Hamburg (epd). Ihre Rente reicht einfach nicht - nicht für Tierpark-Ausflüge mit den Enkelkindern, nicht für ein Eis und erst recht nicht für neue Autoreifen. Um sich solche Extras leisten zu können, sammelt Waltraud S. seit mehr als zwei Jahren Pfandflaschen und Dosen. Sie ist vor allem bei Großveranstaltungen in Hamburg oder bei Fußballspielen am Stadion unterwegs. „Da kommen zwischen 30 und 130 Euro pro Tag zusammen“, sagt die 71-Jährige, die anonym bleiben möchte.
Auch beim Christopher Street Day Anfang August wird sie wieder losgehen. „Ich freue mich schon auf die schöne Stimmung“, sagt sie. Denn Flaschensammeln bedeutet für die Rentnerin auch, einfach mal rauszukommen.
„Mehr Menschen in Deutschland sammeln Pfandflaschen, um sich etwas dazuzuverdienen“, sagt Pascal Fromme, Projektleiter der Fritz-Kola-Initiative „Pfand gehört daneben“. Laut aktueller Studie gibt es 2024 hierzulande hochgerechnet fast 1,2 Millionen Pfandsammler und damit 13,4 Prozent mehr als im September 2022 (1,03 Millionen). „Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer noch höher ist“, sagt Fromme.
Besonders durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten kämen viele Menschen mit ihrem Geld nicht mehr aus. Fast ein Drittel der Pfandsammler (31 Prozent) haben 2024 erstmals Leergut mitgenommen, 36 Prozent sammeln öfter und mehr Pfand als zuvor. Für die meisten bleibt es ein Gelegenheitsjob, ergab die Studie. Nur 16 Prozent der befragten Sammler sind täglich unterwegs.
Der sozialen Initiative geht es darum, Vorurteile abzubauen: „Es gibt nicht diese eine typische Person, die Pfand sammelt, es ist in allen Gesellschaftsschichten ein Thema“, weiß der 30-Jährige. Fast die Hälfte der Pfandsammler (43 Prozent) hätten Abitur oder Fachhochschulreife. Auch das verbreitete Bild in der Bevölkerung, dass die meisten von ihnen obdachlos seien, passe nicht, erläutert Fromme: „67 Prozent der befragten Pfandsammler sind nicht obdachlos und waren es auch noch nie.“ 33 Prozent der Pfandsammler sind erwerbstätig, 23 Prozent bekommen eine Rente.
Fast die Hälfte (48 Prozent) verdient mit dem Zusammentragen weniger als 50 Euro im Monat, was etwa sieben Flaschen mit einem Pfandwert von 25 Cent pro Tag entspricht. „Eine goldene Nase lässt sich damit nicht verdienen“, weiß Fromme. Nur acht Prozent der Befragten kommen auf 500 Euro oder mehr im Monat, wofür sie etwa 66 Flaschen mit 25 Cent Pfandwert pro Tag sammeln müssen.
Die Initiative wirbt darum, Pfandflaschen neben Abfalleimer abzustellen. „Jeder kann einen kleinen Beitrag dazu leisten, bedürftigen Menschen zu unterstützen und vor dem Wühlen im Müll zu bewahren“, erklärt Fromme. Die 2011 gegründete Initiative „Pfand gehört daneben“ wurde 2015 von Fritz-Kola übernommen und hat mittlerweile über 150 Partner, darunter viele Getränkehersteller. Mit dem Slogan „Every Bottle Helps“ breitet sich die Initiative aktuell in Polen und in den Niederlanden aus.
Es gehe auch um mehr Anerkennung für Menschen, die oft übersehen werden. Sie halten die Umwelt sauber und stützen das Recyclingsystem. Fromme erklärt: „So landen mehr Mehrwegflaschen bei Getränkeherstellern anstatt in der Müllverbrennung.“ Um die Situation für Pfandsammler zu verbessern, fordert er eine Ausweitung der Pfandpflicht und plant weitere Aktionen wie die Pfandhaus-Kunstaktion auf dem Southside-Festival oder Kooperationen mit der Deutschen Bahn. „Pfand spenden ist so einfach und kann so vielen Menschen helfen“, sagt Fromme.
Menschen wie Waltraud S., die mit dem nächsten Pfandgeld ihre Cousinen besuchen möchte: „Ich brauche das Geld für die Bahntickets und kleine Mitbringsel.“ Und vielleicht reicht es auch noch für ein Eis.