauen mit Gewalterfahrungen angstauslösend sein können. Spenden kann man übrigens auch seine Zeit, viele Bahnhofsmissionen suchen gerade dringend neue Freiwillige.