Berlin (epd). Die Politik streitet über das Bürgergeld. Das Thema wird auch bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag eine Rolle spielen. Hintergrund sind nicht nur die steigenden Kosten. Teile der Ampel-Koalition stellen auch ihre eigene Bürgergeldreform infrage. epd sozial erläutert, worum es bei den Differenzen geht.
Wo verlaufen die politischen Konfliktlinien?
Innerhalb der Ampel-Koalition steht die FDP gegen ihre Partner SPD und Grüne. Der FDP-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Christian Dürr, hat die Forderung der Liberalen in der „Bild“-Zeitung beziffert: Das Bürgergeld müsse schnellstmöglich um 14 bis 20 Euro pro Monat gekürzt werden. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch konterte in der „Süddeutschen Zeitung“: Man werde Bürgergeld-Empfänger „nicht der Willkür wilder und falscher FDP-Fantasien aussetzen“.
SPD-Fachpolitiker wie Martin Rosemann und Jens Peick wiesen die FDP-Forderung umgehend zurück. Peick sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Fraktion werde keine Kürzung des Bürgergelds zulassen. Er beruft sich auf den Kanzler. Olaf Scholz hat - wie auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) - wiederholt Kürzungen bei Sozialleistungen ausgeschlossen.
Die Union will die Leistungen für arbeitsfähige Bürgergeld-Empfänger kürzen und die Sanktionen verschärfen für Personen, die Arbeitsangebote ablehnen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, unterschied in einem Deutschlandfunk-Interview zwischen Menschen, die nicht für ihren Unterhalt sorgen können und unterstützt werden müssen und denjenigen, „die arbeitsfähig sind, die jung genug sind, die gesund sind, aber tatsächlich nicht arbeiten. Da muss es, glaube ich, einen klaren Schnitt geben“, forderte Frei. Die AfD lehnt das Bürgergeld ab und will eine Grundsicherung mit Arbeitspflicht.
Kann die Politik das Bürgergeld kürzen? Wie ist die Rechtslage?
Die Regierung kann das Bürgergeld aktuell nicht kürzen. Das geht aus dem Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe), Paragraf 28a, Absatz 5 hervor. Selbst dann, wenn bei der jährlichen Fortschreibung der Regelsätze eine niedrigere Summe für das kommende Jahr herauskommt als im laufenden Jahr gezahlt wird, darf der Regelsatz nicht gesenkt werden. Vielmehr gibt es so lange Nullrunden, bis wieder eine Erhöhung des Regelsatzes errechnet wird.
Kann man das ändern?
Ja, sagt der FDP-Sozialpolitiker Pascal Kober dem epd. Den Absatz 5 des Paragrafen 28a im Sozialgesetzbuch XII zu streichen sei „eine einfache Gesetzesänderung“, die im Bundestag beschlossen werden könne. Man könne auch die Berechnungsmethode für den Regelsatz ändern. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der „Osnabrücker Zeitung“, es sei „verfassungsrechtlich zulässig, das entsprechende Gesetz zu ändern“. Laut Bundesverfassungsgericht müsse aber ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet werden.
Was ist das Existenzminimum?
Das Existenzminimum zur Verfügung zu haben, ist in Deutschland ein Grundrecht nach Artikel 1 und nach dem Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 des Grundgesetzes. Es umfasst den Regelsatz von derzeit 563 Euro für einen Erwachsenen und weitere Aufwendungen, etwa für das Wohnen oder, bei Kindern, für Bildung und Betreuung. Die Höhe des Existenzminimums wird alle zwei Jahre im Existenzminimumbericht des Bundesfinanzministeriums veröffentlicht. Im Herbst wird der Bericht für die Jahre 2025 und 2026 erwartet. In diesem Jahr beträgt das Existenzminimum für einen Erwachsenen 11.472 Euro, das sind 956 Euro pro Monat. Das Existenzminimum wird nicht besteuert.
Wovon leitet sich eine Erhöhung des Bürgergeldes ab?
