sozial-Politik

Wohnungslosigkeit

Gastbeitrag

Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit: Potenzial jetzt nutzen




Claudia Engelmann
epd-bild/DIMR/Barbara Dietl
Die Überwindung von Wohnungslosigkeit spiele im Koalitionsvertrag kaum eine Rolle, beklagt Claudia Engelmann vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Der Nationale Aktionsplan biete Ansätze, Wohnungsnot einzudämmen. Doch dazu müsse die neue Regierung dieses Potenzial nutzen, fordert Engelmann in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Der Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit, verabschiedet im April 2024, bietet die Chance, einen wirklichen Beitrag zur Überwindung der Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit in Deutschland zu leisten. Dieses Potenzial kann und sollte die neue Bundesregierung nutzen.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland ist sehr hoch, Tendenz steigend. Anfang 2024 lag sie bei rund 531.600 Personen. Diese Menschen leben auf der Straße, nächtigen bei Freunden oder Bekannten auf dem Sofa oder sind vorübergehend in kommunalen Notunterkünften oder Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht. Ihnen fehlt nicht nur eine Wohnung, sie haben auch häufig Schwierigkeiten, Gesundheitsleistungen zu erhalten, und sie erfahren Gewalt und Diskriminierung. Ihre Rechte auf Wohnen, Gesundheit oder auf Schutz vor Gewalt sind massiv eingeschränkt.

Überwindung von Wohnungslosigkeit ist staatliche Pflicht

Angesichts dieser Zahlen reagierte auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates bei ihrem letzten Deutschlandbesuch: In Anbetracht des Wohlstands in Deutschland seien diese Zahlen nicht hinnehmbar, mahnte sie im März 2024.

Das Recht auf Wohnen zu gewährleisten, ist keine karitative Maßnahme, sondern Pflicht des Staates. Diese Pflicht ergibt sich aus den internationalen Menschenrechtsverträgen, etwa dem UN-Sozialpakt. Diese Verträge sind unmittelbar geltendes Recht, das sämtliche Staatsorgane bindet - auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

Auch im Grundgesetz ist das Recht auf Wohnen verankert: Aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG ergibt sich das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, zu dem auch eine Unterkunft gehört. Viele Aspekte des Rechts auf Wohnen werden durch Gesetze geregelt, wie etwa Regelungen zum Kündigungsschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch, das Wohngeldgesetz oder die Sozialgesetzbücher.

Daraus folgt zwar nicht das Recht des Einzelnen auf Bereitstellung einer bestimmten Wohnung. Allerdings muss der Staat dafür sorgen, dass alle Menschen ihr Recht auf Wohnen wahrnehmen können, das heißt etwa: dass Wohnen bezahlbar bleibt, dass niemand wohnungslos wird und das wohnungslose Menschen schnellstmöglich wieder eine Wohnung finden. Dafür sollte der Staat eine Gesamtstrategie entwickeln und Regeln sowie Maßnahmen festlegen.

Aktionsplan ist Schritt in die richtige Richtung

Auch wenn primär die Kommunen für die Vermeidung und Überwindung von Wohnungslosigkeit zuständig sind. Mit dem Nationalen Aktionsplan (NAP) der alten Bundesregierung wurde anerkannt: Bund und Länder setzen maßgeblich die Rahmenbedingungen, unter denen die Kommunen agieren, etwa durch die Ausgestaltung der Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII, des Mietrechts oder sozialrechtlicher Ansprüche (Wohngeld, Kosten der Unterkunft) beziehungsweise durch die Wohnungs(bau)politik. Es geht also nur gemeinsam - in einem Dreiklang aus Bund, Ländern und Kommunen.

Der NAP erkennt auch an: Die Expertise der Wohnungsnotfallhilfe, Verbände, Wissenschaft und wohnungsloser Menschen ist essenziell für die Vermeidung und Überwindung von Wohnungslosigkeit in Deutschland.

Neben diesem Potenzial muss aber auch gesagt sein: Der bisherige NAP hat erhebliche Schwächen. Die Maßnahmen gehen kaum über das hinaus, was sowieso in der (vergangenen) Legislatur geplant war. Sie bleiben unkonkret und sind nicht mit finanziellen Mitteln hinterlegt.

Zukunft des NAP bleibt ungewiss

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD lässt erkennen: Einige Aspekte von Wohnungsnot will die neue Bundesregierung angehen. Der Koalitionsvertrag nimmt auch auf die Umsetzung des NAPs Bezug. Das europaweite Ziel, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden, fehlt jedoch, ebenso wie Maßnahmen, die konkret auf die Vermeidung und Überwindung von Wohnungslosigkeit abzielen. Diese müssen bei einer Fortschreibung des Nationalen Aktionsplans nun zwingend ergänzt werden.

Der NAP bietet die Chance, alle Akteure unter einem „Dach“ zu vereinen. Die Überwindung von Wohnungslosigkeit ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Neben Maßnahmen des Wohn- beziehungsweise des Bauressorts sind auch umfassende Maßnahmen in den Bereichen Justiz, Gesundheit, Jugend oder etwa Frauen vonnöten. Der Aktionsplan bietet die Möglichkeit, in einen Dialog mit allen Beteiligten über die vereinbarten Maßnahmen, ihren Umsetzungsstand sowie Weiterentwicklung zu gehen. Und somit eine breite Akzeptanz und Identifikation bei allen Beteiligten zu erreichen.

Es braucht konkrete politische Ziele

Konkrete politische Ziele - inklusive der Überwindung von Wohnungslosigkeit bis 2030 - sollten Teil einer ambitionierten, nationalen Gesamtstrategie sein. Hier sollte die neue Bundesregierung ein deutliches Zeichen setzen. Der Aktionsplan sollte fortgeschrieben und mit konkreten, finanziell gut ausgestatteten Maßnahmen hinterlegt sein. Diese müssen auf die Vermeidung von Wohnungslosigkeit fokussieren, etwa die Ausweitung der Schonfristregelung auf die ordentliche Kündigung oder die Anschubfinanzierung von kommunalen Fachstellen.

Und: Bund und Länder sollten die Schaffung von sozialem Wohnraum wesentlich stärker als bisher in den Fokus nehmen. Zwingend braucht es eine Verbesserung der Situation für die über 531.600 wohnungslosen Menschen in Deutschland, etwa indem verbindliche Standards für die Notunterbringung festgelegt werden, der Zugang zu Hilfsangeboten vereinfacht wird und Belegrechte sicherstellen, dass wohnungslose Menschen auch tatsächlichen Zugang zu freien Wohnungen haben.

Entsprechende Vorschläge des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der Wohnungslosenhilfe, von Betroffenen und Verbänden hierzu liegen seit langem vor. Auch staatliche Akteure - etwa die kommunalen Spitzenverbände, einzelne Bundesländer und Bundesressorts - haben Maßnahmen vorgeschlagen. Jetzt braucht es den politischen Willen, diese gemeinsam und ambitioniert umzusetzen.

Dr. Claudia Engelmann ist Expertin zum Recht auf Wohnen beim Deutschen Institut für Menschenrechte.


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