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Missbrauch

Kabinett gibt grünes Licht für Anti-Missbrauchsgesetz




Flyer des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch
epd-bild/Rolf Zöllner
Mit einem neuen Gesetz sollen Kinder und Jugendliche besser vor sexuellem Missbrauch geschützt werden. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, Beratungssysteme auszubauen und die Aufarbeitung vergangener Missbrauchsfälle zu erleichtern.

Berlin (epd). Das Bundeskabinett hat am 19. Juni in Berlin das lange erwartete Gesetz zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt auf den Weg gebracht. „Zu viele Kinder und Jugendliche mussten Erfahrungen mit sexueller Gewalt durchmachen - im familiären Bereich, im sozialen Umfeld oder im digitalen Raum“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nach der Kabinettssitzung. Durchschnittlich seien es im vergangenen Jahr 50 Jungen und Mädchen pro Tag gewesen.

Zentraler Kern des Gesetzentwurfs ist die gesetzliche Verankerung des Amtes der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten (UBSKM), Kerstin Claus. Die oder der Beauftragte soll künftig vom Bundestag gewählt werden und dem Parlament sowie dem Bundesrat und der Regierung regelmäßig Bericht erstatten, um den staatlichen Schutz für Kinder und Jugendliche und die Aufarbeitung vergangener Missbrauchsfälle zu verbessern. Die Daten soll ein neues Forschungszentrum zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen liefern. Es ist laut Claus wichtig, das Dunkelfeld - die Zahl der nicht polizeilich bekannten Fälle - bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zu ermitteln und diese als „Richtschnur“ für politisches Handeln zu verwenden.

„Maßstäbe für die institutionelle Aufarbeitung“

„Politisch ist für mich die geplante Einführung einer Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung von besonderer Bedeutung“, sagte die Beauftragte. Das hierfür erforderliche Zentrum für Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen sei bereits im Aufbau. Mit diesem Bundesgesetz werden auch erstmals Maßstäbe für Anforderungen an die individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Aufarbeitung geschaffen.

Die sexualisierten Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche gehen seit Jahren nicht zurück. Polizeilich bekannt wurden 16.375 Fälle im vergangenen Jahr. Insgesamt verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik für das vergangene Jahr 18.497 Opfer. 2.206 Kinder waren jünger als sechs Jahre.

Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ sollen außerdem Betroffene in ihren Rechten gestärkt werden. Geplant ist ein Netz von Beratungsstellen, die ihnen bei der Aufarbeitung ihrer Erfahrungen zur Seite stehen. Jugendämter und -einrichtungen müssen dazu Akteneinsicht gewähren.

Betroffenenrat sieht wichtigen ersten Schritt

Auch der Betroffenenrat, der die Arbeit der Missbrauchsbeauftragten begleitet, und die unabhängige Aufarbeitungskommission werden gesetzlich abgesichert. „Dieser Gesetzentwurf, an dem wir im Rahmen der Verbändeanhörung selbst mitgewirkt haben, ist ein erster Schritt, dass Betroffenen nachhaltig Wege zur Gerechtigkeit eröffnet werden und der Staat die lang eingeforderte Verantwortung übernimmt“, hieß es. Zugleich kritisierte er aber, das Akteneinsichtsrecht für die Betroffenen sei zu eng gefasst. Es müsse auch andere Bereiche wie Schule, Sport und Kirchen einbeziehen. Keine Institution dürfe sich der Aufarbeitung verweigern.

Betroffenen-Verbände halten die Finanzierung des oder der Beauftragten und ihres Amtes nicht für ausreichend. „Im Gesetz braucht es zudem deutliche Nachbesserungen bei der finanziellen und personellen Ausstattung der ehrenamtlich arbeitenden Kommission. Nur so kann sie die zusätzlichen Aufgaben, die das Gesetz ihr anvertraut, erfüllen.“

SPD dringt auf mehr Geld für Aufarbeitung

Auch der Innenpolitiker und religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, mahnte mit Blick auf die laufenden Haushaltsverhandlungen in Richtung des FDP-geführten Finanzministeriums: "Es darf nicht sein, dass der Schutz Betroffener und die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an finanziellen Hürden scheitern.”

Denise Loop, Obfrau im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Lamya Kaddor, Sprecherin für Innenpolitik:

Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss heben wir den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt strukturell auf die nächste Stufe. Mit dem UBSKM-Gesetz werden wir das Amt einer unabhängigen Bundesbeauftragten, einen angegliederten Betroffenenrat und eine unabhängige Aufarbeitungskommission verstetigen. Durch die vorgesehene Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag wird das Ausmaß von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - sowie Empfehlungen zur Verbesserung - direkt ins Parlament getragen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird bundesweit Präventionsangebote für Fachkräfte, Eltern und Kinder entwickeln. Um eine bessere Aufarbeitung zu ermöglichen, werden wir die Einsicht in Akten verbessern und problematische Kinderschutzfälle wissenschaftlich untersuchen.

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden in Deutschland 2023 rund 18.500 Kinder unter 14 Jahren Opfer von sexuellem Missbrauch bzw. eines Missbrauchsversuchs. Damit steigt die Zahl der Betroffenen gegenüber den Vorjahren weiter an und ist auf dem höchsten Punkt seit 2004. Die Dunkelziffer wird weitaus höher geschätzt und drängt auf unser politisches Handeln. Täter:innen stehen häufig in einem direkten Verhältnis zu den Betroffenen, aber auch durch Kontaktaufnahme im Internet können Täter:innen aktiv werden. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das in allen gesellschaftlichen Schichten existiert.

Als Grüne Bundestagsfraktion werden wir den Kabinettsentwurf im kommenden parlamentarischen Verfahren konstruktiv und zügig begleiten. Mit dem UBSKM-Gesetz verbessern wir den Kinderschutz, die Partizipation von Betroffenen und die Prävention.

Laut Familienministerin Paus sind aktuell knapp zwölf Millionen Euro jährlich für das Amt der Missbrauchsbeauftragten vorgesehen. Zusätzliche 2,5 Millionen Euro sollen für den Aufbau des Beratungsnetzes für Betroffene und knapp zwei Millionen für das Forschungszentrum aufgewendet werden. Details zur Finanzierung wollte Paus mit Verweis auf die laufenden Haushaltsverhandlungen nicht nennen. Mit dem Gesetz wird ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP umgesetzt. Es soll Anfang 2025 in Kraft treten.

Bettina Markmeyer, Lena Köpsell


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