sozial-Politik

Behinderung

Forderungen nach mehr Inklusion




Viele Lebensbereiche sind in Deutschland noch nicht barrierefrei. Minister Lauterbach will das ändern.
epd-bild/Andrea Enderlein
Die katholische Kirche und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe beklagen anhaltende Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach legte unterdessen einen Aktionsplan für mehr Inklusion vor.

Frankfurt a.M. (epd). Zum Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember haben Organisationen und Vertreter aus der Politik den Blick auf die Inklusion gerichtet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) legte am 2. Dezember einen Aktionsplan für ein inklusives Gesundheitswesen vor, die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe forderte von einer neuen Bundesregierung, die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz beklagte eine anhaltende Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Der Welttag stand in diesem Jahr unter dem Motto „Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung für eine inklusive und nachhaltige Zukunft“.

Lauterbach übergab den Aktionsplan dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Jürgen Dusel, und der Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, die auch Sprecherin des Deutschen Behindertenrats ist. Der Plan sieht vor, dass der Umbau von Arzt- und Zahnarztpraxen gefördert und die Belange von Menschen mit Behinderungen ausdrücklich als Bestandteil des ärztlichen Auftrags festgehalten werden.

Ziel ist bauliche und digitale Barrierefreiheit

Angestrebt werden bauliche und digitale Barrierefreiheit in der Langzeitpflege, der Pflegeberatung und der Gesundheitsförderung. Informationen sollen auch für blinde, gehörlose und kognitiv eingeschränkte Menschen erreichbar und verständlich sein.

Der Aktionsplan ist laut Bundesgesundheitsministerium das Ergebnis eines umfangreichen Dialogprozesses, an dem sich mehr als 100 Akteurinnen und Akteure aus Betroffenenverbänden und Interessenvertretungen beteiligten und rund 3.000 Vorschläge einreichten. Auf dieser Grundlage und den Ergebnissen aus sieben Fachgesprächen mit Verbänden und Organisationen sowie Vertreterinnen und Vertretern der Länder und Kommunen habe das Ministerium den vorliegenden Aktionsplan erstellt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte: „Der Zugang zu Gesundheitsleistungen muss einfach und für alle möglich sein, auch für Patienten mit Behinderungen oder Verständigungsschwierigkeiten. Deswegen müssen wir Hindernisse erkennen und abbauen, von der Stufe in die Arztpraxis bis zur komplizierten Erklärung einer Therapie.“ Der Aktionsplan markiere den Start Richtung barrierefreies Gesundheitswesen.

Dusel: Absolut wichtiger Schritt

Dusel sprach von einem „absolut notwendigen Schritt“, da Menschen im Gesundheitswesen erheblich benachteiligt sind. Mit Blick auf das Scheitern der Ampel-Regierung sagte Dusel, im Gegensatz zu anderen Ministerien habe Lauterbach den Aktionsplan noch geliefert. Nun müsse die nächste Bundesregierung ihn übernehmen und umsetzen.

Die BAG Selbsthilfe kritisierte in Düsseldorf, trotz hoher Qualifikationen seien Menschen mit Behinderungen überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Mit dem im Januar eingeführten „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“ seien wichtige Schritte unternommen worden, um Arbeitgeber stärker für die Beschäftigung behinderter Menschen zu gewinnen, sagte BAG-Bundesgeschäftsführer Martin Danner. Aber ein Gesetz allein nütze nichts, wenn es nicht konsequent umgesetzt werde.

Bestehende Gesetze sollten reformiert werden

In ihrem Appell forderte die bundesweite Dachorganisation von rund 120 Selbsthilfeverbänden außerdem Reformen des Behindertengleichstellungsgesetzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Die Verpflichtung zur Barrierefreiheit müsse verbindlich gemacht und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nachgebessert werden. Danner verlangte, dass politische Entscheidungen in enger Abstimmung mit den Betroffenen erfolgen.

Der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke erklärte, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen widerspreche dem christlichen Auftrag und den gesellschaftlichen Werten: „Die Menschenwürde kommt Menschen mit Behinderungen ebenso zu wie Menschen ohne Behinderungen.“ Vor 15 Jahren sei die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft getreten. Das 75. Jubiläum des Grundgesetzes, dessen Artikel 1 unmissverständlich festhalte, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, verleihe dem diesjährigen Welttag eine besondere Bedeutung.

„Durch den Bruch der Regierungskoalition ist eine zeitnahe Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes leider unwahrscheinlich geworden“, sagte Britta Schlegel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Das sei umso bedauerlicher, als die Reform des Gesetzes in den vergangenen Jahren intensiv fachlich beraten worden sei und bereits auf dem Tisch liege. „Die Arbeit an der Gesetzesreform darf nicht umsonst gewesen sein, denn Deutschland muss in Sachen Barrierefreiheit endlich vorankommen“, forderte Schlegel.

Holger Spierig, Bettina Markmeyer