

Berlin (epd). Ohne ein Umsteuern in der Sozial- und Klimapolitik drohen nach Einschätzung der Diakonie die einkommensschwächsten Haushalte in Deutschland weiter abgehängt zu werden. „In der Debatte um den Klimaschutz wird die Perspektive von Menschen mit wenig Geld viel zu oft vergessen,“ kritisierte Elke Ronneberger, Bundesvorständin der Diakonie Deutschland, bei der Vorstellung eines Gutachtens zum sozial-ökologischen Existenzminimum am 11. Februar in Berlin.
Sie sagte, wegen der aktuellen Wirtschaftsentwicklung und den notwendigen Investitionen in den Klimaschutz würden Menschen in den unteren Einkommensgruppen in absehbarer Zeit ihren Alltag mit deutlich weniger verfügbarem Einkommen bestreiten müssen. Das gelte zumindest dann, wenn sich die Verteilungsentwicklung der letzten 25 Jahre fortsetzen sollte.
Gründe dafür seien die wachsende Einkommensungleichheit, die Kosten für Investitionen zum Beispiel in die Infrastruktur und steigende Preise, schreiben der Ökonom Benjamin Held und die Verteilungsforscherin Irene Becker in ihrem von der Diakonie in Auftrag gegebenen Gutachten.
Es zeige, „dass die Folgen der Klimakrise auch in Deutschland das Existenzminimum gefährden könnten, wenn die Politik nicht gegensteuert. Wir müssen neu darüber nachdenken, wie wir auch in Zukunft für alle die Teilhabe an der Gesellschaft sichern“, so Ronneberger. Dazu müssten bei der Bestimmung des Existenzminimums ökologische Kriterien berücksichtigt werden. Ziel sei es, dass ein sozial-ökologisches Existenzminimum sicherstellt, dass bei der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft niemand zurückgelassen werde.
Ein großes Problem sind den Forschern zufolge die gestiegenen Lohnunterschiede. Die Einkommensungleichheit habe in den vergangenen 25 Jahren deutlich zugenommen hat. So sind die verfügbaren Einkommen der obersten zehn Prozent der Haushalte zwischen 1995 und 2020 preisbereinigt um 51 Prozent gestiegen, die der untersten zehn Prozent dagegen nur um vier Prozent. Zugleich sei der Regelsatz für Menschen, die Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter erhalten, im gleichen Zeitraum preisbereinigt sogar um drei Prozent gesunken und erreicht erst jetzt wieder das Niveau von 1995.
Parallel dazu führt die Klimakrise zu deutlichen Preissteigerungen, zum Beispiel durch die CO2-Bepreisung. Das könne dazu führen, dass sich Menschen mit geringem Einkommen nicht ausreichend am Klimaschutz und am gesellschaftlichen Leben beteiligen können, weil ihnen schlicht das Geld dafür fehle.
„Die Folgen des Klimawandels wie Extremtemperaturen und Unwetter treffen soziale Einrichtungen sowie Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen besonders hart. Klimaschutz und der Schutz vor Armut gehören untrennbar zusammen. Die nächste Bundesregierung steht zudem in der Verantwortung, soziale Einrichtungen bei den Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung finanziell zu unterstützen“, sagt Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands.
Doch das Gutachten zeige, dass die drohende Abwärtsspirale durch einen Mix sozialpolitischer Maßnahmen durchbrochen werden könne. Dazu bedürfe es unter anderem einer gezielten Stärkung von Geringverdienern, etwa durch eine Einkommensteuerreform, eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Reform der Grundsicherung.
„Wenn die sozial gerechte Transformation zur Klimaneutralität erfolgreich sein soll, kommt es vor allem darauf an, dass wir auch Haushalten mit unterem und mittlerem Einkommen ermöglichen, aus einem CO2-intensiven Lebensstil auszusteigen“, sagte Brigitte Knopf, Direktorin und Gründerin von Zukunft KlimaSozial und stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen. Das kann nach ihren Worten gelingen, „wenn wir Klima- und Sozialpolitik von Anfang an zusammen denken“. Mit einem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, Ordnungsrecht, gezielter Förderung und einem sozial gestaffelten Klimageld könne eine positive Teilhabe an der Transformation für alle bewirkt werden.
So könnten sowohl die Klimaziele erreicht als auch gesellschaftliche Teilhabechancen gesichert werden, sagte Knopf. Im Gutachten würden fünf Lösungsansätze vorgestellt, die besonders geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen und damit ein ‚sozial-ökologisches Existenzminimum‘ sicherzustellen.