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Depressionen: Wo junge Mütter und Väter Hilfe erhalten




Zwei Wochen alter Säugling (Archivbild)
epd-bild/Detlef Heese
Rund 15 Prozent aller Mütter erkranken nach der Geburt ihres Kindes an einer postpartalen Depression. Auch für die Väter ist das eine belastende Situation, in der sie mitunter selbst erkranken. Der Frankfurter Verein Schatten & Licht unterstützt beide Eltern.

Frankfurt a. M. (epd). Tim Reinhard (Name geändert) hatte sich den Familienalltag mit Neugeborenem anders vorgestellt. „Als unsere Kleine sechs Wochen alt war, litt sie an starken Koliken“, erinnert sich der 35-Jährige, der zum Schutz seiner Familie anonym bleiben möchte. „Sie hat durchgehend geweint und gebrüllt wie am Spieß. Meine Frau bekam Panik, dass sie das ohne mich nicht schaffen würde.“

Reinhard hatte sich für die Zeit nach der Geburt seiner Tochter einen Monat Elternzeit und zwei Wochen Urlaub genommen. Ursprünglich wollte er wieder arbeiten gehen, sobald seine Tochter sechs Wochen alt war. „Das war kurz vor Corona, damals gab es noch kein Homeoffice“, sagt der Informatiker aus Frankfurt a. M. „Je näher der Tag kam, an dem ich wieder ins Büro gehen musste, umso schlechter ging es meiner Frau. Aus Panik wurden Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifel. Sie dachte, sie sei eine schlechte Mutter.“

Schneller Verdacht

Irgendwann erkannte er, dass ihre Sorge, allein mit dem Kind zu sein, nicht mehr normal ist. Schnell lag der Verdacht auf einer Wochenbettdepression. „Meine Frau hat bereits vorher eine Therapie aufgrund von Depressionen gemacht, aber das war nie ansatzweise auf demselben Niveau. Wir haben uns dann Hilfe gesucht. Es gibt verschiedene Anlaufstellen in Frankfurt.“ Eine davon: der Verein Schatten & Licht, der Müttern und Vätern mit postpartalen Depressionen hilft.

Mit mehr als 2.000 Fachleuten und 100 Beratern unterstützt der Verein Betroffene mit Informationen und Materialien und führt bundesweite Listen von Eltern, die nach eigenen Erfahrungen zu telefonischem oder Mail-Austausch bereit sind. Die Sitzungen des Vereins Schatten & Licht besuchten die beiden dann gemeinsam. Die Gespräche mit anderen Betroffenen hätten sowohl seiner Frau als auch ihm gutgetan, berichtet Reinhard: „Es war hoffnungsvoll zu sehen, dass auch wieder bessere Zeiten kommen und dass man da einen Weg herausfinden kann.“

Sarah Kittel-Schneider vom Universitätsklinikum Würzburg forscht zu psychischen Erkrankungen rund um die Zeit der Geburt eines Kindes. Wie viele Mütter und Väter nach der Geburt ihres Kindes an postpartalen Depressionen erkranken, hänge von unterschiedlichen Faktoren ab. „Bei Müttern sind es etwa 17 Prozent, wobei die Zahlen hier in den Ländern mit hohem Einkommen niedriger sind als in den Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen“, erklärt die Neurobiologin und Psychiaterin. Bei Vätern sind es etwa 8 bis 10 Prozent.

Wichtig: Betroffene sollten sich früh Hilfe holen

Wichtig sei, dass Betroffene sich frühzeitig Hilfe suchen und die Depressionen behandeln lassen. „Depressionen werden generell nach Schweregrad behandelt, ob in der Peripartalzeit oder außerhalb davon“, erläutert Kittel-Schneider. Bei leichten Depressionen könnten Sport und Bewegung, Achtsamkeitsübungen und Stressreduktion, psychologische Beratung sowie Unterstützung durch Hebammen und Familienhelfer helfen oder eine gesunde Ernährung, beispielsweise durch Mittelmeerkost. Bei moderaten Ausprägungen sollte zudem eine Psychotherapie oder Selbsthilfegruppen in Anspruch genommen werden. Bei schweren Ausprägungen komme eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva hinzu.

Die Chancen auf Heilung seien hoch, sagt Kittel-Schneider: „Bei adäquater, schweregradangepasster Therapie liegen die Genesungschancen um die 90 Prozent.“

Da bei einer Wochenbettdepression Mutter und Kind bestenfalls nicht getrennt werden sollten, suchte das Ehepaar Reinhard gemeinsam nach einer stationären Betreuung. Dort wurden Frau und die Tochter sechs Wochen lang untergebracht. Die Behandlung mit Antidepressiva habe zunächst heftige Nebenwirkungen gehabt, erinnert sich Tim Reinhard: „Das erste Wochenende musste sie sich durchgehend übergeben, hatte eine ganz schlimme Phase. Sie sagte, sie wolle das Kind nicht mehr, wolle es am liebsten weggeben.“

„Eine heftige Zeit“

Aber glücklicherweise halfen die Medikamente dann. „Nach sechs Wochen ging es ihr deutlich besser“, sagt Reinhard. Auch für ihn eine belastende Zeit. „Ich war gerade frischgebackener Vater und habe meine Frau und meine Tochter nur noch zweimal in der Woche sehen können. Ich habe mir die erste Zeit als Familie anders vorgestellt.“ Nach sechs Wochen stationären Aufenthalts besuchte sie nur noch die Tagesklinik. Es ging ihr stetig besser.

„Die Wochen in der Klinik waren eine heftige Zeit. Die erste Kennenlernzeit ist eigentlich sehr schön und innig, wenn auch wahnsinnig schlauchend und anstrengend. Plötzlich allein in der Wohnung zu sitzen, während Frau und Kind weg sind, war heftig. Es fiel mir schwer, mich auf die Arbeit zu konzentrieren“, erinnert sich Reinhard. Besonders schlimm seien die Auf-und-ab-Phasen gewesen. „An einem Tag hat man Hoffnung, am nächsten fürchtet man, es werde nie wieder gut. Es ist eine Achterbahnfahrt, die man da als Partner mitmacht.“

Unbegründete Sorge

Dennoch hat sich das Ehepaar für ein zweites Kind entschieden. „Wir haben gesagt, dass sie es sehr gut aufgearbeitet hat und auch die Statistiken sprechen dafür, dass jemand, der einmal eine Wochenbettdepression hatte, diese nicht auch zwingend beim zweiten Kind haben muss“, sagt Reinhard. Das Ehepaar ist nun Eltern zweier Töchter, drei und fünf Jahre alt. Beim zweiten Kind traten bei der Mutter keine postpartalen Depressionen auf. „Wir haben das mit dem zweiten Kind sehr gut hinbekommen. Es war eine komplett andere Zeit.“

Seine Sorge, dass die Zeit in der Klinik die Vater-Kind-Bindung stören würde, stellte sich als unbegründet heraus: „Ich habe heute ein sehr gutes Verhältnis zu unseren beiden Töchtern.“ Auch seine Ehe sei gestärkt aus dieser Zeit hervorgegangen. Er kenne jedoch Paare, bei denen es anders ausging. „Es gibt sicherlich Beziehungen, die daran kaputtgehen. Aber bei uns ist das anders. Es hat uns noch enger zusammengeschweißt.“

Stefanie Unbehauen


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