sozial-Recht

Bundessozialgericht

Krankenkasse darf nicht nach Preis für Menschenleben fragen




Bundessozialgericht in Kassel
epd-bild/Heike Lyding
Bei regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten können Krankenkassen auch zur Kostenübernahme alternativer und erfolgversprechender Behandlungsmethoden verpflichtet sein. Eine festgelegte Begrenzung für die Übernahme der Kosten gibt es nicht, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Eine Krankenkasse darf einem Patienten mit einer tödlichen Erkrankung nicht die Finanzierung der einzigen zur Verfügung stehenden Behandlungsmethode in den USA verweigern. Auch wenn die Krankenkasse auf die hohen Kosten der Behandlung verweist und letztlich nach dem Preis eines Menschenlebens fragt, gibt es keine Regelung, „aus der eine solche Begrenzung abgeleitet werden könnte“, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 3. März 2025. Die Kasseler Richter verwarfen damit die Beschwerde einer Krankenkasse gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig.

Der im Jahr 2000 geborene Kläger ist an einem schweren angeborenen und bereits operierten Herzfehler und einer vermutlich daraus entstandenen seltenen Bronchitis fibroplastica erkrankt. Bei der Lungenerkrankung gelangen Eiweißfäden in die Bronchien, die zu lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen führen können. Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten sterben innerhalb von fünf Jahren oder benötigen eine Herztransplantation.

Andere Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft

Am US-amerikanischen Children's Hospital of Philadelphia wurde eine neue Behandlungsmethode entwickelt, bei der die Lymphgänge, über die die Eiweißfäden in die Lunge gelangen, operativ verschlossen werden. Auch der Kläger hoffte auf die rund 300.000 Euro teure und für ihn einzige mögliche Behandlungsmethode. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MD) befürwortete in einem Gutachten die Behandlung, da sämtliche andere Therapien ausgeschöpft worden seien.

Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme dennoch ab. Sie schlug dem Patienten eine Herz-Lungen-Transplantation als Behandlungsalternative vor. Sowohl das Sozialgericht Bremen als auch das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle verpflichteten die Krankenkasse zur Kostenübernahme der Behandlung. Eine gleichwertige, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung gebe es weder in Deutschland noch in der EU. Die vorgeschlagene Organtransplantation sei keine gleichwertige Behandlungsmethode. Auch eine von der Krankenkasse vorgeschlagene begrenzte Kostenzusage auf 25.000 Euro komme nicht in Betracht.

Verklausulierte Frage nach Preis eines Lebens

Die von der Krankenkasse eingelegte Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision verwarf das BSG als unzulässig. Die Krankenkasse habe nicht aufgezeigt, warum das BSG den Streit klären müsse. Die Kasseler Richter verwiesen dabei auf den sogenannten Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005. Demnach könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, für die es keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden gibt, die Finanzierung anderer, nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen umfassten ärztlichen Therapien verlangen. Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse sei, dass die Therapie eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ oder zumindest einen spürbar positiven Krankheitsverlauf verspreche.

Im aktuellen Fall habe das LSG festgestellt, dass die neue Behandlungsmethode in den USA die einzige verbliebene Behandlungsmethode für die oft tödlich verlaufende Erkrankung sei, so das BSG. Die Krankenkasse habe in ihrer Beschwerde „verklausuliert“ gefragt, „ob ein Menschenleben gleichwohl einen Preis haben kann, bei dessen Überschreitung infolge der zu erwartenden Behandlungskosten die gesetzliche Krankenversicherung nicht mehr leistungsfähig ist“. Für solch eine Kostenbegrenzung gebe es aber keine rechtliche Grundlage.

Der Einwand der Krankenkasse, dass mit der unbegrenzten Leistungspflicht eine Kostenlast bis ins Unendliche ermöglicht werde, werde nicht genauer belegt. Zwar müsse sich die Krankenkasse an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten. Dieses greife wie im vorliegenden Fall nicht mehr, „wenn weitere zumutbare Behandlungsalternativen nicht zur Verfügung stehen.“

Begrenzungen des Leistungsanspruchs

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen alternative, nicht anerkannte Behandlungsmethoden bezahlt werden können, ist jedoch kein Freibrief für eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen. So reicht es nach einer weiteren Entscheidung der Verfassungsrichter vom 25. März 2023 nicht aus, dass ein behandelnder Arzt die Therapie mit Medikamenten außerhalb ihrer Zulassung empfiehlt. Gerichte könnten schon ein Mindestmaß an wissenschaftlichen Indizien verlangen, dass die Arzneimittel erfolgversprechend sind.

Das BSG hat mit Urteil vom 8. Oktober 2019 die Leistungspflicht der Krankenkassen bei tödlich verlaufenden Erkrankungen ebenfalls begrenzt. So könne bei hohen Risiken einer Alternativmethode eine palliative, auf Schmerzlinderung abzielende Behandlung Vorrang haben.

Az.: B 1 KR 67/23 B (Bundessozialgericht zum aktuellen Fall)

Az.: 1 BvR 347/98 (sogenannter Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts)

Az.: 1 BvR 1790/23 (Bundesverfassungsgericht zu Medikamententherapien)

Az.: B 1 KR 3/19 R (Bundessozialgericht zu Palliativbehandlungen)

Frank Leth