Freiburg (epd). Die Personalnot in Kitas ist in vielen Regionen dramatisch. Und wenn die Ganztagesbetreuung ab 2026 kommt, wird die Lage noch schwieriger. Es müsse schnell gelingen, mehr Menschen in die Kitas zu bekommen, sagt Paul Nowicki - und hat mehrere Vorschläge, wie das funktionieren könnte. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Herr Nowicki, die Personalnot ist seit Jahren ein Thema in der Sozialbranche. Jetzt hat der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK-Bundesverband) einen neuen Forderungskatalog veröffentlicht, in dem er die Bundesregierung in die Pflicht nimmt. Warum?
Paul Nowicki: Es stimmt, dass die Nöte beim Fachpersonal nicht neu sind. Auch nicht die Folgen der oft sehr belastenden Arbeitsbedingungen in den Kitas. Doch dass dieses herausfordernde Arbeitsumfeld zu mehr Krankheitsfällen führt, hat jetzt eine spezielle Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung, die die Krankenkassendaten ausgewertet hat, nachdrücklich ans Licht gebracht. Es geht darum, wie es auch die Stiftung fordert, das Ruder endlich herumzureißen.
epd: Personal, auch unterstützende Kräfte, wird ja in fast allen Einrichtungen gesucht. Aber die Lage ist doch vermutlich nicht überall gleich dramatisch ...
Nowicki: Das stimmt. Vor allem in den östlichen Bundesländern ist die Situation im Vergleich zu vielen Regionen im Westen eine andere. Im Osten herrschen andere Bedingungen, die Beschäftigungssituation ist eine andere. Es gibt jenseits der großen Städte meist eine geringere Nachfrage nach Kitaplätzen. Die Suche nach Fachpersonal ist dort oft nicht so schwierig, was aber damit zu tun hat, dass die Fachkraft-Kind-Relation viel großzügiger ist als im Westen. Teilweise liegt sie bei 1 zu 11,5. Im Westen liegt der Wert durchschnittlich bei 1 zu 7. Im Westen haben die Kitas von wenigen Ausnahmen abgesehen einen wirklich hohen Druck, ihre Stellen zu besetzen. Das ist ein Delta, das Studien zufolge noch mindestens zehn Jahre andauert, erst ab 2030 dürften sich bei den Bedarfen erste Entlastungen zeigen.
epd: Was ist mit dem kommenden Rechtsanspruch für Eltern, die Kinder in die Ganztagsbetreuung nach der Grundschule geben zu können. Das könnte den Kitas doch zusätzlich Personal entziehen?
Nowicki: Ja, das wird die Situation verschärfen. Deshalb sind wir als Verband auch hier aktiv. Ganztagesbetreuung ist ja nichts Neues, die gibt es schon länger. Wir wissen auch, dass viele Personen, die hier bereits arbeiten, nicht pädagogisch qualifiziert sind. Es geht also mit Blick auf die Qualität in der Betreuung darum, wie man die Beschäftigten dort möglichst effektiv und schnell nachschulen kann. Dazu hat der Bund hat das Institut für soziale Arbeit in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung beauftragt, das ein Curriculum entwickelt, wie und mit welchen Modulen das gelingen kann. Wir gehen davon aus, dass auch in der dann ab 2026 ausgebauten Ganztagsbetreuung nicht nur Fachkräfte, sondern auch viele Seiten- und Quereinsteigerinnen tätig sein werden. Anders ließe sich der Rechtsanspruch gar nicht zum Laufen bringen.
epd: Kommen wir zurück zu den Kitas. Wie sehen Ihre Ansätze aus, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und so den Job auch wieder attraktiver zu machen?
Nowicki: Wir haben verschiedene Vorschläge, wie zum Beispiel die schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse, um mehr Personal zu haben. Da gibt es noch viel Regelungsbedarf. Ein Beispiel: Hessen erkennt die Abschlüsse von Namibierinnen als Erzieherinnen an, NRW nicht. Daran schließt sich die Frage an, wie man mit diesen Personen umgeht, die man in den Kitas gut einsetzen könnte. Sie müssen in aller Regel nachgeschult werden. Aber welche Parameter sind da relevant? Also braucht man auch Reformen in der heute fünfjährigen schulischen Ausbildung hin zu mehr modularen Systemen, die durchlässiger sind und auch entsprechende Nachqualifizierungen ermöglichen. Ziel dieser Bildungsbausteine ist es, schrittweise zu einem Fachabschluss auf Basis des bisherigen Qualitätsniveaus zu kommen, der uns wichtiger denn je erscheint. Auch das könnte helfen, mehr Menschen für die Jobs in der Kita zu gewinnen. Und wir brauchen für Menschen, die Deutsch neu lernen, mehr Kursangebote zur Vermittlung der spezifischen pädagogischen Fachsprache im Bereich Kitaerziehung. All diese Dinge kommen langsam voran. Es ist nicht so, dass nichts geschieht. Aber wir meinen, vieles könnte und müsste schneller gehen, um mehr Menschen, die bislang nicht im System Kita waren, hineinzubringen.
epd: Die Bundesländer gehen hier ja sehr unterschiedliche Wege ...
