sozial-Branche

Armut

Recht auf Schuldnerberatung gefordert




Schuldnerberatung in Osnabrück
epd-bild/Detlef Heese
Unübersichtliche und intransparente Ratenkäufe im Internet werden zunehmend zum Problem in der Schuldnerberatung. Fachleute fordern rechtliche Regelungen für mehr Transparenz und besseren Verbraucherschutz. Neue Daten geben ihnen recht.

Berlin (epd). Marco Rauter fasst das Problem bündig zusammen: „In unseren Berliner Schuldnerberatungsstellen gibt es keine Gläubigerliste bei Klienten, die keine Forderungen von Bezahlsystemen enthält.“ Er ist Vorstandsvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin. Nach einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen bei rund 1.400 gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen gibt es nicht nur deutlich mehr Ratsuchende, sondern auch die Überschuldung wegen Ratenkäufen und Kleinkrediten nimmt zu.

Besonders in der Kritik stehen die sogenannten „Buy now, pay later“-Angebote beim Online-Shopping. Sie spielten eine immer größere Rolle bei Verschuldungen, berichtete Roman Schlag, Referent für Schuldnerberatung beim Caritasverband im Bistum Aachen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände am 12. Juni in Berlin. In der Arbeitsgemeinschaft haben sich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, der Verbraucherzentrale Bundesverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung zusammengeschlossen.

„Einstieg in die Schuldenfalle“

Schlag forderte striktere Transparenzregeln. „Es gibt deutlich mehr undurchsichtige Kauf- und Finanzierungsangebote, bei denen die Kunden gar nicht merken, dass sie einen Kreditvertrag abschließen“, kritisierte er. Bei einer großen Zahl solcher Klein- und Ratenzahlungen verlören die Käuferinnen und Käufer schnell den Überblick. Wenn dann im Haushalt wenig Geld vorhanden ist, sei das oft der Einstieg in die Schuldenfalle.

Das bestätigt auch Rauter, der die AWO Schuldner u. Insolvenzberatung Berlin-Neukölln leitet. Viele Ratsuchende seien überfordert, mit den verspäteten und dann auch oft aus dem Blick geratenen Forderungen umzugehen: „Sie haben oft völlig den Überblick verloren.“ Und sie seien meist hilflos, wenn Profis, also auch die Inkassodienste, professionell mit dem Eintreiben der Schulden begännen.

Lägen die ersten Mahnverfahren auf dem Tisch, sei die Panik groß, denn „dann sind die Betroffenen kaum mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu sichern“. Dann könnten Miete, Strom oder Lebensmittel nicht mehr bezahlt werden. Selbst für Kleinstraten, um die Schulden abzustottern, fehle dann das Geld und der Gang ins Insolvenzverfahren sei unvermeidlich.

Folgen von mehr Ratenkäufen deutlich spürbar

Die im April 2024 abgeschlossene Umfrage belege diesen Trend, sagte Schlag. 65 Prozent der teilnehmenden Beratungsstellen gaben an, dass Probleme im Zusammenhang mit „Buy now, pay later“-Angeboten im Vergleich zum Frühsommer 2023 zugenommen hätten.

Beinahe die Hälfte der Beratungsstellen (48 Prozent) berichten von einem höheren Aufkommen an Ratsuchenden mit Energieschulden, in 28 Prozent kommen mehr Klientinnen und Klienten, die Mietschulden haben, als noch im Herbst 2023. In 44 Prozent der Beratungsstellen nehmen mehr Erwerbstätige das Angebot der Schuldnerberatung in Anspruch als vor sechs Monaten, in 30 Prozent mehr Selbständige und Solo-Selbständige und in 27 Prozent mehr Rentnerinnen und Rentner.

Verschuldung erreicht auch Hausbesitzer

Die Umfrageergebnisse bestätigen einen Trend, der mit der Corona-Pandemie gestartet ist und sich vor dem Hintergrund einer hohen Inflation verstärkt hat: „Von Verschuldung sind immer mehr Menschen betroffen, die früher nicht oder selten zum Klientel der Beratungsstellen gehörten, also Leute mit einem sicheren Job, Selbstständige oder auch Menschen mit Wohneigentum“, erläuterte Schlag. Insgesamt habe die Nachfrage nach Schuldnerberatung zugenommen, was zu Engpässen und langen Wartezeiten bei der Terminvergabe führe. Das sei oft dramatisch, „denn bei Geldsorgen ist der Faktor Zeit sehr wichtig“.

Wiebke Rockhoff, Referentin für Armutsbekämpfung, Allgemeine Sozialarbeit und Schuldnerberatung bei der Diakonie Deutschland, sagte, bei der Umsetzung der EU-Verbraucherkreditrichtlinie müsse für mehr Transparenz bei den Onlinekäufen gesorgt werden. Informationen der Händler zu Zinsen und Gebühren müssten verbindlich vorgeschrieben werden. „Die Grenzen zwischen Kauf und Ratenfinanzierung verschwimmen“, warnte sie.

Wie Forsa-Umfragen belegten, wünschen sich junge Menschen in der digitalen Konsumwelt selbst mehr Wissen zu finanziellen Themen. „Wir alle haben die Verantwortung, ihnen diese Orientierung zu bieten und sie nicht dem Markt zu überlassen“, sagte Rockhoff. Erforderlich seien mehr Präventionsarbeit und Finanzbildung. „Dafür müssen wir auch verlässlich die Mittel erhalten.“

Dirk Baas