Berlin (epd). Die Diakonie Deutschland verlangt von der Bundesregierung eine umfassende Pflegereform. Sie stellte am 6. November in Berlin eine Kampagne vor, mit der sie bis zur Bundestagswahl ihren Forderungen Nachdruck verleihen will. Zu den zentralen Problemen zählt der evangelische Wohlfahrtsverband die hohen Zuzahlungen für Heimbewohnerinnen und -bewohner, den Arbeitskräftemangel in der Pflege und eine Vernachlässigung der Prävention.
Die Diakonie fordert die Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollversicherung mit begrenzter Eigenbeteiligung. Pflegebedürftige Heimbewohner mit durchschnittlichen Renten könnten die hohen Eigenanteile nicht mehr bezahlen. Im Bundesdurchschnitt koste ein Platz im Pflegeheim die Bewohner im ersten Jahr knapp 2.900 Euro im Monat, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch. Solche Zahlen machten deutlich, dass gehandelt werden müsse.
„Mit deutschlandweit über 3.000 stationären Pflegeeinrichtungen und 1.500 ambulanten Diensten sowie über 800 Tagespflegen und 400 Begegnungsstätten zählt die Diakonie zu den größten Pflegeanbietern und sieht sich in der Verantwortung, für bessere Rahmenbedingungen einzutreten. Es braucht politische Entscheidungen, die eine gute Pflege für alle möglich machen und auf breite öffentliche Unterstützung treffen“, sagte Schuch.
Er und Sozialvorständin Maria Loheide zeigten sich unzufrieden mit der Pflegepolitik der Ampel-Koalition. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe „die Altenpflege überhaupt nicht im Blick“, sagte Loheide. Er habe zwar angekündigt, die Zahlungsunfähigkeit der Pflegeversicherung abzuwenden, doch sei das nur eine kurzfristige Notlösung. Eine grundlegende Reform des Pflegesystems stehe weiter aus. Sie müsse spätestens in der nächsten Legislaturperiode kommen. Schuch warnte, andernfalls werde man „katastrophale Verhältnisse“ in der ambulanten Pflege, in den Altenheimen und Krankenhäusern haben.
Loheide sagte, die Kommunen müssten sich stärker in der Prävention engagieren und gesetzlich zu einer Altenhilfe-Planung verpflichtet werden. Ab dem 75. Lebensjahr sollten die Bürgerinnen und Bürger im Auftrag der Kommune besucht und über Unterstützungs- und Vorbeugungsangebote informiert werden, sagte die Sozialvorständin. Das könne dazu beitragen, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben könnten.
Zu dem Forderungskatalog der Diakonie zählt auch die soziale Absicherung und Unterstützung pflegender Angehöriger, die in Deutschland knapp vier Fünftel der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen versorgen. Die Leistungen in der ambulanten Pflege müssten so vereinfacht werden, dass sie auch in Anspruch genommen würden, sagte Loheide. Für die Angehörigen forderte sie eine Lohnersatzleistung und höhere Rentenansprüche. Die Ampel-Koalition hatte entsprechende Verbesserungen in Aussicht gestellt.
Der Krankenpfleger und Pflege-Aktivist Ricardo Lange erinnerte an die Versprechungen der Politik für die Pflege während der Corona-Pandemie. Sie seien nicht erfüllt worden, bilanzierte er und fragte: „Wo bleibt der Aufschrei?“ Bis 2050 könnten über 600.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Schon heute hätten Pflegekräfte nie genug Zeit für ihre Patienten. „Wer heute die Augen vor dieser Problematik verschließt, wird früher oder später sein blaues Wunder erleben. Pflege geht uns alle an - und die Zeit läuft uns davon“, sagte Lange.
Für seine Kampagne hat der evangelische Wohlfahrtsverband Prominente gewonnen, darunter den Moderator und Autor Eckart von Hirschhausen, und die Schauspieler Anna Maria Mühe und Benno Fürmann.
Zusätzlich hat die Diakonie, gemeinsam mit weiteren Verbänden und Gewerkschaften, die Petition „Mach Dich #StarkFuerPflege!“ ins Leben gerufen, die die Bundestagsparteien auffordert, die Pflegereform als zentrales Vorhaben in ihren Wahlprogrammen zu verankern und in Regierungsverantwortung umzusetzen. Die Petition fordert unter anderem eine bessere Absicherung pflegender Angehöriger, die Entlastung Pflegebedürftiger durch transparente und zugängliche Pflegeleistungen sowie die Einführung der genannten Vollversicherung.