Germersheim (epd). Iana Kalynovska ist stolz: „Ich habe schon zwei Jobangebote“, sagt die 54-jährige Ukrainerin aus Kiew in gutem Deutsch. Vor zweieinhalb Jahren flüchtete die studierte Tierärztin nach Deutschland, als die russischen Angreifer ihre Heimatstadt Kiew beschossen. In Germersheim macht sie über Vermittlung des Jobcenters eine Ausbildung zur Busfahrerin bei der Deutschen Bahn. Die theoretische Prüfung auf Deutsch hat sie bereits in der Tasche, jetzt fehlt noch der fahrpraktische Teil.
Wenn alles gut läuft, könnte sie im Spätjahr hinter dem Lenkrad eines Busses sitzen, sagt Kalynovska, die in ihrer ukrainischen Heimat in der Immobilienverwaltung eines Klinikums arbeitete. Der Busfahrer-Job sei eine „praktische Möglichkeit“, eigenes Geld zu verdienen, sagt sie - vom Bürgergeld will sie nicht mehr abhängig sein.
Von den bundesweit rund 1,2 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine sind derzeit (Stand Mai) nach Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit nur rund 249.800 sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder haben einen Minijob. Arbeitslose Ukrainer im Land haben einen Anspruch auf Bürgergeld, das sie bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt unterstützen soll: 563 Euro erhalten Alleinstehende monatlich.
Eine politische Debatte hat sich nun darüber entzündet, ob die staatliche Hilfe deren Arbeitsaufnahme verhindere. Olga Prigorko kann die Geschichte von den faulen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nicht mehr hören. „Die meisten Ukrainer wollen arbeiten“, betont die russische Sozialarbeiterin. Im „Haus der Diakonie“ in Germersheim kümmert sie sich um Geflüchtete, darunter viele Frauen mit Kindern. Sie hilft ihnen auch bei der Jobsuche.
Vor den Kriegsflüchtlingen türme sich ein Berg von Problemen auf, sagt Prigorko. Junge Mütter könnten nicht arbeiten, weil Kitaplätze oder eine Kinderbetreuung fehlten. Andere täten sich schwer beim Erlernen der deutschen Sprache: Vor allem Männer suchten oft lieber schnell einen geringqualifizierten Job, als im Sprachkurs zu sitzen. Und schließlich führe die deutsche Bürokratie dazu, dass der Weg in Arbeit für viele Ukrainer nur im Schneckentempo verlaufe.
„Integration kostet Zeit“, gibt Prigorko zu bedenken. Doch dauere es viel zu lange, bis die Behörden die Zeugnisse und Ausbildungsabschlüsse der häufig gut ausgebildeten Fachkräfte aus der Ukraine anerkennen. Dies bestätigt auch Olena Helman: Die Anerkennung ihrer Papiere stehe noch immer aus, klagt die Lehrerin und Sozialarbeiterin aus Cherson. Sie hat einen Minijob bei der Lebenshilfe und betreut ein behindertes ukrainisches Mädchen.
Helmans Partner, der Busfahrer Andrei Nebywailov, fertigt Batterien in einer Fabrik. Hinters Lenkrad will sich der 60-Jährige nicht mehr setzen, „zu viel Stress“, sagt er. Den dafür nötigen Deutschkurs hat er nicht bestanden. Am liebsten würde er nun als Gärtner oder Hausmeister arbeiten.
Viele ukrainische Kriegsflüchtlinge „gäben Gas“ - so wie Juliia Suhak, erzählt Diakonie-Marbeiterin Prigorko. Die alleinerziehende Mutter hat ihren Traum, Sozialarbeit zu studieren, erstmal an den Nagel gehängt. Jetzt arbeitet sie in Vollzeit im Lager eines Logistik-Unternehmens.
Viele Flüchtlinge wollten nicht mehr zurück in die Ukraine, sagt Prigorko. In letzter Zeit seien viele 16- und 17-Jährige vor dem drohenden Kriegsdienst nach Deutschland geflohen. Für sie und geflüchtete Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern sei eine spezielle Beratung dringend nötig, sagt die Sozialarbeiterin.
Die angehende Busfahrerin Iana Kalynovska grübelt indes darüber nach, wie sie ihren zukünftigen Arbeitsort in Speyer oder Heidelberg überhaupt pünktlich erreichen soll. Zum Beginn der Frühschicht und nach dem Ende der Spätschicht gebe es keinen Busverkehr, sagt sie. „Nehmen Sie doch ein Fahrrad“, habe ihr das Jobcenter empfohlen.