

Berlin (epd). Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten will einen erneuten Versuch zur Durchsetzung der Widerspruchslösung bei der Organspende unternehmen. Das parteiübergreifende Bündnis stellte am 24. Juni in Berlin einen Antrag vor, nachdem jeder volljährige und einwilligungsfähige Mensch zum Organspender würde, der dem zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Aktuell ist es andersherum: Potenzieller Organspender ist, wer zu Lebzeiten selbst oder wessen Angehörige nach dessen Tod zustimmen.
„Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen“, sagte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar bei der Vorstellung des Gruppenantrags. In Deutschland warteten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation Ende vergangenen Jahres knapp 8.400 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan. Dem standen 2.900 Organspenden im Jahr 2023 gegenüber.
Dittmar stellte den Entwurf mit Abgeordneten von CDU, Grünen, FDP, CSU und Linken vor. 21 Parlamentarier und Parlamentarierinnen haben den Antrag bislang mitgezeichnet, darunter Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU), die sich bereits 2020 für die Einführung der Widerspruchsregelung eingesetzt hatten. Der Abgeordnete Christoph Hoffmann (FDP) hatte damals mit der Mehrheit des Bundestags noch gegen die Widerspruchsregelung gestimmt. Heute müsse er erkennen, dass sich mit der auf Freiwilligkeit basierenden Regelung die Hoffnung auf mehr Spenden nicht erfüllt habe, sagte der Parlamentarier, der nun die Widerspruchsregelung unterstützt.
Vor vier Jahren hatte der Bundestag statt einer Widerspruchslösung eine Erweiterung der Zustimmungslösung beschlossen, die regelmäßige Abfragen der Spendebereitschaft und die Einrichtung eines Online-Registers vorsah. Das Register ist in diesem März an den Start gegangen.
Die Abgeordnete Gitta Connemann (CDU) sagte, strukturell sei alles geändert, was man ändern kann. Dennoch würden zu wenige Organe gespendet. Nur die Widerspruchsregelung werde „die entscheidende Stelle sein für einen Mentalitätswechsel“. Eine Widerspruchslösung gilt in den meisten europäischen Ländern, etwa in Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien und Polen.
Lauterbach machte deutlich, dass auch die Rechte der Menschen gewahrt würden, die ihre Organe nicht spenden wollen. „Jeder, der nicht spenden will, kann sich einfach in das neue digitale Spendenregister eintragen. Aus dem Spendenregister würde so ein Nichtspenderregister.“ An die Abgeordneten appellierte der Minister, wer das Sterben auf der Warteliste für Organe beenden wolle, sollte die Bundestagsinitiative unterstützen.
Die Befürworter der Widerspruchsregelung sehen sich von Umfragen bestätigt, die immer wieder ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland der Organspende positiv gegenübersteht. Trotzdem hat nur eine Minderheit einen Organspendeausweis ausgefüllt, was in der Praxis dazu führt, dass oft die Angehörigen die Entscheidung treffen müssen. Es belaste Angehörige, den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu interpretieren, sagte der Grünen-Abgeordnete und habilitierte Mediziner Armin Grau.
Die Angehörigen sollen nach der vorgeschlagenen Widerspruchsregelung kein eigenes Entscheidungsrecht mehr haben, mit der Ausnahme von Eltern minderjähriger Kinder. Trotzdem sollen Angehörige auch künftig gefragt werden, ob die Haltung zur Organspende bekannt ist oder jüngst geändert wurde. Über den Kopf der Angehörigen hinweg zu entscheiden, sei nicht geplant, erläuterte Grau.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstützt den neuen Vorstoß. „Die Widerspruchslösung kann für mehr gerettete Leben sorgen, da sich die Menschen so aktiv mit der Frage der Organspende auseinandersetzen müssen“, sagte ihr Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (25. Juni). „Viel zu viele Menschen warten nach wie vor vergeblich auf ein Spenderorgan.“
Deshalb sei es wichtig, dass die Zahl der Organspender in Deutschland spürbar steige, betonte Gaß. „Mehr Aufklärung darüber, was Organspende eigentlich bedeutet und wie stark sie in Deutschland reguliert und überwacht ist, kann dabei helfen.“
Der Bundesverband der Organtransplantierten äußerte ebenfalls Zustimmung. Eine Widerspruchslösung sei „dringend und wichtig“, sagte Verbandschefin Sandra Zumpfe dem „RedaktionsNetzwerk“. Nötig sei auch eine stärkere Anerkennung und Betreuung der Hinterbliebenen von Organspendern.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann hingegen bleibt bei seiner Kritik am erneuten Vorstoß zur Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende. „Ich sehe es nicht als sinnvoll an, über wichtige ethische Entscheidungen alle paar Jahre abzustimmen, nur weil manchen Beteiligten die Ergebnisse nicht passen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es seien noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. „Die Widerspruchslösung ist nicht die Lösung des Problems“, sagte Ullmann.
Ullmann, der selbst Mediziner ist, hatte sich kürzlich dafür ausgesprochen, statt über die Widerspruchsregelung über eine Änderung der Kriterien bei der Organspende zu debattieren, konkret den Herztod statt den Hirntod zur Voraussetzung zu machen. „Wir arbeiten schon länger an einem internen Positionspapier“, sagte er. Darin werde eine offene und sachliche Diskussion über das Kriterium des Herztodes gefordert. Ullmann zufolge soll diese offene Position als Fraktion beschlossen werden. „Dann soll die Meinungsbildung stattfinden, bevor wir einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen“, sagte er.
Der Antrag wird Connemann zufolge nun in den Fraktionen vorgestellt, um parteiübergreifend um weitere Unterstützung zu werben, bevor er formell zur Beratung in den Bundestag eingebracht werden soll. Mit einer Abstimmung rechnet sie nicht vor Ende des Jahres, eher im Frühjahr 2025. Bekommt die Regelung diesmal eine Mehrheit, soll eine Aufklärungskampagne gestartet werden, um über die Neuregelung zu informieren. Zudem müssten sich die Meldeämter auf die Umsetzung vorbereiten. Die Gruppe schätzt, dass es nach dem Beschluss noch zwei Jahre dauern dürfte, bis die Widerspruchsregelung in der Praxis angewandt wird.