Nowicki: Ja, die Not bei der Personalsuche macht erfinderisch. Aber nicht alle dieser länderspezifischen Modelle sind gut. Ein Beispiel für diese Modelle ist Bayern. Da können Leute von der Straße weg direkt in der Kita angestellt werden, sie durchlaufen im Gesamtkonzept Weiterbildung eine Qualifizierung von 700 Stunden und erreichen damit den Titel Erzieherin/Erzieher und auch die gleiche Bezahlung. Das halten wir für fragwürdig, weil man sich dann schon als junger Mensch überlegt, warum man eine lange Ausbildung auf Niveau von DQR 6 machen muss.
epd: Sie sehen auch als eine weitere wichtige Maßnahme an, dass mehr „profilergänzende Kräfte“ zum Einsatz kommen. Was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Begriff?
Nowicki: Da muss ich etwas ausholen für die Erklärung. Früher hat man von multiprofessionellen Teams geredet, davon ist man inzwischen weggekommen. Der neue Fachbegriff heißt profilergänzende Kräfte, die im pädagogischen Alltag eingesetzt werden sollen. Davon abzugrenzen sind die Ergänzungskräfte, die etwa Verwaltungsarbeiten übernehmen. Oder andere Zuarbeiten machen, und so die Pädagoginnen von Nebentätigkeiten entlasten, die dann mehr Zeit haben, sich um die Kinder zu kümmern. Wir brauchen immer pädagogische Fachkräfte, aber viele Dinge im Kitaalltag können auch profilergänzende Kräfte übernehmen, etwa ein Schreiner, der handwerkliches Geschick nicht nur mit Holz vermittelt. Es geht darum, verschiedene Bildungsprozesse in die Kita zu integrieren. Das ist auch kein Hauruck-Verfahren, diese Dinge müssen im Fachkräftekatalog der Bundesländer verankert werden, die Kita muss dazu ihre Konzeption erweitern und diese muss dann vom Landesjugendamt anerkannt werden.
epd: Sie beklagen auch, dass die Dokumentation den Fachkräften viel Zeit nimmt und sie belastet. Klagen über ein Zuviel an Bürokratie und Schreibarbeit kennt man eigentlich nur aus der Pflege. Was läuft hier falsch?
Nowicki: Wir meinen, die Dokumentations- und Verwaltungsumfänge haben in den zurückliegenden Jahren deutlich zugenommen. Hier durch digitale Prozesse Zeit einzusparen, gibt mehr Raum für den Umgang mit den Kindern. Jedes Elterngespräch, mindestens einmal im Jahr, aber oft auch häufiger, über die Entwicklung des Kindes muss schriftlich dokumentiert werden. Aber auch die üblichen Dinge wie An- und Abwesenheiten, wann ist das Kind gebracht worden, wann war es krank, sind festzuhalten. Alles muss notiert und bei Bedarf, etwa bei Beschwerden der Eltern, nachgewiesen werden. Früher gab es dafür eine einfache Kladde, heute wird alles digitalisiert, es gibt zig Tabellen und Beobachtungsbögen. All das raubt Zeit. Aber die Digitalisierung, wenn sie denn konsequent betrieben wird, kann helfen, Doppelarbeit bei Berichten und Statistiken etwa für die Kommune oder das Landesjugendamt zu vermeiden. Auch das kann das Personal entlasten.
epd: Das sind alles schlüssige Ansätze, um mehr Personen qualifiziert in die Kitas zu bringen. Aber muss trotz all dieser Maßnahmen nicht einfach noch deutlich mehr Personal klassisch zu Erzieherinnen ausgebildet werden und müssen die Kapazitäten nicht noch steigen?
Nowicki: Da irren Sie. Es gibt in bestimmten Regionen schon heute nicht genügend Interessentinnen für die Erzieherinnenausbildung. Regional ist das sehr unterschiedlich. Die Schulen haben jedoch die Zahl ihrer Ausbildungsplätze erhöht. Aber längst nicht alle Plätze werden belegt. Manche Fachschulen liegen ungünstig und sich nicht gut zu erreichen. Deshalb werden vermehrt digitale Kursmodule angeboten, damit die Schülerinnen und Schüler nicht Tag für Tag anwesend sein müssen. Es gibt auch den Zugang über die Hochschulen, beispielsweise über den Studiengang Pädagogik der Frühen Kindheit.
epd: Ihr Verband fordert auch, dass der Bund ein Qualitätsentwicklungsgesetz verabschiedet. Was sollte darin geregelt werden und was versprechen Sie sich davon?
Nowicki: Das ist dringend nötig, wenn man vergleichbare Standards, die ja das Ziel eines solchen Gesetzes wären, haben will. Etwa bei dem Fachkraft-Kind-Schlüssel, der sogenannten mittelbaren Arbeitszeit oder auch der Fort- und Weiterbildung. Der Osten hat hohe Betreuungsschlüssel, aber eine geringe Platznachfrage. Statt weniger Personal einzustellen, könnte die Fachkraft-Kind-Relation an die westlichen Standards angepasst werden, was auch die Arbeitsbedingungen für das Personal verbessern würde. Wir meinen, das Gesetz sollte strukturelle Qualitätsvorgaben festschreiben, wie die gemeinsamen Bildungsziele erreicht werden können. Die Wege dahin können im Föderalismus durchaus unterschiedlich sein. Man hätte dann immerhin eine Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern, und das würde auch das Ziel, gleiche Bildungsbedingungen zu haben, erreichbar machen. Der Bund trägt für das Grundrecht auf Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit Sorge, und die Bundesländer übernehmen weiterhin für die Bildungspläne Verantwortung, in denen innerhalb des gesteckten Rahmens die Inhalte so formuliert sind, dass Bildung bei den Kindern im besten Sinne auch ankommt.