

Höchstadt/Aisch (epd). Im KreisLauf-Kaufhaus im mittelfränkischen Höchstadt/Aisch herrscht an diesem frühlingshaften Vormittag mäßiger Betrieb. Einige Kunden stöbern durch die Möbelausstellung, begutachten das Geschirr oder werfen einen Blick auf die Bekleidung. Der großflächige Laden hat sich der Wiederverwertung und dem Verkauf von gut erhaltenen Gebrauchtwaren verschrieben.
Für den Chef Michael Thiem geht es darum, auf diese Weise Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu schützen. Doch noch wichtiger ist für ihn: Das Geld kommt seinem Sozialunternehmen „Soziale Betriebe der Laufer Mühle“, einer gemeinnützigen GmbH, zugute. Dort finden suchtkranke Menschen nach erfolgreicher Therapie eine Arbeit „und schaffen so die Voraussetzungen für ihr weiteres suchtfreies Leben“, sagt Thiem. Langzeitarbeitslose, Suchtkranke und psychisch beeinträchtigte Menschen können so ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und sind nicht auf die Hilfe des Sozialstaats angewiesen.
Den Betrieb hob Sozialpädagoge Thiem vor 25 Jahren aus der Taufe. Heute gibt es von Neustadt bis Bamberg sechs KreisLauf-Kaufhäuser, einen Gartenbetrieb, ein Café oder auch Fertigungsstätten für die Industrie. Die Laufer Mühle beschäftigt mittlerweile an insgesamt zehn Standorten gut 300 betreute Männer und Frauen. Aus zunächst vier Mitarbeitenden sind zuletzt 110 und ein Jahresumsatz von elf bis zwölf Millionen Euro geworden.
Die Keimzelle findet sich Anfang der 1990er Jahre. Thiem, Jahrgang 1959 und als Jugendlicher selbst schwer alkoholkrank, wollte in einer alten Mühle in Lauf bei der Gemeinde Adelsdorf mit einer „therapeutischen Gemeinschaft bundesweites Neuland betreten“. Mit der Arbeit auf dem Hof wollte er Menschen mit schwersten Abhängigkeitsverläufen helfen, „die von anderen psychiatrischen und therapeutischen Krankenhäusern abgeschrieben wurden und als 'hoffnungslos' beziehungsweise 'unheilbar' galten“, erzählt der Gründer.
Die frühere SPD-Bundesfamilienministerin Renate Schmidt erinnert sich anlässlich des Jubiläums an die Laufer Mühle: „vor dem Gebäude ein Gatter mit Gänsen, innen alles leicht vergammelt“. Sie würde zwar gern eine Weihnachtsgans bei ihm kaufen, alles andere halte sie für „Spinnerei“. Heute bescheinigt sie dem Sozialunternehmer, dass das Konzept aufgegangen ist: „Aus der vergammelten Laufer Mühle ist ein blitzsauberer Sozialbetrieb mit zahlreichen Dependancen geworden, wie es ihn meines Wissens in Deutschland kein zweites Mal gibt.“
Thiem wollte einen „Ort der Hoffnung“ schaffen. Wer als Betroffener den Weg zu seiner Einrichtung finde, „ist im Teufelskreis ganz unten angekommen“, weiß er. Er selbst kennt den Weg vom Alkoholkonsum über -missbrauch bis zur Abhängigkeit. Er spricht offen über die Tricks, die Fassade möglichst lang aufrechtzuerhalten, und die Co-Abhängigkeit von Partnern, Familie und Arbeitskollegen.
„Wir sind eine strenge Einrichtung mit klarem Regelwerk und Suchtfreiheit als Ziel“, sagt er. Bier oder gar härterer Alkohol sind verboten, auch wenn Thiem aus eigener Erfahrung weiß, wie gut sich Schmerz und Trauer so betäuben lassen. Seit über 40 Jahren suchtmittelfrei, will er diese Perspektive auch anderen Menschen eröffnen. Unter den Bewohnern der Laufer Mühle finden sich Ungelernte genauso wie Ingenieure, die mithilfe der Jobcenter einen Weg zurück in die geregelte Arbeitswelt gehen können.
Der 66-Jährige, der selbst noch Möbel schleppt oder mit dem Lkw Waren transportiert, geht Ende Mai in den Ruhestand. Die Nachfolge seines Lebenswerks hat er geregelt. Aber der zweifache Vater kann sich nicht vorstellen, daheim auf dem Sofa die Hände in den Schoß zu legen. „Auch mehrfach in den Urlaub zu fahren gibt mir nicht so viel, wie etwas Sinnvolles zu tun“, sagt er.
Noch in diesem Jahr plant Thiem, einen neuen Sozialbetrieb zu gründen, um im Landkreis Erlangen-Höchstadt Obdachlose zu versorgen. Entsprechend seinen Erfahrungen wolle er ihnen nicht nur eine angemessene Unterbringung bieten, sondern ebenso Hilfe zur Selbsthilfe. Statt der vorhandenen „hochschwelligen und schwer erreichbaren Angebote des Sozialstaates“ wolle er Wohnplätze schaffen und mit sozialtherapeutischen Hilfen kombinieren.
Zwar sind Kommunen und Gemeinden gesetzlich verpflichtet, Obdachlose - in Thiems Worten - „irgendwie“ unterzubringen. Die Summe an Problemen und Krankheiten, die letztendlich zur Obdachlosigkeit geführt haben, würden aber nicht angegangen. In seiner mehrjährigen Vorbereitung musste insbesondere die juristische Frage im Paragrafendschungel geklärt werden: ob Gemeinden überhaupt ihre Pflichtaufgabe, ein Obdach zur Verfügung zu stellen, an einen Dritten übertragen dürfen.
Nachdem der Landkreis Erlangen-Höchstadt grünes Licht gegeben hat, ist für Thiem der Weg frei, für sein ganzheitliches Konzept zu werben. Und wieder betritt er Neuland: „Ein solches Konzept gibt es deutschlandweit noch nicht und wäre somit ein Modellprojekt.“