Mainz (epd). In Armenien hatte Liana P. eine Ausbildung zur Apothekerin gemacht, danach war sie mit einem Visum zur Arbeitssuche nach Polen gereist. Als die junge Frau einen in Rheinland-Pfalz lebenden Landsmann kennenlernte und schwanger wurde, zog sie zu ihm. Doch die Kosten für die medizinische Betreuung während Schwangerschaft und Geburt waren nicht durch ihre Versicherung gedeckt: In Deutschland konnte sie nicht ohne weiteres zum Arzt gehen und Vorsorgetermine wahrnehmen.
Für Claudia Tamm und ihre Mitstreiter von „Medinetz“ in Koblenz sind Fälle wie die des armenischen Paares nichts Ungewöhnliches. Die Hilfsorganisation setzt sich für Menschen ohne Krankenversicherung ein. Nicht alle, die dort anklopfen, melden sich rechtzeitig: „Vor einiger Zeit kam eine Frau gegen Ende der 36. Schwangerschaftswoche“, berichtet Tamm. „Wir haben Gott sei Dank wenigstens noch die Blutgruppe bestimmen können, aber solche Überraschungen wollen die Kliniken natürlich nicht erleben.“ Manchmal kämen Frauen mit Wehen in den Kreißsaal, bei denen nicht einmal die Lage des ungeborenen Kindes bekannt sei, weil sie vorher nicht bei einem Arzt gewesen seien.
Seit 2007 gilt in Deutschland eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht. Aber trotzdem leben im Land offiziellen Angaben zufolge noch immer Zehntausende ohne Versicherungsschutz. Illegal in Deutschland lebende Ausländer eingeschlossen, geht es wahrscheinlich sogar um eine sechsstellige Zahl Betroffener. Bei einer Schwangerschaft melden sich manche Frauen ohne Versicherungskarte erst kurz vor der Entbindung - aus Angst vor den Kosten oder vor einer drohenden Abschiebung.
„Medinetz“ in Koblenz und andere Hilfsorganisationen in Deutschland versuchen, Pauschalen mit den Geburtskliniken auszuhandeln und die Schwangeren an Arztpraxen zu vermitteln, die ohne Rechnung Untersuchungen vornehmen. Vor allem aber bemühen sie sich, wo immer möglich, rechtzeitig vor der Geburt bei der Aufnahme in eine Krankenkasse zu helfen.
Nicht alle Schwangeren ohne Krankenversicherung seien mittellos und viele wollten erst einmal Kosten selbst tragen, sagt Tamm. Doch während Selbstzahlerinnen für eine natürliche Geburt ohne Komplikationen rund 3.500 Euro in Rechnung gestellt werden, können sich bei einer Frühgeburt mit intensivmedizinischer Betreuung die Kosten im Extremfall auf weit über 100.000 Euro belaufen.
Manche junge Eltern starteten ihr Leben mit Kind deshalb auch mit einem riesigen Schuldenberg, sagt Tamm. Meist bleiben die Krankenhäuser letztlich auf den Kosten sitzen. Aber auch Fälle, in denen Kliniken ihre Forderungen an Inkassofirmen weiterverkaufen, sind den Helfern bekannt. Andere Einrichtungen geben sich damit zufrieden, wenn unversicherte Frauen einen Betrag von 400 Euro zahlen.
Die Ursachen dafür, dass Frauen in eine solche Notlage geraten, sind unterschiedlich. Viele Hilfesuchende stammen aus osteuropäischen EU-Staaten, die legal nach Deutschland ziehen, hier aber keine feste Arbeit finden. Eine weitere Gruppe, die Nele Wilk vom Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ Sorgen bereitet, sind ausländische Studentinnen und Schülerinnen von Studienkollegs und Sprachschulen.
Diese Personen kämen oft mit einer Reisekrankenversicherung nach Deutschland, bei der Schwangerschaftskosten von vorneherein nicht abgesichert seien. „In dem Moment, wo sie ordentlich an einer Hochschule immatrikuliert sind, können sie sich für einen Wechsel in eine reguläre Krankenkasse entscheiden“, berichtet Wilk. Doch es gebe keine Pflicht dazu, und aus Unwissen oder um ein wenig Geld zu sparen, würden viele darauf verzichten.
Bei „Armut und Gesundheit“ arbeitet Wilk für eine vom Land Rheinland-Pfalz geförderte Clearingstelle, die Menschen ohne Versicherung zurück ins Regelsystem der Gesundheitsvorsorge verhelfen will. Bei Deutschen, etwa Privatversicherten mit hohen Schulden, lasse sich meistens eine Regelung finden. Aber für Ausländerinnen und Ausländer sei das nicht immer möglich.
Bei Schwangeren helfe es nicht einmal, wenn der Vater des Kindes einen gesicherten Aufenthalt und eine Krankenversicherung besitze: Eine Familienversicherung für das Kind über den Vater ist zwar möglich - aber erst nach der Geburt. Die Forderung nach einem staatlichen Notfallfonds verhallte bislang ungehört, denn Bund, Länder und Kommunen verweisen jeweils auf fehlende Zuständigkeit. „Wir sind gerade sehr ermüdet“, sagt Wilk. „Die Menschen, aber auch die Kliniken werden im Stich gelassen.“ Vorbildlich agiere die Landeshauptstadt Mainz, deren Sozialamt mit den Krankenhäusern eine Kostenpauschale für unversicherte Frauen ausgehandelt habe.
Für Liana P. und ihr Kind gab es ein gutes Ende: „Medinetz“ organisierte die Versorgung der Armenierin, mit Hilfe der Familie wurden die Kosten gezahlt. Mittlerweile leben die - inzwischen krankenversicherte - Mutter, der Vater und ihr jetzt acht Monate alter Sohn in der Region Koblenz.