sozial-Recht

Bundessozialgericht

Krankenkasse muss Fahrtkosten zur Wiedereingliederung nicht zahlen




Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
epd-bild/Norbert Neetz
Langfristig arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer sind während der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz mit Krankengeld oder Übergangsgeld abgesichert. "Ergänzende Leistungen" gibt es nach einem Urteil nur, wenn diese Teil der medizinischen Reha sind.

Frankfurt a. M. (epd). Lange arbeitsunfähig erkrankte Beschäftigte können sich bei einer stufenweisen Wiedereingliederung an ihrem Arbeitsplatz in der Regel nicht die Fahrtkosten für den Arbeitsweg von ihrer Krankenkasse erstatten lassen. Zwar haben Versicherte Anspruch auf „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ sowie damit verbundene ergänzende Leistungen wie etwa Fahrtkosten, stellte das Bundessozialgericht (BSG) in einem am 16. Mai verkündeten Urteil klar. Die Fahrt zur Arbeit stehe aber nicht in einem ausreichenden Zusammenhang zu einer medizinischen Rehabilitation, entschieden die Kasseler Richter.

Sozialkassen zahlen Entgelt

Nach den gesetzlichen Bestimmungen haben langfristig erkrankte Arbeitnehmer Anspruch auf eine zuvor von ihrem Arzt empfohlene stufenweise Wiedereingliederung an ihren Arbeitsplatz. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen bei diesem sogenannten Hamburger Modell dem Wiedereingliederungsplan zustimmen. Lehnen Arbeitgeber dies trotz einer ärztlichen „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung“ und ohne plausible Begründung ab, kann der erkrankte Arbeitnehmer nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom 4. Juli 2011 Schadensersatz verlangen.

Während einer stufenweisen Wiedereingliederung muss der Arbeitgeber kein Entgelt zahlen. Der erkrankte Beschäftigte erhält von seiner Krankenkasse weiter Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des Bruttolohns. Leitet die Reha-Stelle die Maßnahme ein, zahlt die Rentenversicherung für die Dauer der Reha und der Wiedereingliederung Übergangsgeld (68 Prozent des Bruttolohns bei kinderlosen Versicherten und 75 Prozent bei Versicherten mit Kindern). Zusätzlich zum Krankengeld oder Übergangsgeld sind auch „ergänzende Leistungen“ möglich.

Diese beanspruchte im aktuell vom BSG entschiedenen Fall der aus Sachsen stammende Kläger. Er war 2018 viereinhalb Monate erkrankt. Eine ambulante oder stationäre Reha-Maßnahme gab es nicht. Die Hausärztin empfahl eine zehntägige stufenweise Wiedereingliederung in den Job. Arbeitgeber und Kläger stimmten dem zu. Der Kläger verlangte von seiner Krankenkasse daraufhin die Erstattung der Fahrtkosten zu seinem Arbeitsplatz, insgesamt 85 Euro.

Fahrtkosten nicht erstattungsfähig

Nach dem Sozialgesetzbuch V müsse die Krankenkasse „ergänzende Leistungen erstatten, die im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stehen“. Darunter gehörten auch die Fahrtkosten während der Wiedereingliederungsmaßnahme, meinte der Arbeitnehmer.

Doch der Kläger hat keinen Erstattungsanspruch, urteilte das BSG. Üblicherweise übernähmen die Rentenversicherungsträger die Fahrtkosten nur, wenn die Wiedereingliederungsmaßnahme Bestandteil einer Gesamtmaßnahme zur medizinischen Reha sei. Hier hab der Kläger aber an keiner Reha teilgenommen.

Die Krankenkasse sei ebenfalls nicht in der Pflicht. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich nicht um eine eigenständige Reha-Maßnahme, die einen Erstattungsanspruch begründen könne. Es gehe nicht um Fahrten zum Arzt, sondern zum Arbeitgeber, befand das BSG. Die Krankenkasse sei hierfür nicht zuständig, sondern nur für erbrachte medizinische und die sie ergänzenden Leistungen.

Wunsch der Beschäftigten

Scheitert eine Wiedereingliederungsmaßnahme bei einem schwerbehinderten Menschen, muss auch ein öffentlicher Arbeitgeber keine andere als im Arbeitsvertrag festgelegte Beschäftigung anbieten. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 1. Februar 2020 im Fall einer angestellten schwerbehinderten Lehrerin urteilte, sei zwar der Arbeitgeber zur Rücksichtnahme verpflichtet, wenn die Arbeitnehmerin ihre arbeitsvertragliche Leistung nicht mehr erbringen könne. Es gebe jedoch keine Verpflichtung, ihr eine vertragsfremde Beschäftigung anzubieten. Der Arbeitgeber könne nur von sich aus dem Wunsch der Beschäftigten entsprechen.

Will ein Arbeitnehmer nach zwei Gesprächen über eine betriebliche Wiedereingliederung nicht mehr an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren, darf er den Arbeitgeber wegen seines Wunsches nach einem anderen Job auch nicht mit einer Suiziddrohung unter Druck setzen. Denn wird solch eine Drohung bewusst ausgesprochen, um eigene Interessen oder Forderungen am Arbeitsplatz durchzusetzen, stellt dies einen wichtigen Grund zur Kündigung dar, urteilte am 28. August 2017 das BAG. Solch eine ernsthafte Drohung sei eine massive Störung des Betriebsfriedens.

Az.: B 1 KR 7/23 R (BSG)

Az.: 8 Sa 726/11 (LAG Hamm)

Az.: 9 AZR 78/19 (BAG, Lehrerin)

Az.: 2 AZR 47/16 (BAG, Suizid)

Frank Leth