

Berlin (epd). Das Ergebnis der neuen Erhebung „Jung und vielfältig, aber noch nicht politisch beteiligt? Wege zu mehr Partizipation für junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ kommt nicht überraschend, aber ein weiteres Alarmzeichen ist es gleichwohl. Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind demnach seltener politisch aktiv als Gleichaltrige ohne Zuwanderungsgeschichte, wie die Untersuchung des wissenschaftlichen Stabs des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) belegt. Beleuchtet wurden die Teilhabechancen junger Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zwischen 15 und 35 Jahren.
In Deutschland hatte 2023 knapp 30 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund; in etwa die Hälfte aller Personen mit Zuwanderungsgeschichte besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Allerdings spiegelt sich die Vielfalt der Bevölkerung bislang nicht in der politischen Repräsentation wider. Besonders junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind seltener politisch aktiv (11 Prozent) als Gleichaltrige ohne Zuwanderungsgeschichte (40 Prozent), das verdeutlichen quantitative Daten aus dem SVR-Integrationsbarometer 2024.
„Aus integrationspolitischer Sicht ist das problematisch, weil Teilhabe politische Zugehörigkeit symbolisiert und die Identifikation mit dem Gemeinwesen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken kann“, sagte Nora Storz, Autorin der Studie und Mitarbeiterin im wissenschaftlichen Stab des SVR.
Die Studie entstand im Rahmen des Praxisprojekts „YoungUP!, Junge BIPoC für Teilhabe ermutigen, begeistern und aktivieren“, das vom Förderverein des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI) verantwortet und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zugleich Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus gefördert wird.
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan sagte dazu: „Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind noch längst nicht gleichberechtigt in der Politik vertreten. Das ist ein Problem, denn mangelnde Repräsentation schwächt die Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land.“
Mithilfe qualitativer Interviews geht die Studie dem Beteiligungsdefizit junger Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf den Grund. „Einige Befragte sehen ihre Interessen in der aktuellen politischen Landschaft nicht gut vertreten. Sie wünschen sich eine gezieltere Ansprache durch die Politik, zum Beispiel an Orten, die verstärkt von jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte frequentiert werden, etwa in Schulen oder benachteiligten Stadtteilen, aber auch in den sozialen Medien“, berichtete Storz. Das würde den Zugang zur Politik erleichtern, denn oft fehle es den Befragten an Wissen über politische Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten.
Dafür ist der Studie zufolge auch politische Bildungsarbeit entscheidend. Die Autorinnen und Autoren empfehlen, Angebote politischer Bildung schon ab dem Grundschulalter an allen Schulformen vorzusehen. Planspiele, Exkursionen und Kooperationen mit außerschulischen Bildungsträgern seien Möglichkeiten, um Politik lebensnah zu vermitteln. „Auch Vereine, Migrantenorganisationen und sonstige zivilgesellschaftliche Akteure können hier eine zentrale Rolle spielen“, hieß es.
„In der parlamentarischen Demokratie sind die Parteien gefordert, sich stärker als bisher für junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu öffnen und ihnen attraktive Angebote zu machen - ganz in ihrem eigenen Interesse“, sagte Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim SVR.
Zudem hat der SVR Empfehlungen für die neue Legislaturperiode vorgelegt und politischen Handlungsbedarf umrissen. Die Expertinnen und Experten raten in dem Papier zu einer wirksamen Migrations- und Integrationspolitik mit Maß und Mitte. Und: Migration müsse möglichst effektiv gesteuert werden, „um Fachkräfte zu gewinnen, und die Flüchtlingsaufnahme einerseits und Rückführungen von nicht Schutzberechtigten andererseits menschenrechtskonform und europäisch umzusetzen“.
Weiterhin muss den Fachleuten zufolge Integration und Teilhabe aller gefördert werden und in Wohnraum, Kitas und Schulen investiert werden. Das dient der Akzeptanz von Vielfalt. „Jeder Form von Gewalt und Extremismus oder Diskriminierung muss entschieden entgegengetreten werden“, heißt es in dem Papier. In der neuen Legislaturperiode werde es darum gehen müssen, „im sachlichen Ringen um gute Kompromisse eine ausbalancierte Integrations- und Migrationspolitik umzusetzen“.