

Frankfurt a. M. (epd). Drei Katzen hat der Mann. Sie sind sein Ein und Alles. Mit ihnen spricht er, mit ihnen lebt er. „Kommt er zu uns, bekommen wir immer die neusten Katzenstorys erzählt“, lacht Birgit Neugebauer-Keß von der „TierTafel Würzburg“. Seit Jahren kommt der Mann zu ihr, weil er sich das Futter für seine Hausgenossen nicht leisten kann: „Ohne seine Katzen würde eine Welt für ihn zusammenbrechen.“
Knapp 200 Nutzerinnen und Nutzer mit rund 260 Tieren sind bei der „TierTafel Würzburg“ gelistet. Die Palette reicht von Fischen über Vögel und Nager bis zu Hunden und Katzen. Einmal im Monat wird Nass- und Trockenfutter ausgegeben. Die Rationen richten sich nach dem Gewicht des Tieres. Die Katzen „Mausi“, „Pippi“ und „Marcello“ zum Beispiel erhalten für einen Monat 2,8 Kilo Nass- und 1,6 Kilo Trockenfutter. Das Herrchen eines kränklichen Schäferhunds bekommt 6,4 Kilo Trockenfutter mit nach Hause. Außerdem finanziert ihm die Tiertafel eine Aufbauspritze für den Vierbeiner.
Die Zahl der von der Würzburger Tafel betreuten Tiere steigt seit Jahren: von rund 100 auf nun 260 seit 2019. Rentnerinnen und Rentner, aber auch viele ukrainische Flüchtlinge kommen zur Tiertafel. „Die große Zahl finanziell und organisatorisch zu wuppen, stellt eine Herausforderung dar“, sagt Neugebauer-Keß. Nicht zuletzt, weil die Spendenbereitschaft „extrem zurückgegangen“ sei. Ein Jahr lang musste die Tiertafel einen Aufnahmestopp verhängen. Erst seit kurzem sind wieder neue Haustiere zugelassen.
„Am Anfang gingen wir auch bei Tierarztbesuchen noch in Vorleistung, das geht gerade nicht mehr“, sagt Neugebauer-Keß. Pro Tierarztbesuch gebe es höchstens noch einen Zuschuss von 50 Euro. Dabei seien die Preise der Tierärzte gestiegen. Die Vereinsvorsitzende selbst musste für ihren eigenen Hund kürzlich 700 Euro wegen eines Zahnabszesses bezahlen. Kein Bürgergeld-Empfänger könnte sich das leisten: „Erkrankt das Tier, ist die Verzweiflung groß.“ Auf der anderen Seite gebe es zum Teil aber auch eine unvorstellbare Anspruchshaltung unter den Tierhaltern: „Da verlangt zum Beispiel jemand Shampoo speziell für weiße Hunde von uns.“
Auch Brigitte Lorbach, die Vorsitzende der Tiertafel in Neuss, kann sich vor Anfragen kaum retten: „Anfang 2020 hatten wir erst 20 Kunden, Ende 2023 waren es 100.“ Bei den Kunden der insgesamt 250 Haustiere handelt es sich oft um arme Rentnerinnen und Rentner. Ihr Haustier, sagt Lorbach, sei für sie ein wichtiger psychischer Halt. Ohne es würden sie vollends vereinsamen.
Wie in Würzburg bitten Tiertafel-Kunden auch in Neuss um die Übernahme von Tierarztkosten. Weil nicht genug Geld in der Kasse ist, lehnt die Tafel das oft ab. Überhaupt machen die Finanzen sorgen. „Die Unterstützungen gehen leider zurück, in manchen Monaten ist unsere Existenz gefährdet“, berichtet Lorbach.
