

Düsseldorf (epd). Gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich auch während eines noch laufenden Kündigungsschutzverfahrens in der Regel um einen „anderweitigen Verdienst“ bemühen. Allerdings müssen sie sich auf Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur nicht bewerben, wenn der Nettoverdienst des potenziellen neuen Jobs nur knapp über dem Arbeitslosengeld I liegt, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 15. Mai. Der bisherige Arbeitgeber kann im Fall einer später festgestellten unwirksamen Kündigung dann nicht die Nachzahlung von offenem Lohn mit dem Argument verweigern, dass der Arbeitnehmer sich „böswillig“ keine neue Arbeit gesucht hat.
Die heute 47-Jährige war zuletzt in einem Onlineshop als Key-Account-Managerin beschäftigt. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von drei und zwölf Jahren erhielt als Festgehalt monatlich 7.592 Euro brutto. Zusätzlich zahlte ihr Arbeitgeber ihr eine variable Vergütung in Höhe von jährlich knapp 32.000 Euro, abhängig von der Erreichung der persönlichen und der unternehmerischen Ziele.
Als der Arbeitgeber der Frau zum 30. Juni 2022 ordentlich kündigte, erhob sie Kündigungsschutzklage und meldete sich arbeitslos. Während des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erhielt sie von Juli 2022 bis März 2023 Arbeitslosengeld I, zunächst 2.408 Euro und dann ab Oktober 2022 monatlich 2.609 Euro.
Als die Kündigung für unwirksam erklärt wurde, verlangte die Klägerin für den Streitzeitraum den nicht gezahlten Lohn, den sogenannten Annahmeverzugslohn. Das Arbeitsverhältnis habe ja weiter fortbestanden, so dass auch Lohn fällig werde, so ihre Argumentation. Das erhaltene Arbeitslosengeld I sollte verrechnet werden.
Der Arbeitgeber lehnte die nachträgliche Lohnzahlung ab. Es gehöre zur Pflicht eines Arbeitnehmers, sich nach einer Kündigung eine andere Beschäftigung zu suchen, befand das Unternehmen. Das habe die Klägerin aber „böswillig“ unterlassen. Auf zwei von der Arbeitsagentur vorgeschlagene Stellenangebote habe sie sich gar nicht beworben. Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn bestehe daher nicht.
Doch das LAG gab der Klägerin nun überwiegend recht. Ihr stehe für die streitigen Monate Annahmeverzugslohn zu. Arbeitnehmer hätten nach dem Gesetz eine „Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers“. Melde sich ein gekündigter Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend, könne ihm aber regelmäßig „keine vorsätzliche Untätigkeit vorgeworfen“ werden. Allerdings müsse sich der Arbeitsuchende nur auf zumutbare Jobangebote bewerben.
Die Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur seien aber unzumutbar gewesen, weil der erzielbare Nettoverdienst unter oder nur knapp über dem Arbeitslosengeld I gelegen habe. Da die Vermittlungsangebote aus anderen Branchen stammten, hätte die Klägerin auch ihre bisherigen Kontakte und Kenntnisse verloren. Eine Stelle sei sehr weit entfernt vom Wohnort gewesen. Die Klägerin hätte hier Probleme bei der Betreuung ihres dreijährigen Kindes bekommen.
Zudem habe die Klägerin für 2022 Anspruch auf ihre variable Vergütung in Höhe von 12.755 Euro für ihren erreichten persönlichen Bonus. Für 2023 stehe ihr als Schadensersatz die volle variable Vergütung zu, weil der Arbeitgeber es versäumt hat, ihr eine Zielvorgabe für die Bonuszahlung zu machen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte am 7. Februar 2024, dass Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur aber nicht unterlaufen dürfen. Erkläre ein Arbeitnehmer gegenüber der Behörde, er werde einen potenziellen Arbeitgeber unaufgefordert über das laufende Kündigungsschutzverfahren informieren, könne ihm bei einer später festgestellten unwirksamen Kündigung die Nachzahlung des noch offenen Annahmeverzugslohns verweigert werden. Das entspreche nicht „dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person“ und weise darauf hin, dass er keine zumutbare Arbeit aufnehmen wollte.
Unterlassen Arbeitslose Bewerbungen auf von der Arbeitsagentur vorgeschlagene zumutbare Stellen, müssen sie zudem mit einer Sperrzeit auf das Arbeitslosengeld I rechnen, stellte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel mit Urteil vom 3. Mai 2018 klar. Zu streng dürfe die Behörde aber nicht sein, so das Urteil.
Bewerbe sich ein Arbeitsloser nicht auf drei von der Behörde kurz hintereinander vorgeschlagene Stellenangebote, sei die Verhängung von drei Sperrzeiten nicht zulässig. Denn seien die Arbeitsangebote in einem engen zeitlichen Zusammenhang unterbreitet worden, stellten die fehlenden Bewerbungen nur ein einziges versicherungswidriges Verhalten dar, das eben auch nur eine Sperrzeit begründe.
Az.: 14 SLa 81/24 (Landesarbeitsgericht Düsseldorf)
Az.: 5 AZR 177/23 (Bundesarbeitsgericht)
Az.: B 11 AL 2/17 R (Bundessozialgericht)