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Halluzination statt Schlagsahne - Partydroge Lachgas




Partydroge Lachgas
epd-bild/Tim Wegner
Lachgas gilt unter Jugendlichen zurzeit als Partydroge. In Deutschland ist es legal erhältlich, sogar an Automaten und für Minderjährige. Suchtexperten warnen vor Gesundheitsgefahren. Der Bund und einige Länder möchten den Verkauf einschränken.

Hamburg (epd). „Knallt gut“, schreibt ein Kunde über den Edelstahl-Zylinder für Sahnebereiter, der im Online-Shop für rund 20 Euro zu haben ist. Ein anderer Kunde empfiehlt, mit „XXXL-Ballons“ mache das Ganze „noch mehr Spaß“. Der Zylinder enthält Distickstoffmonoxid, besser bekannt als Lachgas. Erhältlich ist es in Deutschland in Kiosken und an Automaten - ohne Altersbeschränkung. „Lachgas ist gesetzlich nicht eingeschränkt“, sagt Sören Zimbal, Sprecher der Polizei Hamburg. Und das ist problematisch: Unter Jugendlichen gilt das Gas derzeit als angesagte Partydroge.

Auf Sozialen Medien kursieren Videos, die junge Leute beim Konsum zeigen. Viele füllen das Gas dazu zunächst in Luftballons. Andere konsumieren es direkt aus Kapseln, deren Inhalt offiziell zum Sahneaufschlagen dienen soll. Es folgt der Rausch - mit möglichen Symptomen wie Glücksgefühlen, Halluzinationen oder Benommenheit.

Experimente und Gruppenzwang

Dass junge Menschen Lachgas konsumieren, hat laut Birgit Grämke, Geschäftsführerin der Landeskoordinierungsstelle für Suchtthemen (Lakost) in Mecklenburg-Vorpommern, mehrere Gründe: „Jugendliche neigen dazu, mit verschiedenen Substanzen zu experimentieren, um neue Erfahrungen zu machen. Lachgas bietet eine relativ leicht zugängliche Möglichkeit, bewusstseinsverändernde Effekte zu erleben.“ Jugendliche seien oft anfällig für Gruppenzwang und das Bedürfnis, in sozialen Kreisen dazuzugehören. „Wenn Freunde oder Altersgenossen Lachgas konsumieren, fühlen sich andere möglicherweise gedrängt, mitzumachen.“

Wie stark Lachgas-Konsum unter Jugendlichen deutschlandweit bereits verbreitet ist, dazu gibt es bisher kaum Daten. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) aus dem Zeitraum von Februar bis Mitte März 2024 gibt aber Aufschluss: Über die Hälfte der befragten Expertinnen und Experten beobachtete zuletzt einen Anstieg der Konsumprävalenz von Lachgas. Nach Angaben von 22,8 Prozent sei die Verfügbarkeit von Lachgas in letzter Zeit stark gestiegen, ein leichter Anstieg war von 12,1 der Fachleute zu beobachten. Zwar könne keine Aussage zur bevölkerungsweiten Verbreitung des Lachgaskonsums getroffen werden, hieß es. „Dennoch gehen die in dieser Studie erhobenen Daten, insbesondere dessen Vielfalt an Datenquellen, weit über das hinaus, was über den Lachgaskonsum in Deutschland bisher bekannt war und ist.“

Die Stadt Frankfurt am Main, die regelmäßig den Drogenkonsum junger Menschen erforschen lässt, hatte für das Jahr 2022 erhoben, dass rund 17 Prozent der Jugendlichen Erfahrungen mit Lachgas hatten. Im Jahr davor seien es noch 13 Prozent gewesen. Zudem zeige sich ein Trend zum regelmäßigen anstatt gelegentlichen Konsum.

In Hamburg haben laut der „Schulbus“-Studie 2021/2022 des Netzwerks „Sucht.Hamburg“ 11,3 Prozent der 14- bis 17-Jährigen laut Abfrage für 2021 schon Lachgas konsumiert. „Sucht.Hamburg“-Geschäftsführerin Christiane Lieb berichtet, es gebe seit vielen Jahren immer mal wieder stärkeren oder niedrigeren Konsum. „Seit einigen Monaten ist das Thema Lachgas präsenter, in Hamburg, aber auch in anderen Großstädten.“

Landesweite Daten zum Konsum fehlen

Das gilt auch für Schleswig-Holstein. Zwar gebe es keine landesweiten Erhebungen, sagt Björn Malchow, Geschäftsführer der Landesstelle für Suchtfragen. Deren Mitgliedseinrichtungen berichteten aber „seit geraumer Zeit von einer Zunahme“.

Der Lakost sind für Mecklenburg-Vorpommern bislang zwar keine Fälle von Lachgas-Konsum bekannt, über die Gefahren klärt Geschäftsführerin Grämke dennoch auf: „Gesundheitliche Folgen können unter anderem Nervenschäden, Sauerstoffmangel und die Gefahr von Unfällen aufgrund der beeinträchtigten Urteilsfähigkeit sein.“ Christiane Lieb weist darauf hin, dass auch psychische Folgen wie eine Abhängigkeit eintreten könnten.

Jede Inhalation könne Taubheits-, Schwindelgefühle sowie Bewusstlosigkeit nach sich ziehen, sagt Grämke. Das Gas direkt aus der Kartusche zu konsumieren, führe zu schmerzhaften Frostschäden an Lippen und Zunge, im Rachen und an den Bronchien. „Durch die beim Entweichen des Gases entstehende Verdunstungskälte können die Lippen sogar an der Kartusche festfrieren.“

Expertin warnt vor Tod durch Ersticken

Es geht noch schlimmer. Um die Wirkung zu steigern, atmen manche Jugendliche das Gas aus dem Ballon ohne abzusetzen mehrfach hintereinander ein und aus. Oder sie ziehen sich beim Inhalieren eine Plastiktüte über den Kopf. Folge könnten Bewusstlosigkeit oder sogar Tod durch Ersticken sein, warnt Grämke.

Schleswig-Holsteins Landtagsfraktionen haben am 21. Juni einen Antrag beschlossen, in dem sie die Landesregierung auffordern, sich im Bund für ein Lachgas-Verkaufsverbot an Minderjährige einzusetzen. Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits erklärt, er wolle den freien Verkauf von Lachgas an Jugendliche verhindern. Im „Morgenmagazin“ der ARD sagte er im Mai, eine Möglichkeit sei, Lachgas in die Liste der sogenannten psychoaktiven Stoffe aufzunehmen, so wie es Niedersachsen vorgeschlagen habe. „Dann wäre der Zugang für Kinder und Jugendliche sehr schwer, und dann würde das als Partydroge wahrscheinlich verschwinden“, sagte er dem Magazin. Laut Bundesgesundheitsministerium wird derzeit ein Regelungsentwurf für ein weiterentwickeltes Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz vorbereitet.

Dass Lachgas gefährlich ist, bestätigen Konsumenten. Einer, der im Online-Shop ein 50er-Pack Sahnekapseln für knapp 25 Euro erworben und an einem Abend gleich 20 Kapseln geleert hat, schreibt im Kommentarfeld: „Wirkt gut, aber hat Kopf kaputt gemacht.“

Marcel Maack


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