sozial-Branche

Flüchtlinge

Ukrainische Psychologinnen helfen ohne Sprachbarriere




Ukrainische Psychologinnen beraten Geflüchtete in der Oberpfalz
epd-bild/Ingenthron
Durch Flucht und Vertreibung entstehen bei ukrainischen Geflüchteten oft psychische Probleme. Durch ein Sonderprojekt des Malteser Hilfsdiensts in Regensburg erfahren sie Unterstützung von zwei ukrainischen Psychologinnen - doch wie lange noch?

Regensburg (epd). Olexandra ist erst vor vier Wochen nach Deutschland gekommen - von Charkiw nach Regensburg. Zusammen mit anderen ukrainischen Frauen und Kindern nimmt die 39-Jährige an einer Kunsttherapie beim Malteser Hilfsdienst teil. Zusammen sitzen alle an einem großen Tisch in einem freundlichen Raum und basteln typisch ukrainische Handarbeiten, die ihnen die Heimat in der Fremde näherbringen soll. Olexandra blickt von ihrer Arbeit auf: „Alles ist so ruhig und leise hier, die Häuser und die Natur sind so unbeschädigt“, sagt sie mithilfe einer Übersetzerin.

Olexandra hat in der ukrainischen Millionenstadt Charkiw im Osten des Landes gelebt und gearbeitet. Russische Raketen- und Drohnenangriffe gehörten dort zur „Normalität des Alltags“, berichtet sie. Zweieinhalb Jahre lang hat die Ingenieurin der Meteorologie die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ausgehalten. Doch nun ist auch sie geflohen.

Stresssymptome haben abgenommen

Seitdem sie in Deutschland ist, hätten „ihre Stresssymptome abgenommen. Ihr Zustand hat sich stabilisiert“, sagt Kateryna Rebrova, eine der beiden Psychologinnen, die den Kurs leiten. Aber Olexandra schlafe unruhig. „Die Neuankömmlinge müssen eine Menge an Informationen verarbeiten, viele Dinge entscheiden und selbst aktiv werden“, erläutert Rebrova auf Englisch, während ihr Blick zu den Kursteilnehmerinnen schweift. „In der Kunstklasse lernen sie, wieder selbstwirksam zu werden und Selbstvertrauen zu entwickeln.“

Rebrova stammt aus Odessa und hat als Psychologin in einem Zentrum für traumatisierte Kinder und Erwachsene gearbeitet. Auf der Krim sei es bereits 2014 mit dem russischen Angriff losgegangen, sagt Rebrova, die im Juli 2022 nach Regensburg kam. Seitdem hat sie nach eigenen Angaben 400 geflüchteten Familien und Kindern mit individueller psychologischer Beratung in Regensburg zur Seite gestanden. An den Gruppenangeboten wie Kunst-, Körper- oder Spieltherapie nahmen ihr zufolge insgesamt mehr als 1.000 Menschen teil. Auch in Amberg gab es solche Kurse.

Neuankömmlinge in „sehr schlechter Verfassung“

Rebrova hat einen professionellen Blick auf die psychosoziale Lage der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer. Zwei Problemfelder täten sich auf, skizziert sie. Zum einen träfen immer neue Familien in Regensburg ein, die ein „hohes Erregungspotenzial“ aufwiesen. Diese Familien hätten seit Jahren in einem besetzten Land gelebt, Unterdrückung und kriegerische Auseinandersetzungen mit Todesfolge erlebt. Diese Frauen und Kinder seien in einer „sehr schlechten Verfassung“, erklärt sie. „Wenn sie hierherkommen, fühlen sie sich extrem gestresst und emotional sehr aufgewühlt.“

Am eindrücklichsten lasse sich dies am Verhalten der Kinder beobachten: Sie zeigten Ängste, wiesen viele Trigger auf, die Erinnerungen an traumatische Erlebnisse auslösten. Wenn sie hier in den Kindergarten oder in die Schule kommen, hätten sie aufgrund ihrer Erlebnisse „große Anpassungsprobleme“.

Aufenthalt oft kein Provisorium

Zum anderen betreut Rebrova Familien, die nach zwei Jahren realisierten, dass ihr Aufenthalt in Deutschland kein Provisorium bleiben könnte. Sie fänden sich in der neuen Situation schlecht zurecht, könnten nicht auf demselben professionellen Level arbeiten wie in der Ukraine, hätten Probleme mit der Sprache oder mit der deutschen Bürokratie. Diese Menschen steckten in einem Entscheidungsdilemma: Sollen sie trotz des Risikos in ihre Heimat zurückkehren oder bleiben? „In dieser Gruppe finden wir eine hohe Prozentzahl an Depressionen“, sagt Rebrova.

Aktuell leben Tausende Ukrainer in Regensburg und versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Die niederschwellige Hilfe der ukrainischen Psychologinnen sei auch deshalb so wertvoll, weil deutsche Therapeuten weder die Sprache noch die Situation in der Ukraine kennten, sagt Daniela Schwarz von den Maltesern. Leider sei das Sonderprojekt aktuell bis Mitte 2025 befristet. „Wir kämpfen dafür und suchen weitere Finanzierungstöpfe.“

Neben Schwarz sitzt Igor, acht Jahre alt. Auch er besucht mit seiner Mutter und Schwester die Kunsttherapie-Klasse. Igor malt seine Lieblingsfigur aus dem japanischen Comic „Dragon Ball“. Der Protagonist Son-Goku kämpfe für das Gute in der Welt, sagt Igor, der in die zweite Grundschulklasse geht und bereits akzentfrei Deutsch spricht. Er scheint seinen Platz in der neuen Umgebung schon gefunden zu haben.

Gabriele Ingenthron


Mehr zum Thema

Ukrainische Flüchtlinge wollen raus aus dem Bürgergeld

Ukrainer sind nicht faul, sie wollen anpacken, sagt Sozialarbeiterin Olga Prigorko aus Germersheim. Doch werde den Kriegsflüchtlingen der Jobeinstieg schwer gemacht. Zwei Frauen und ein Mann berichten, was sie tun, um auf eigenen Beinen zu stehen.

» Hier weiterlesen