Wiesbaden (epd). Im vergangenen Jahr sind bundesweit mindestens 18.497 Kinder unter 14 Jahren Opfer sexualisierter Gewalt geworden, was einer Steigerung von 7,7 Prozent gegenüber 2022 entspricht. „Jeden Tag werden in Deutschland 54 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) anlässlich der Vorstellung des Bundeslagebilds zu Sexualdelikten gegen Kinder und Jugendliche am 8. Juli in Wiesbaden. „Das sind entsetzliche Taten, die uns tief berühren und fassungslos machen.“ Die Ministerin betonte außerdem, dass die Verbreiter kinderpornografischer Materialien in „zahlreichen Fällen“ wegen nicht gespeicherter IP-Adressen nicht ermittelt werden könnten.
Die „Deutsche Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung“ sprach von alarmierenden Zahlen. Das Erstellen, der Besitz und das Verbreiten kinderpornografischen Materials sei „hierbei ein wichtiger tatbegünstigender Faktor“, sagte Rainer Becker, der Ehrenvorsitzende des Vereins. Die Ministerin verschweige, „dass rund 80 Prozent aller Hinweise auf kinderpornografisches Material an die EU aus den USA kommen und dass das Material zu großen Teilen mit Methoden erhoben wird, die man in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht will“.
Becker rügte weiter, dass in Deutschland dem Datenschutz ein höherer Stellenwert als dem Schutz unserer Kinder eingeräumt werde. „Was nützen eine neue europäische Polizeibehörde und mehr Ermittler, wenn ihnen nicht die Ermächtigungen eingeräumt werden, die sie für die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs benötigen?“, fragte Becker.
Den Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) zufolge registrierten die Behörden insgesamt 16.375 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern, was einer Steigerung von 5,5 Prozent gegenüber dem Jahr 2022 und einem Anstieg von rund 20 Prozent im Fünf-Jahres-Vergleich seit 2019 entspricht. Der Anteil tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher betrage dabei erneut rund 30 Prozent. Faeser sagte, dass Kinder und Jugendliche oft Inhalte weiterleiteten, ohne sich der Strafbarkeit bewusst zu sein. Die BKA-Vizepräsidentin Martina Link betonte zudem, dass dies „nur die für die Polizei sichtbaren Fälle“ seien. Sie mahnte die Betreiber sozialer Netzwerke und Online-Plattformen zur Verantwortung.
Laut Bundeslagebild sind vergangenes Jahr 15.460 deutsche und 3.037 nichtdeutsche Kinder als Opfer sexuellen Missbrauchs registriert worden. Bei den nichtdeutschen Opfern sei dies eine Steigerung von 24,1 Prozent gegenüber 2022 gewesen. Insgesamt seien mit 13.983 Opfern mehr als drei Viertel aller betroffenen Kinder weiblich gewesen. Die 11.900 Tatverdächtigen im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs, darunter 9.657 Deutsche, seien zu rund 94 Prozent männlich. In Hessen seien laut BKA 1.015 Fälle registriert worden, in Rheinland-Pfalz waren es 758, im Saarland 135.
Im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren stellte die Polizei vergangenes Jahr 1.200 Fälle fest, eine Steigerung von 5,7 Prozent gegenüber 2022. Dabei seien mit 1.277 Personen rund 5,5 Prozent mehr Opfer registriert worden. „Dies stellt einen Höchstwert im Fünf-Jahres-Vergleich dar“, so das BKA. Bei Kindern und Jugendlichen habe in mehr als jedem zweiten Fall eine Vorbeziehung zwischen Opfer und Tatverdächtigem bestanden.
Auch die Anzahl der Fälle von Herstellung, Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte habe einen neuen Höchstwert erreicht. Mit 45.191 Fällen im Jahr 2023 hätten sich die Zahlen seit 2019 laut BKA mehr als verdreifacht, im Vergleich zu 2022 sei eine Steigerung von 7,4 Prozent festgestellt worden. Bei jugendpornografischen Inhalten seien die Zahlen sogar um rund 31 Prozent auf 8.851 Fälle angestiegen. Dabei seien knapp die Hälfte der Tatverdächtigen in diesem Bereich selbst minderjährig.
Wegen der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten seien 37.464 Tatverdächtige ermittelt worden, von denen knapp drei Viertel Deutsche gewesen seien. Bei jugendpornografischen Inhalten seien 8.030 Tatverdächtige ermittelt worden, darunter zu 84,2 Prozent Deutsche.