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Hessen

Frauennotrufe verzeichnen steigende Fallzahlen



Frankfurt a.M. (epd). Deutlich mehr Frauen und Mädchen in Hessen haben sich im vergangenen Jahr an die Frauennotrufe gewandt als noch 2022. 3.080 Frauen und Mädchen ab 14 Jahren hätten bei den neun Frauennotrufen und -beratungsstellen um Hilfe gebeten, sagte Angela Wagner, die Geschäftsführerin des Frauennotrufs in Frankfurt am Main, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Jahr 2022 seien es noch 2.766 Fälle gewesen. „Vergewaltigungen und Körperverletzungsdelikte sind Schwerpunkte bei der Beratungsarbeit“, sagte Wagner. Eine große Rolle spielten aber auch sexuelle Belästigung und digitale Gewalt.

Wagner geht davon aus, dass die steigenden Fallzahlen nicht an einer gewalttätiger werdenden Gesellschaft liegen: „Die Fallzahlen steigen auch, weil die Betroffenen uns leichter finden.“ Für die Geschäftsführerin, die von Frankfurt aus für die Koordinierung der hessischen Notrufe und Beratungsstellen zuständig ist, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass Themen wie sexualisierte Gewalt mittlerweile weniger mit einem Tabu behaftet sind. „Ich denke, viele Frauen gehen damit heute ganz anders um, als es ihre Mütter oder Großmütter getan haben“, sagte Wagner.

Erstkontakt meist per Telefon

Bei den Beratungsstellen melden sich meist Betroffene zwischen 17 und 40 Jahren. Doch auch über 80-jährige Frauen suchten Hilfe, weil sie unter Gewalt litten, sagte Wagner. Der erste Kontakt erfolge vor allem über das Telefon, ebenso möglich seien Gespräche vor Ort oder über Videotelefonie. „Wir beraten die Betroffenen unter anderem dazu, welche Rechte sie haben, wie sie erreichen können, dass sich ein gewalttätiger Partner nicht mehr nähern darf, wie eine Anzeige gestellt werden kann - oder auch was getan werden kann, wenn man nach einer Vergewaltigung Sorge hat, sich mit Krankheiten infiziert zu haben“, sagte Wagner.

Gerade bei Vergewaltigungen sei Scham immer noch ein Faktor, der Betroffene von einer Anzeige abhalte. „Deshalb ist das Konzept der Soforthilfe nach Vergewaltigung enorm wichtig“, sagte Wagner. Das mache es in zahlreichen Kommunen in Hessen möglich, sich nach sexualisierter Gewalt an ein Krankenhaus zu wenden, ohne Anzeige bei der Polizei erstatten zu müssen. „Die Frauen werden medizinisch versorgt und, wenn das gewünscht ist, werden Spuren gesichert.“ So sei eine Anzeige auch später noch möglich - sofern sich die Betroffene dafür entscheide.

Häufig orientierten sich Frauen auch an der medialen Berichterstattung zu prominenten Fällen sexualisierter Gewalt und zögen den falschen Schluss, dass eine Anzeige nichts nütze, wenn mutmaßliche Täter keine juristischen Konsequenzen spürten. In der Vergangenheit habe dies zeitweise zu einem „deutlichen Rückgang der Beratungsanfragen vergewaltigter Frauen“ geführt, sagte Wagner. Sehr viele Frauen gewännen während der Beratungen wieder an Stärke und könnten sich von der Gewalterfahrung befreien.

Christopher Hechler