sozial-Recht

Bundessozialgericht

Kein automatischer Wohngruppenzuschlag für familiäre Pflege-WG




Bundessozialgericht in Kassel
epd-bild/Heike Lyding
Pflegebedürftige in einer ambulanten Pflege-WG können auch für die gemeinsame Beauftragung eines Angehörigen als Alltagsbegleiter einen Wohngruppenzuschlag erhalten. Dessen Tätigkeit muss aber von familiären Aufgaben klar abgegrenzt sein, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Pflegebedürftige in einer ambulanten Pflege-WG können auch einen pflegenden Angehörigen zur Organisation des Zusammenlebens beauftragen und dafür eine finanzielle Förderung von der Pflegekasse erhalten. Damit die Pflegekasse den sogenannten Wohngruppenzuschlag dem pflegebedürftigen WG-Bewohner zahlen kann, müssen zuvor die konkreten Tätigkeiten des für die Pflegeorganisation gemeinschaftlich beauftragten Familienangehörigen genau festgelegt werden, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in drei am 27. Juni verkündeten Urteilen. Dessen Tätigkeiten müssten von „der Erfüllung rein familiärer Aufgaben und solchen der individuellen pflegerischen Versorgung“ abgegrenzt werden.

Mit dem Wohngruppenzuschlag von derzeit 214 Euro monatlich pro Pflegebedürftigem sollen Bewohner einer ambulanten Pflege-WG gemeinsam „eine Person“ mit der Organisation des gemeinsamen Zusammenlebens beauftragen können - faktisch eine Alltagsbegleiterin oder einen Alltagsbegleiter, auch Präsenzkraft genannt. Voraussetzung für die Pflegekassenleistung ist, dass die Wohngruppe aus drei bis zwölf Personen besteht, von denen mindestens drei pflegebedürftig sind. Mit der Förderung soll eine vorschnelle stationäre Aufnahme der Betroffenen in ein Pflegeheim vermieden werden.

Fall aus Ostfriesland entschieden

In dem vom BSG aktuell entschiedenen Verfahren ging es um eine Mutter, ihren Sohn und ihr Pflegekind aus Ostfriesland. Alle drei sind pflegebedürftig und wurden von dem Ehemann beziehungsweise Vater gepflegt. Als sie 2016 eine weitere pflegebedürftige Person in ihrem Haushalt aufnahmen, beantragten sie bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als zuständiger Pflegekasse den Wohngruppenzuschlag.

Die lehnte den Antrag jedoch ab. Das gemeinsame Zusammenleben in einem solchen Familienverbund diene nicht dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung. Vielmehr erfülle die angegebene beauftragte Präsenzkraft ohnehin nur familiäre Aufgaben, für die der Wohngruppenzuschlag nicht gewährt werde. Alle drei Bescheide wurden bestandskräftig.

Als in der Pflege-WG eine weitere, bei einer anderen Pflegekasse versicherte pflegebedürftige Person aufgenommen wurde und diese den Wohngruppenzuschlag erhielt, beantragten die drei Kläger die Überprüfung ihrer ablehnenden Bescheide.

Alle drei Klagen scheiterten vor Gericht

Die Klagen hatten allerdings vor dem BSG keinen Erfolg. Allerdings dürfe die Pflegekasse bei einer gegründeten Pflege-WG keine zu hohen Anforderungen an den Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag stellen, erklärte der 3. BSG-Senat unter Verweis auf drei frühere Entscheidungen vom 10. September 2020. So reiche es für eine „gemeinschaftliche Beauftragung“ aus, wenn sich in einer Wohngruppe mit zwölf Personen mindestens drei Pflegebedürftige an der Beauftragung einer Hilfskraft beteiligen. Die Bewohner einer solchen Pflege-WG dürften auch über ein eigenes Bad und eine eigene Kochmöglichkeit verfügen. Wichtig sei, dass sie in erheblichem Umfang auch Gemeinschaftsräume nutzen können. Zudem sei ein formloser Antrag für den Zuschlag möglich.

Dass Pflege-WGs für den Erhalt des Wohngruppenzuschlags auch aus pflegebedürftigen Familienmitgliedern bestehen können, hatten die obersten Sozialrichter bereits am 18. Februar 2016 entschieden. Bereits in diesem Verfahren hatte der 3. Senat klargestellt, dass der Zuschlag nicht der Aufstockung der normalen Pflege oder der Vergütung rein familiärer Leistungen dient, sondern nur für zusätzliche Aufwendungen gedacht sei, die durch das gemeinsame Wohnen entstehen.

Familienmitglied kann bezahlte Präsenzkraft sein

Daran hielt nun das BSG auch in den drei aktuellen Fällen fest. Erstmals entschied das Gericht, dass der Wohngruppenzuschlag auch dann jedem Pflegebedürftigen gezahlt werden kann, wenn die für die Alltagsbegleitung beauftragte Person selbst ein Familienangehöriger ist und die Pflege übernimmt.

Allerdings müssten die Tätigkeiten des gemeinsam beauftragten Angehörigen „in besonderer Weise klar bestimmt sein und sich als zusätzliche Tätigkeiten zweifelsfrei von der Erfüllung rein familiärer Aufgaben und solchen der individuellen pflegerischen Versorgung abgrenzen, weil der zweckgebundene Wohngruppenzuschlag als zusätzliche Leistung der Pflegeversicherung nicht eine schlichte Aufstockung von individuellen Pflegeleistungen bewirken soll“. Daran habe es bei den Klägern im maßgeblichen Streitjahr 2016 gefehlt, so dass der Wohngruppenzuschlag seinerzeit zu Recht versagt worden sei.

Az.: B 3 P 1/23 R, B 3 P 3/23 R und B 3 P 2/23 R (BSG, Wohngruppenzuschlag Pflegeperson)

Az.: B 3 P 2/19 R, B 3 P 3/19 R und B 3 P 1/20 R (BSG, geringe Anforderungen Wohngruppenzuschlag)

Az.: B 3 P 5/14 R (BSG, Familie)

Frank Leth