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Migration

Kirche fordert Rückkehr zu sachlicher Debatte




Grenzkontrollen gegen irreguläre Migration
epd-bild/Tim Riediger
Während die Gewerkschaft der Polizei die neuen Grenzkontrollen gegen irreguläre Migration als wirkungslos erlebt, warnt die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich davor, nicht umsetzbare Vorschläge zu machen. Die Politologin Stefanie Tegeler vom Bistum Münster erinnert an die Verantwortung der Politik.

Berlin (epd). Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, sieht in der aktuellen Migrationsdebatte die Gefahr, neue Politikverdrossenheit zu produzieren. Die Debatte sei „hilflos eskalierend“, sagte Heinrich am Rande eines Besuchs in einer Abschiebeeinrichtung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es würden hektische Vorschläge gemacht, die rechtlich nicht haltbar und praktisch nicht umsetzbar seien. Das sei eine Gefahr für die Wahrnehmung der Demokratie.

In der Bevölkerung gebe es den Wunsch nach Sicherheit und einem „handlungsfähigen, auch wehrhaften Rechtsstaat“. „Wer jetzt politische Versprechungen macht, die sich in naher Zukunft als nicht umsetzbar erweisen, weil die Wirklichkeit komplizierter ist, produziert wieder nur Enttäuschungen“, sagte die Präses des evangelischen Kirchenparlaments. Die Enttäuschungen wiederum produzierten das Gefühl von Steuerungsverlust und verstärkten den Eindruck, dass die Demokratie handlungsunfähig sei. „Das kann niemand wollen“, sagte sie.

Grundlegende Werte vermisst

Heinrich sagte, sie vermisse in der Diskussion um das Asylrecht „Rückgrat“ für grundlegende Werte. „Besonders in den Wahlkämpfen haben sich viele von populistischen Positionen unter Druck setzen lassen und vergessen, dass wir gerade erst 75 Jahre Grundgesetz gefeiert haben“, sagte sie mit Verweis auf das in der Verfassung garantierte Grundrecht auf Asyl: „Wir dürfen uns nicht von Populisten treiben lassen.“ Benötigt werde eine sachliche und ernsthafte Debatte über Herausforderungen und Probleme mit Migration.

Kritik übte sie auch an der Forderung, Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. „Menschenwürde heißt für mich nicht, Leute einfach abblitzen zu lassen“, sagte Heinrich. Man müsse alles daran setzen, „im Inneren Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Menschenwürde zu gewährleisten und zu verteidigen, ohne diese an den Außengrenzen abzuschaffen“.

Unterdessen sah die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nach Einführung der neuen Grenzkontrollen im Norden und Westen Deutschlands das Ziel bislang nicht erreicht, irreguläre Migration einzudämmen. „Festzustellen bleibt, dass die Aufgriffe von unerlaubten Menschen sowie Schleusern relativ gering ist“, sagte der GdP-Vorsitzende Andreas Roßkopf dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (26. September). „Auch die Zurückweisungen, welche im Moment an der Westgrenze gemacht werden, sind dadurch gering“, sagte er: „Die Weiterleitung von Schutz- und Asylsuchenden an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Landesinneren bleiben weiterhin hoch.“ Die Gewerkschaft beobachte, dass mit Einführung der Grenzkontrollen die Kontrollstellen und Hauptstraßen umfahren würden, selbst von Busunternehmen. Roßkopf kritisierte, es fehle an der Ausstattung, um als moderne Grenz- und Fahndungspolizei arbeiten zu können.

Verantwortung der Politik

Auch die Bereichsleiterin Soziale Arbeit beim Diözesancaritasverband und Flüchtlingsbeauftragte des Bistums Münster, Stefanie Tegeler, forderte eine Rückkehr zu einer sachlichen Debatte über Migration. Eine Politik, die auf Angst und Ausgrenzung setze, gefährde nicht nur die Rechte von Geflüchteten, sondern untergrabe auch gesellschaftliche Grundwerte. „Die Polarisierung der Debatte und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft führen zu einer Erosion des sozialen Friedens“, sagte Tegeler.

Ob Integration erfolgreich sei, hänge in hohem Maß von der Bereitschaft sowohl von Neuankömmlingen als auch von Alteingesessenen ab, offen füreinander zu sein und aufeinander zuzugehen, erklärte die Politikwissenschaftlerin. Die Politik stehe in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, um diesen Prozess zu unterstützen.

Corinna Buschow