Ein Leben ohne ihren Hund Charly wäre für Sandra Koll (Name geändert) aus Hamburg unvorstellbar. „Charly ist mein Baby“, sagt die 43-jährige Frührentnerin. Knapp 1.000 Euro hat die an Multipler Sklerose erkrankte Norddeutsche monatlich zur Verfügung. 600 Euro kostet die Miete. Zum Leben bleibt wenig. Seit 2018 geht Koll zur Tiertafel. Dort hilft man ihr auch, wenn ihr Hund Charly krank ist. Neulich war ihm ein Zahn abgebrochen, die übrigen Zähne mussten gereinigt werden. 800 Euro kostete das: „Das war für mich ein Hammerschlag.“
Auch in Hamburg stieg die Kundenzahl stark an. „Die letzten vier Jahre haben uns sehr gefordert“, sagt Vorsitzende Kara Schott. Rund 1.200 Tiere sind im Monat zu versorgen. Doppelt so viele wie noch 2019. Bei jedem zehnten Tier handelt es sich um einen Hausgenossen ukrainischer Flüchtlinge. „Wir brauchen zur Ausgabe alle 14 Tage inzwischen drei Paletten mit insgesamt mindestens 1.500 Kilo Futter“, erzählt die Vorstandsfrau. Anspruchsvoll sei es, Spezialfutter für chronisch kranke Tiere zu organisieren.
Seit Juli wird die Hamburger Tiertafel von der Stadt unterstützt. Außerdem spenden viele Privatpersonen. „Viele von ihnen besitzen Tiere und waren auch selbst schon einmal in einer wirtschaftlichen Schieflage, sie wissen, wie schrecklich sich das anfühlt“, sagt Schott. Ein 20-köpfiges Team aus Ehrenamtlichen gibt das Futter an langjährige Stammkunden, ukrainische Flüchtlinge und Obdachlose aus.
Wie sehr gerade arme und kranke Menschen Haustiere benötigen, davon erzählt auch Theresa Fries vom Vorstand der „Tieroase“ in Aschaffenburg. Soeben hat das Team ein „bitterliches Drama“ erlebt: „Einem Kunden von uns, ein Mann, der ein Alkoholproblem hat, starb die Katze.“ Die „Tieroase“ ermöglichte es ihm, eine neue Katze zu kaufen. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise nehmen Tiertafeln nur Tiere auf, die seit mindestens zwei Jahren im Besitz des Halters sind: „Hier machten wir eine Ausnahme, denn wir haben gemerkt, dass der Mann ohne neue Katze komplett abstürzen würde.“
Auch die „Tieroase“ im unterfränkischen Aschaffenburg hat viel zu tun: „Es ist der Wahnsinn, wie groß der Bedarf geworden ist“, bemerkt Vereinsmitglied Friedrich Greinert. Rund 200 Aschaffenburger mit etwa 400 Tieren werden im Augenblick betreut: „Damit hat sich die Zahl auch bei uns im Vergleich zu 2019 etwa verdoppelt.“ Zum Glück könne man alles finanziell und organisatorisch noch stemmen.
Sehr prekär ist hingegen die finanzielle Situation bei der vor zehn Jahren gegründeten Tiertafel in Berlin. Die Tiersprechstunde musste gestrichen werden. Pro Tier gibt es nun ein Kilo Futter weniger im Monat. Der Posten der hauptamtlich Beschäftigten Viola Ziegan wurde reduziert.
In Berlin, sagt das Vorstandsmitglied des Tiertafel-Vereins, habe es extreme Einsparungen im Tierschutzbereich gegeben. Im April und Mai stand ihr Verein ohne Geld vom Land da. Der Vorstand habe deshalb darüber nachgedacht, Insolvenz anzumelden. Erst seit dem 3. Juli sei die Tiertafel bis Jahresende finanziell gesichert: „An dem Tag hatten wir einen Bescheid im Briefkasten, dass wir für 2024 doch noch eine Projektförderung vom Senat erhalten“, sagt Ziegan.
Von einer Schließung der Tiertafel wären Hunderte Halter betroffen. Jeder mittellose Tierhalter kann einmal im Monat zur Tiertafel gehen. Zwei Ausgaben gibt es monatlich. Pro Ausgabe werden im Schnitt 300 Tiere versorgt. Im Vergleich zu 2019 hat sich die ausgegebene Futtermenge von 3,5 Tonnen auf über acht Tonnen im Monat mehr als verdoppelt.