sozial-Branche

Pflege

Gastbeitrag

"Schwesternwohnheim 2.0" als internationale Pflege-Azubi-WG




Stefanie Krones
epd-bild/Jennifer Köhler
Mit dem Konzept "Schwesternwohnheim 2.0" hat das Caritas-Altenzentrum Sankt Josef in Arzbach 2023 den Innovationspreis des Verbandes katholische Altenhilfe gewonnen. Was dahinter steckt und wie die außergewöhnliche Idee als Reaktion auf den Fachkräftemangel in der Pflege umgesetzt wird, erläutert Caritasdirektorin Stefanie Krones im Gastbeitrag für epd sozial.

Aus einem seit etwa 15 Jahren leerstehenden Pfarrhaus wird ein „Schwesternwohnheim“ wird ein Mehrgenerationen-Kampus - das „Schwesternwohnheim 2.0“. Es dient im Schwerpunkt der Ausbildung internationaler Pflege-Azubis.

Das neue Konzept ist eine Weiterentwicklung der Idee des Zusammenwohnens, -lernens und -lebens während der Pflege-Ausbildung. Das einstige Pfarrhaus bietet neben den WG-Plätzen für bis zu zehn Azubis einen Schulungs- und Freizeitraum und eine Gemeinschaftsküche mit Essplatz. Wir setzen auf ein geschütztes Wohn-, Arbeits-, Lern- und Lebensumfeld für internationale Pflege-Auszubildende als Grundlage für ein gelingendes Ankommen und den Integrationserfolg in unserer Region.

Die Herausforderung: Dem Caritas-Altenzentrum Sankt Josef am Standort Arzbach stand ein Generationenwechsel bevor. Die meisten Pflegekräfte haben bereits ein rentennahes Alter erreicht. Der Fachkräftebedarf in der Pflege kann nicht mehr vom regionalen Arbeitsmarkt gedeckt werden. Es gibt nahezu keine Bewerbungen. Der künftige Bedarf kann nur durch Ausbildung im eigenen Betrieb gedeckt werden. Allerdings: Auch auf dem Ausbildungsmarkt bestehen Nachwuchsprobleme. Diese verstärken sich im ländlich-peripheren Gebiet. Der Standort Arzbach ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum erreichbar. Trotz groß angelegter Personalmarketing-Kampagne für die Pflegeausbildung konnten für den Standort kaum Auszubildenden aus der Region gefunden werden.

Die Chance: Mit der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Auszubildende aus Drittstaaten (Fachkräfteeinwanderungsgesetz, siehe auch „makeitingermany.de“) besteht die Möglichkeit, jungen Menschen, die keine EU-Staatsangehörigkeit haben, die Chance auf eine Ausbildung im Pflegeberuf und auf eine sichere Zukunft als Pflegefachkraft in Deutschland zu geben.

Wir haben junge, gebildete und motivierte Menschen gefunden, die ihre Ausbildung in der Pflege gerne am Standort Arzbach machen möchten. Die jungen Menschen kommen aus Marokko. Marokko hat einen Jugendquotienten von fast 50 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeitsquote von 30 Prozent. Die jungen Menschen haben trotz hoher Schulbildung und zum Teil bereits absolvierter Bachelor-Abschlüsse nur wenig Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Mit Abschluss des B1- beziehungsweise B2-Sprachniveaus dürfen sie sich in Deutschland um einen Ausbildungsplatz bewerben. Und Marokko ist gar nicht so weit weg: Nur drei bis vier Flugstunden entfernt und zu einem meist sehr günstigen Tarif erreichbar, können sich die jungen Menschen auch vom Ausbildungsgehalt den Urlaub zu Hause bei der Familie leisten und Kontakt zu ihren Familien halten.

Das Problem: Es gibt keine nutzbaren Wohnungen in und um Arzbach. Die Struktur besteht aus selbstbewohnten Ein- und Zweifamilienhäusern. Einen Markt für Fremdvermietung gibt es nicht. Insbesondere kostengünstige Mietwohnungen, die vom Ausbildungsgehalt finanziert werden können, sind so gut wie nicht existent.

