sozial-Politik

Armut

Gastbeitrag

Dachverband: Ende der Wohnungslosigkeit muss zentrale Aufgabe bleiben




Sabine Bösing
BAG W/Bernhardt Link
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) fordert mehr geförderte Sozialwohnungen. Nur so ließen sich Wohnungsnot sowie Wohnungs- und Obdachlosigkeit überwinden, schreibt Geschäftsführerin Sabine Bösing in ihrem Gastbeitrag für epd sozial. Bösing formuliert zudem, was sie von der künftigen Bundesregierung erwartet.

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Die sozialen Themen spalten Parteien und Wählergruppen. Undenkbares wird wieder denkbar und schürt Angst und Verunsicherung. Menschen in Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind stark von allen sozial-, gesundheits- und wohnungspolitischen Entscheidungen betroffen. Ihre bereits durch Ausgrenzung geprägte Lebenssituation droht sich weiter zu verschlechtern. Wir fordern die zukünftige Regierung und alle relevanten Akteure nachdrücklich auf, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die das Recht auf Wohnen für alle garantieren und die Vielfalt der Lebensrealitäten respektieren.

Ein Blick zurück

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat bereits 2012 eine Nationale Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut in Deutschland gefordert. Im Koalitionsvertrag vom Herbst 2021 hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, bis 2030 eine Gesamtstrategie zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu entwickeln. Im April 2024 folgte die Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit (NAP W) „Gemeinsam für ein Zuhause“, in dem die Bundesregierung verspricht, bis 2030 alle Menschen ein passendes Wohnangebot zu unterbreiten.

Es hat zwar lange gedauert, aber wir fühlten uns in unserer Forderung durch die Bundespolitik bestätigt. Damit brachte eine Bundesregierung erstmalig zum Ausdruck, dass die Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 als eine ressort- und akteursübergreifende Gemeinschaftsaufgabe und ein sozialstaatlicher Pflichtauftrag verstanden wird. Die Erwartungen waren groß.

Das Bundesbauministerium startete mit einem breit angelegten Beteiligungsprozess, um eine Vielzahl relevanter Akteure aus der Wohnungsnotfallhilfe, Menschen mit eigenem Erfahrungshintergrund und angrenzenden Feldern sowie aus den Bundes- und Landesbehörden und Kommunen in einen gemeinsamen Austausch zu bringen und die bestehenden Kompetenzen zu bündeln. Der Prozess machte einmal mehr deutlich, dass bereits ein umfassendes Wissen existiert, wir auf ein ausdifferenziertes Hilfesystem und auf fachlich versierte Handlungsansätzen aufbauen können, womit eine zeitnahe Umsetzung relevanter Maßnahmen möglich schien.

Die Unzufriedenheit und Ungeduld der Akteure nahmen jedoch im weiteren Prozess zu. Die Gründe dafür waren vielfältig: Es fehlte unter anderem an zusätzlichen finanziellen Mitteln, um Förderungsprogramme zu entwickeln. Das Programm für 2024 enthielt größtenteils Maßnahmen, die auch ohne den NAP W Realität geworden wären. Die schwierige Konstellation der Koalition ließ mietrechtliche Reformen unmöglich erscheinen.

Wo stehen wir heute?

Die aktuelle gesellschafts- und sozialpolitische Brisanz von Wohnungs- sowie Obdachlosigkeit verdeutlichen die aktuellen Zahlen. In der Hochrechnung der BAG W ist davon auszugehen, dass im Jahresverlauf 2022 etwa 607.000 Menschen wohnungslos waren und zum Stichtag (30. Juni) bundesweit 447.000 Menschen als wohnungslos gelten müssen. Davon lebten zirka 50.000 ganz ohne Unterkunft auf der Straße.

Auch die seit nunmehr drei Jahren geführte Bundesstatistik zur Zahl der öffentlich untergebrachten Personen zeigt einen deutlichen Anstieg. Danach waren laut Statistischem Bundesamt zum 31. Januar 2024 439.500 Personen mangels eigener Wohnung öffentlich untergebracht. Daneben zeigt dieser Wohnungslosenbericht, dass 60.400 Menschen bei Freunden und Bekannten und 47.300 Menschen auf der Straße leben. Hinter diesen Zahlen verbergen sich sehr individuelle Lebenskonstellationen und vor allem menschliche Schicksale.

Mit dem NAP W konnte eine wichtige politische Wirkung erzielt werden. Auf Landes- und Kommunalebene fand das Thema Wohnungsnot mehr Beachtung. Das ist ein großer Erfolg. Es fehlen im NAP W aber die konkreten Maßnahmen.

Um nur einige Beispiele zu nennen: Wie sollen wohnungslose Menschen, die mit besonders hohen Zugangshürden zum Wohnungsmarkt konfrontiert sind, mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden und wie wird dieser langfristig gesichert? Wie soll die unmittelbare und einheitliche Umsetzung menschenwürdiger Standards während ordnungsrechtlicher Unterbringungen erfolgen? Außerdem fehlen die Garantie eines diskriminierungsfreien Zugangs auch zur gesundheitlichen Versorgung sowie Schritte hin zur Schaffung flächendeckender Voraussetzungen zur rechtskonformen Umsetzung der Hilfen nach Paragraf 67 ff. SGB XII. Mit dieser Hypothek gehen wir in unsichere politische Zeiten.

Dazu wird auch die beim Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung eingerichtete Bundeskompetenzstelle zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, die wiederum eine digitale Wissensplattform als erste Maßnahme in der Umsetzung hat, keinen entscheidenden Beitrag leisten.

Klares politisches Bekenntnis gefordert

In einer Zeit, in der populistische und menschenverachtende Aussagen - bis weit in die politische Mitte hinein - genutzt werden, um die Ausgrenzung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu verstärken, braucht es eine starke Stimme für Solidarität. Wir als BAG W appellieren an die zukünftige Bundesregierung, den Solidargedanken als grundlegendes Prinzip einer Demokratie bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Ein klares Bekenntnis für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte bildet die Basis unserer Rechtsstaatlichkeit.

Wohnungsnot und die Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit muss auch für eine neue Bundesregierung eine zentrale Aufgabe bleiben. Das Wichtigste: Wir brauchen mehr sozialgeförderte Wohnungen. Notwendig ist eine ressortübergreifende und über alle staatlichen Ebenen hinweg abgestimmte Vorgehensweise, neue gesetzliche Regelungen zum Beispiel im Mietrecht genauso wie konkrete Förderinstrumente. Es geht darum, wohnungslose Menschen mit Wohnraum langfristig zu versorgen und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen effektiv vor dem Verlust ihrer Wohnung zu schützen. Im Forderungskatalog „Recht auf Wohnen garantieren!“ haben wir unsere zentralen Forderungen zur Bundestagswahl aufgeführt.

Sabine Bösing ist die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W).