Stuttgart, Ludwigsburg (epd). Eren ist schwerstbehindert. Gehen kann der 19-Jährige aus Stuttgart nur mit Hilfe von Orthesen und einem Laufrad. Obwohl er Rechtshänder ist, muss er alles mit der linken Hand greifen.
Denn seine gesamte rechte Körperseite ist seit einem Schlaganfall 2017 gelähmt, erzählt seine Mutter, Seyhan Cakar, dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Seither benötigt er eine noch intensivere Pflege.“
Schon vor dem Schlaganfall war Eren pflegebedürftig. Als er fünf Jahre alt war, wurde ein Gehirntumor festgestellt, ein Astrozytom zweiten Grades - nicht unbedingt bösartig, durch die Raumforderung im Schädel aber doch gefährlich.
Die Sorge um den Sohn und die Pflege zehren an der 48-Jährigen. Nach der Trennung von ihrem Mann hängt die Pflege des Sohnes allein an ihr. Über Jahre hinweg habe es ihr an Ruhe und Zeit für sich gefehlt, berichtet sie.
Wie hätte sie eine Auszeit nehmen können, die mehr war, als zehn Minuten spazieren zu gehen? Aus Überforderung stellten sich Panikattacken und Depressionen ein. Vergangenen Oktober musste Seyhan Cakar ihre Arbeit als Arzthelferin aufgeben und lebt jetzt von Bürgergeld.
Der Alltag ist durchgetaktet: Morgens besucht Eren die Margarete-Steiff-Schule in Stuttgart, eine Schule für Körperbehinderte. Von Montag bis Donnerstag stehen Termine bei Ärzten und Therapeuten an. Daneben ermöglicht die Mutter ihrem Sohn Para-Leichtathletik-Training in einem Stuttgarter Sportverein.
„Wir brauchten ein größeres Auto“, nennt Seyhan Cakar nur eine der zahlreichen zusätzlichen Anschaffungen, die nötig waren. Die Rampe, die für den Rollator gebraucht wird, kostet rund 8.000 Euro. Die Krankenkasse übernimmt nur die Hälfte der Kosten.
Spenden wären willkommen. Die Unterstützung, die es gibt, reicht nicht aus und muss zudem mühsam erkämpft werden. So bringt der Fahrdienst Eren nach der Schule lediglich bis zum Bordstein. Die gewendelte Treppe in den zweiten Stock muss der auf einen Rollator angewiesene junge Mann mit Hilfe seiner Mutter bewältigen.
Die Bürokratie, die zahllosen Anträge für die Hilfsmittel zermürben. Manchmal sind mehrere Anläufe nötig. Für das Liegefahrrad, das ihrem Sohn zusteht, zog die Mutter bis vors Sozialgericht.
Hilfe für sich erhofft sich die Erschöpfte von einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. „Ich erwarte mir, dass ich wieder wacher werde und verarbeiten kann“, sagte die zweifache Mutter und ergänzt: „Richtig loslassen, wenn man ein schwer krankes Kind hat, geht nicht. Man kann nicht abschalten.“
Während ihrer Auszeit wird Eren für drei Wochen in ein Kinder- und Jugendhospiz gehen. Der 19-Jährige, der - entwicklungsverzögert - in der Pubertät ist, freut sich auf die Zeit „ohne Mama“. „Er versteht, dass ich mich ausruhen muss“, sagt Seyhan Cakar. Beim Probebesuch habe ihm die Zuwendung durch die dortigen Pflegekräfte gut gefallen, berichtet sie.
Anders als bei Erwachsenen sind stationäre Kinder- und Jugendhospize nicht ausschließlich Anlaufstellen in der letzten Lebensphase palliativ Erkrankter. Nach einer lebensverkürzenden Diagnose könnten Familien bis zu 28 Tage im Jahr einen Entlastungsaufenthalt in einem Kinder- und Jugendhospiz in Anspruch nehmen, erläutert Kirsten Allgayer, Vorstandsmitglied beim Hospiz- und Palliativ-Verband Baden-Württemberg (Ludwigsburg).
„Eltern können hier so viel Pflege abgeben, wie sie wollen“, sagt Allgayer, die den Kinder- und Jugendhospizdienst „Sternentraum“ in Weissach im Tal (Rems-Murr-Kreis) leitet. Zusätzlich hätten Familien mit einem unheilbar kranken Kind Anspruch auf Hospizbegleitung durch einen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst.
Seyhan Cakar freut sich darüber sehr: „Gott sei Dank, dass es so etwas gibt.“ Die pflegende Mutter hat beim Jugendhospizdienst die Unterstützung gefunden, die sie so dringend braucht.