Das Konzept: Für die Unterbringung während der Ausbildung entstand 2021 auf dem Nachbargrundstück im ehemaligen Pfarrhaus mit der Pflege-Azubi-WG Wohnraum, der bezahlbar, integrierend, gemeinschaftsfördernd und ortsbelebend ist. Die Wohngemeinschaft liegt nahe am Einsatzort und bildet eine ideale Basis, um einen Bezug zur ausbildenden Einrichtung zu entwickeln, gut mit Menschen, auch Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu kommen und sich aufgrund der kurzen Wege von Anfang an gut in der neuen Umgebenung zurechtzufinden. Ergänzend wurde ein Mobilitätskonzept erarbeitet zur Anbindung an Schule und Freizeitaktivitäten.

Die Vorteile der Ausbildung von künftigen Pflegefachkräften aus dem Ausland in der ländlichen Region liegen auf der Hand: Die Ausbildungszeit ist gleichzeitig Integrationszeit. Die Azubis (viele, nicht alle) finden Heimat in der Region und sind motiviert, auch nach ihrem Pflegeexamen in der Region und hoffentlich auch beim Ausbildungsträger zu bleiben.

Die Stärken des Konzeptes:

  • Der Standort Arzbach bietet mit seiner dörflichen, überschaubaren Struktur und dem gut vernetzten „noch intakten“ Sozialraum die ideale Basis für einen guten Start in Deutschland.
  • Innerhalb der Mitarbeiterschaft und der örtlichen Vereine bilden sich schnell erste Kontakte und Freundschaften. Insbesondere der Fußballverein freut sich über Zuwachs.
  • Der Caritasverband wird als guter Arbeitgeber im deutschen Gesundheits- und Pflegesystem erlebt.
  • Das Einleben und die Selbstbefähigung kann von Seiten der Einrichtung in engmaschiger Begleitung unterstützt werden.
  • Mit der begleiteten Führung des eigenen Haushaltes wird die schrittweise die eigene Verantwortungsübernahme und Verselbstständigung gefördert.

Wir begrüßen unsere Azubis wie willkommene Gäste und helfen Ihnen, dauerhaft Bleibende zu werden. Das gut begleitete Ankommen ist die beste Voraussetzung, langfristig eine Heimat in der Region zu finden. Unterstützt wurde die Umsetzung durch das Zusammenwirken mit der Kirchengemeinde und dem Bistum Limburg als Eigentümer der seit 15 Jahren unbewohnten Immobilie. Das Gebäude wurde im Rahmen eines Erbpachtvertrages mit kurzer Laufzeit (zwölf Jahre) an den Caritasverband verpachtet, der die Renovierung übernommen hat.

Die Azubis erhalten einen „Werksmietvertrag“, der an den Ausbildungsvertrag gekoppelt ist, und zahlen Untermiete von ihrer Azubi-Vergütung. Nach konservativen Berechnungen ist die Renovierung, auch unter Berücksichtigung von möglichen Auszügen und auch Ausbildungsabbrüchen, nach einem überschaubaren Zeitraum refinanziert.

Wir meinen, dass ein solches Konzept an vielen Standorten möglich ist und unser Ansatz ein gutes Beispiel geben könnte. Klar ist, dass die Integration kein leichter Weg ist. Das wissen wir auch. Die Herausforderungen liegen im koordinierten Zusammenwirken der Ausbildungspartner und Pflegeschulen. Kennzahlen für unseren Ausbildungserfolg werden die Examens- und die Übernahmequote sein, die wir in diesem Jahr zum ersten Mal ablesen können. Wir sind guter Dinge und freuen uns darauf, noch vielen weiteren jungen Menschen aus aller Welt die Chance geben zu können, bei uns eine qualifizierte Pflege-Ausbildung als Grundlage für ihr Leben zu bekommen - und viele von Ihnen bei uns dann als Fachkräfte zu beschäftigen.

Stefanie Krones ist Direktorin des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn und Vorstand im Verband katholische Altenhilfe VKAD.