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Bundesregierung

Soziale Ungleichheit beim Ehrenamt nimmt zu




Ehrenamtler sortieren Spenden im Berliner Sozialkaufhaus "Rumpelkammer"
epd-bild/Christian Ditsch
Auch für ehrenamtliches Engagement gibt es in Deutschland viele Hürden. Laut dem vierten Engagementbericht der Bundesregierung sind diese in den vergangenen Jahren sogar höher geworden.

Berlin (epd). Menschen mit Behinderungen oder Migrationshintergrund sowie arme Menschen engagieren sich in Deutschland im Vergleich seltener ehrenamtlich. Dies geht aus dem am 4. Dezember veröffentlichten vierten Engagementbericht der Bundesregierung hervor. Die Diakonie Deutschland mahnte eine stabile Finanzierung des Ehrenamtes an. Ähnlich äußerte sich die Arbeiterwohlfahrt.

Dem Bericht zufolge hat sich die soziale Schere bei der Beteiligung am freiwilligen Engagement weiter geöffnet. Demnach engagieren sich deutlich mehr sozial gut gestellte Personen ehrenamtlich als Menschen mit niedrigen Einkommen. Der Unterschied hat sich dem Bericht zufolge zwischen 1999 und 2019 verdoppelt.

Fast 29 Millionen Ehrenamtler

Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums engagieren sich fast 29 Millionen Menschen ehrenamtlich in Deutschland. Schwerpunkt des von unabhängigen Sachverständigen erarbeiteten Engagementberichts sind die Voraussetzungen für freiwilliges Engagement. Gleiche Zugangschancen seien von hohem gesellschaftlichen Wert, hieß es. Ungleiche Beteiligung führe dazu, dass nicht alle Gruppen ihre Interessen gleichermaßen in Projekte, Institutionen oder Vereine einbringen können.

Besonders schwer haben es den Angaben zufolge Menschen, die an der Armutsschwelle leben, und Erwerbslose. Menschen mit Behinderungen müssen erhebliche Barrieren überwinden, um mitwirken zu können. Auch die Staatsangehörigkeit spielt eine Rolle. Zwar engagieren sich ein Drittel der Eingebürgerten in Deutschland ehrenamtlich. Doch sind es bei den Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit seit Geburt 43 Prozent und unter Ausländern nur 17 Prozent. Im Bevölkerungsdurchschnitt liegt die Engagementquote bei knapp 40 Prozent.

Diakonie pocht auf verlässliche Förderung

Der geringe Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt nach Angaben des am Berichts beteiligten Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut) nicht an mangelnder Motivation oder Hilfsbereitschaft. Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Zajak vom DeZIM-Institut sagte, wenn man freiwilliges Engagement außerhalb von Vereinen und Organisationen betrachte, etwa die informelle Nachbarschaftshilfe, seien Menschen mit Migrationshintergrund sogar deutlich überrepräsentiert.

Die Diakonie Deutschland drang auf stabile Rahmenbedingungen für das Ehrenamt. Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch sagte, die Unsicherheit über den zukünftigen Bundeshaushalt führe bereits dazu, dass sich Hauptamtliche nach neuen Jobs umsähen. „Mit ihnen geht der notwendige, stabile fachliche Rückhalt für das freiwillige Engagement verloren“, erklärte Schuch. Dies sei für alle gemeinnützigen Träger kaum zu kompensieren.

Gesetze noch immer nicht umgesetzt

In diesen herausfordernden Zeiten bräuchten Menschen, die sich für andere und für unsere Demokratie engagieren, sehr viel mehr Unterstützung, politischen Rückhalt und finanzielle Sicherheit. „Zumal weitergehende Ziele, wie die seit mehreren Legislaturperioden geforderte Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und die Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes, nicht umgesetzt wurden“, so Schuch.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) forderte ebenfalls eine verlässliche und dauerhafte Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Dazu erklärte Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt: „Die Bundesregierung hat erkannt, wo viele Engagierten der Schuh drückt. Es ist wichtig, dass bürokratische Belastungen von Ehrenamtlichen reduziert werden, dass Teilhabe und Vielfalt im Engagement gestärkt werden und dass Organisationen beim Umgang mit Nachwuchssorgen unterstützt werden.“ Jetzt müssten diesen Ankündigungen bald Taten folgen - egal, welche demokratischen Parteien die nächste Regierung bilden.

Die Sachverständigen-Kommission empfiehlt der Politik und den Institutionen, die Ehrenamtliche beschäftigen, den Barrieren und Hürden für gesellschaftliches Engagement entgegenzuwirken. Andernfalls werde sich die soziale Ungleichheit beim Ehrenamt noch verschärfen. Der Bericht beruht auf empirischen Studien und internationalen Forschungsergebnissen. Das Kabinett will auch eine Ehrenamtsstrategie verabschieden. Jede Bundesregierung legt einmal in vier Jahren einen Engagementbericht vor.

Bettina Markmeyer