Der Regelsatz wird jedes Jahr überprüft und fortgeschrieben. Dabei werden zu 70 Prozent die Preise für die Güter und Dienstleistungen berücksichtigt, die Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern zustehen und zu 30 Prozent die Entwicklung der Nettolöhne. Seit der Ablösung von Hartz IV durch das Bürgergeld Anfang 2023 kommt ein zweiter Schritt hinzu: Unter dem Eindruck der 2022 stark gestiegenen Inflation entschied die Ampel-Koalition mit Zustimmung der Union, zusätzlich die aktuellen Preissteigerungen zu berücksichtigen. Der dafür maßgebliche Zeitraum ist das zweite Quartal des laufenden Jahres. Die Preissteigerung wird dann im Vergleich zum Vorjahresquartal ermittelt. Aus den beiden Fortschreibungsschritten ergaben sich Anfang 2023 und 2024 jeweils deutliche Anhebungen der Erwachsenen-Regelsätze um 53 und 61 Euro.
Zum Vergleich: In den Jahren seit der Einführung von Hartz IV 2005 lagen die Anpassungen im einstelligen Euro-Bereich, mit Ausnahme zweier Erhöhungen um zehn Euro im Jahr 2012 und um 14 Euro Anfang 2021. Sozial- und Wohlfahrtsverbände hatten die Hartz-IV-Sätze aber stets als zu niedrig kritisiert. Die Linke sprach von „Armut per Gesetz“. Arbeitgeber und Wirtschaftsinstitute argumentierten hingegen, es müsse der Abstand zwischen dem Bürgergeld und den niedrigsten Löhnen gewahrt bleiben.
Die beiden jüngsten Erhöhungen des Bürgergelds stehen nun im Zentrum der Kritik von FDP und Union. Die Union will das Bürgergeld in seiner derzeitigen Form wieder abschaffen, kündigte Parteichef Friedrich Merz (CDU) nach seiner Wiederwahl im Mai an. Die Union fordert eine Arbeitsverpflichtung und schärfere Sanktionen. Die FDP will die Zuverdienst-Möglichkeiten verbessern, um die Arbeitsanreize zu erhöhen. Die SPD ist skeptisch: Es dürfe nicht sein, dass der Staat Dumping-Löhne mit staatlichen Zuschüssen aufbessert, warnt der SPD-Arbeitsmarkt-Experte Peick.
Wie kommt der Regelsatz für das Bürgergeld zustande?
Die Berechnung des Regelbedarfs für Erwachsene und Kinder ist gesetzlich festgelegt. Über die Höhe wird also nicht politisch entschieden. Gleichwohl ist die Methodik seit der Einführung von Hartz IV bis heute heftig umstritten. Armutsforscher und Sozialverbände sagen, die Regelsätze würden kleingerechnet.
Das Statistische Bundesamt erstellt im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums für die Berechnung der Regelsätze jeweils eine Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die alle fünf Jahre erhoben wird. Die EVS gibt Auskunft über die Einkommen und Ausgaben aller privaten Haushalte in Deutschland. Für die Berechnung der Regelsätze werden nur die Ausgaben der einkommensschwächsten Haushalte (unteres Fünftel) als Orientierungsgröße herangezogen. Aus deren Konsumausgaben werden wiederum Posten ausgeklammert, die Bürgergeld-Empfängern nicht zustehen, zum Beispiel Ausgaben für Alkohol, Tabak, Schnittblumen oder Flugtickets. Die verbleibenden Ausgaben werden zusammengerechnet und pauschal in unterschiedlicher Höhe als Regelsatz für alleinstehende Erwachsene, Ehe- oder Lebenspartner und Kinder gewährt.
Außerdem übernimmt der Staat die Miete und die Heizkosten. Darin steckt weiteres Konfliktpotenzial: Während Bürgergeldempfänger und -empfängerinnen die Wohnkosten nicht selbst tragen, müssen Geringverdiener bis zur Hälfte ihrer Einkünfte für überteuerte Wohnungen hinlegen.